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Childish Gambino - 3.15.20

Childish Gambino- 3.15.20

Wolf + Rothstein / RCA
VÖ: 22.03.2020

Unsere Bewertung: 6/10

Eure Ø-Bewertung: 4/10

The book of love

Donald Glover ist ein Multitalent. Das wissen wir inzwischen alle und er selbst scheint auch so davon genervt zu sein, dass er eine seiner Karrieren an den Nagel hängen will. Zumindest verkündete er 2018 im Zuge des Grammy-Overkills für die so wichtige wie kunstvolle Single "This is America", dass sein kommendes viertes Studioalbum das letzte werden sollte. Ob er damit bloß vom Ende seines Alias Childish Gambino oder seines musikalischen Schaffens generell sprach, blieb ein Rätsel – wie so vieles um den Mann, der in weniger als einer Dekade vom belächelten Mixtape-Rapper zum Superstar aufstieg und dessen Filmschaffen Disney-Blockbuster mit eigenen Autorenprojekten wie "Atlanta" oder dem Kurzfilm "Guava Island" vereinbart. Zwei Jahre später erscheint nun die berüchtigte vierte Platte "3.15.20", benannt nach dem Tag, an dem sie im Loop auf Glovers Website lief, ehe sie eine Woche später die üblichen Streaming-Wege beschritt. Enigmatisch wie eh und je kommt sie ohne Artwork und größtenteils mit Zeitstempeln statt Songtiteln daher und verursacht nicht nur in ihrer Aufmachung ein wenig Kopfkratzen.

Wenn Glover mit seiner Präsentation suggerieren wollte, dass sein Album die volle Wirkung nur am Stück gehört erzielt, hat er sich leider verzettelt – dafür ist "3.15.20" schlicht zu durchwachsen. Schon der Start gerät holprig, wenn "Algorhythm" seine eh schon unsubtile Technophobie allen Ernstes mit Roboter-Versen und akustischem Systemabsturz am Ende darbietet. Den besonders in den Seilen hängenden Mittelteil eröffnet "32.22" vielversprechend, bevor der Song in eine nahezu unhörbare "Yeezus"-Parodie kippt. Der Kontrast von Kinderlied-Pop zu Drogenhandel-Story in "35.31" gerät zu platt, die Vocoder-Ballade "39.28" zu skizzenhaft. Im Vergleich zur kohärenten Siebziger-Verbeugung "Awaken my love!" macht die Platte wieder einen Rückschritt. Trotz gehobener Produktionsqualität erinnert sie eher an deren Vorgänger "Because the internet", auf dem sich ebenso grandiose mit nervigen Momenten abwechselten.

Letztere sind an dieser Stelle der Rezension aber zum Glück schon abgehakt. Zusammen mit Ariana Grande tanzt "Time" der Apokalypse entgegen, verpackt seinen düsteren Text in einen astreinen Sommerhit mit perlender Akustikgitarre und Synth-Funk-Drive. In "12.38" lebt Glover seinen inneren Prince und sein Talent als cineastischer Writer gleichzeitig aus: Mit beeindruckender Stimmakrobatik überführt er eine harmlos beginnende Bettgeschichte in einen abgefahrenen Trip auf Pilzen. Der 36-Jährige ist sich für keine Absurdität zu schade und lässt den D'Angelo-ähnlichen Engtanz "24.19" erst in zarten Harfenklängen, dann in einem – nicht metaphorisch gemeinten – Orgasmus enden. Da die Ambitionen bei vielen Songs aufgehen, verzeiht man ihnen auch ein paar Überlängen oder textliche Ausrutscher. Das 2018 bereits als "Feels like summer" veröffentlichte "42.26" sorgt dazu mit seinem sonnig-smoothen R'n'B für einen willkommenen Ruhepol in all dem Trubel.

Das absolute Highlight bildet "19.10". Der gleichzeitig treibende wie ungreifbare Beat erinnert wieder an Prince, doch Glover führt hier in erster Linie das Erbe von Curtis Mayfield und Co. fort. Es ist ein Protestsong im groovenden Soul-Gewand, das an den verstorbenen Vater gerichtet die weiterhin missliche Lage der schwarzen Bevölkerung in den USA beklagt: "To be beautiful is to be hunted." Mit ähnlicher Vintage-Ästhetik schreibt "47.48" den Dialog weiter, nur nimmt Glover hier selbst die Vaterrolle ein. "Do you love yourself?", fragt der dreijährige Legend Glover in einer zuckersüßen Coda, "I do love myself", antwortet ihm sein Papa. Als wolle er dem Nachdruck verleihen, explodiert in "53.49" eine völlig unerwartete Funkrock-Bombe mit einem himmlisch-optimistischen Refrain: "There is love in every moment under the sun / Boy, I did what I wanted to." "3.15.20" mag seine Macken haben, doch es endet in einem Triumphzug, einem Schluss-Manifest der Liebe und Selbstakzeptanz. Sollte es wirklich das letzte Kapitel im Buch Childish Gambino gewesen sein, hätte man es mit keinem größeren Knall zuschlagen können.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Time
  • 19.10
  • 47.48
  • 53.49

Tracklist

  1. 0.00
  2. Algorhythm
  3. Time
  4. 12.38
  5. 19.10
  6. 24.19
  7. 32.22
  8. 35.31
  9. 39.28
  10. 42.26
  11. 47.48
  12. 53.49

Gesamtspielzeit: 57:44 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Mister X

Postings: 3401

Registriert seit 30.10.2013

2020-04-08 21:28:55 Uhr
Zu niedrig bewertet.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2020-04-08 20:49:22 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?

Plattenbeau

Postings: 976

Registriert seit 10.02.2014

2020-03-30 17:04:43 Uhr
"Time" gefällt mir gut, es klingt fast wie eine kommerzialisierte Version von Deerhunters "Helicopter", 19.10 ("Beautiful") hat einen geilen, funky Beat, so Cyberpunk Prince, 53.49 ("Under The Sun") klingt auch irgendwie nach Prince, aber eher Pop als Funk. 32.22 fängt mit diesem fiesen Techno-Gewobbel vielversprechend an, aber verfranst sich irgendwie ein bisschen. Ansonsten ist mir das Album etwas zu RnB-lastig.

Lateralis84skleinerBruder

Postings: 757

Registriert seit 03.03.2019

2020-03-30 14:30:02 Uhr
Wo er den Orgamus bekommt ist mein musikalischer Höhepunkt des Jahres

Mister X

Postings: 3401

Registriert seit 30.10.2013

2020-03-30 09:46:32 Uhr
Ein Song erinnerte sogar an Black Skinhead.
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