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Nine Inch Nails - Ghosts V: Together

Nine Inch Nails- Ghosts V: Together

Null
VÖ: 26.03.2020

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Every day is exactly the same

Während die Welt draußen schon verrückt geworden ist, wird man es selbst so langsam in den eigenen vier Wänden. Das Jahr 2020 ist beispiellos, das wird – hoffentlich! – auch noch stimmen, wenn dieser Text in fünf, zehn oder 50 Jahren gelesen wird. Ein Trost in diesen Tagen: Wir alle erleben den Wahnsinn gemeinsam, es betrifft jeden. Und schaffen kann man es "Together", wie der Untertitel von Nine Inch Nails "Ghosts V" es kommuniziert. Zwar war Reznors Band musikalisch eigentlich nie ein Advokat für den Blick nach oben, aber abseits davon der 54-Jährige ist seit Jahren als digitaler Menschenfreund unterwegs. Und hat nun Teil fünf und sechs seines Instrumental-Zyklus "Ghosts" aus Solidarität für die Anhänger in Isolation unangekündigt für lau ins Netz gestellt. Somit bleiben "Ghosts V: Together" und "Ghosts VI: Locusts" vermutlich auf ewig unweigerlich mit der Corona-Krise verbunden, eine Art Soundtrack zum Zeitgeschehen. Und beide Zwillingsalben interpretieren es auf eine eigene Weise.

Zunächst verbindet die Werke eine Abkehr der Miniatur-Ideen von "Ghosts I-IV" und eine stärkere Orientierung an den Soundtrack-Arbeiten von Reznor mit Bandkollege Atticus Ross, wie beispielsweise "Gone girl" oder jüngst "Bird box", was sich nicht nur daran zeigt, dass die Tracks nun Titel tragen dürfen. Besonders "Ghosts V: Together" begibt sich in eine ätherische Ungreifbarkeit mit sehr langen Stücken, die sich Zeit dafür nehmen, in Evolutionsgeschwindigkeit die Metamorphosen zu durchlaufen. Industrial, eigentlich immer noch Kerngebiet von Nine Inch Nails, spielt hier eine völlig nebengeordnete Rolle. Die Funktionsweise ist dem Ambient-Genre entliehen, die apokalyptischen Anwandlungen erinnern an Postrock-Bands wie Godspeed You! Black Emperor oder die sperrigere Seite von Sigur Rós. Neben dem sehr präsenten Klavier formen die Synthesizer manchmal Sounds, die wie Background-Chöre oder gar ein ganzes Orchester klingen – nur eben, als ob die Töne auf dem Boden eines tiefen Gewässers erzeugt würden. Gedämpft und verzerrt.

"Ghosts V: Together" optimistisch zu nennen, wäre übertrieben, aber das metaphorische Licht bricht immer wieder zwischen den Soundschichten hindurch. Besonders der Titeltrack steht stellvertretend als atemberaubend schöne Komposition in der Tradition der "Still"-Sessions aus 2002 für die Hoffnung, welche die Platte insgesamt ausstrahlt. Nicht umsonst trägt sie von den beiden Alben das helle Coverbild. Auch das vergleichsweise kurze "Your touch" lebt vom sensationellen Klavierspiel, flankiert von einem artifiziellen Tuten, das sich überraschend gut in die umgebende Außerweltlichkeit einfügt. Der Hall erinnert an eine Unterwasserfahrt, fremdartig, aber faszinierend. Anderswo ist es atmosphärisch zwiespältiger. "Apart" balanciert seine stolzen 13 Minuten zwischen "stimmungsvoll" und "verstimmt", "Hope we can again" torpediert seine Idylle hingegen durch einen fiesen hohen Ton in der Klimax, der vor allem über Kopfhörer zum Stresstest wird.

Doch einzelne Stücke sind sowieso die Nebendarsteller im Wechselspiel der Gemütslage, das cinematoskopische Gesamterlebnis zählt. "Ghosts V: Together" fängt den Zeitgeist der Ungewissheit ein – unabsichtlich wohl, schließlich ist davon auszugehen, dass Reznor weit vor Entstehung der Pandemie an dieser Musik gearbeitet hat. Doch die menschenentleerten, rätselhaften Gebilde spiegeln das emotionale Spektrum der Stunde wider: Hoffnung, Sehnsucht und eben vor allem Einsamkeit. Dabei besitzt "Ghosts V: Together" trotz seiner Ungreifbarkeit genug Substanz, dass diese 70 Minuten auch später, wenn wir diese surreale Situation wieder überstanden haben werden, weiterhin ihre Anziehungskraft behalten. Für alle, die ihren Optimismus nicht verlieren, bietet Reznor hier Hilfe an. Und wenn es dafür nicht reicht? Dafür geben die hier zum einzigen Mal auftauchenden E-Gitarren des erschreckenden Closers "Still right here" einen Anhaltspunkt. Ein hektischer Beat erscheint und zerfällt ins Chaos – und setzt somit den Grundstein für den zeitgleich erschienenen Nachfolger: die dunkle Seite der Medaille. Fortsetzung folgt.

(Felix Heinecker)

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Highlights

  • Together
  • Your touch
  • Still right here

Tracklist

  1. Letting go while holding on
  2. Together
  3. Out in the open
  4. With faith
  5. Apart
  6. Your touch
  7. Hope we can again
  8. Still right here

Gesamtspielzeit: 70:18 min.

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User Beitrag

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 10093

Registriert seit 26.02.2016

2023-10-29 23:39:56 Uhr
Absolut, richtig toll.

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 33307

Registriert seit 07.06.2013

2023-10-29 22:17:00 Uhr
Love it.

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 11117

Registriert seit 23.07.2014

2022-01-25 20:57:10 Uhr
Haha, hab mich nach längerem Hören auch erstmal erschrocken und musste kurz pausieren um alles zu checken. :D

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 10093

Registriert seit 26.02.2016

2022-01-25 20:36:23 Uhr
Ich find es nach wie vor stimmungsabhängig, für dunkle Momente ist "Locusts" besser, aber ich find die hier sonst auch immer noch sehr stark.
Tatsächlich finde ich die Tinnitus-Stelle aber auch immer noch echt fies...

Affengitarre

User und News-Scout

Postings: 11117

Registriert seit 23.07.2014

2022-01-25 19:28:21 Uhr
Bei Release lag mir die "Ghosts VI" irgendwie deutlich mehr, die ist nämlich so düster und es passiert auch mehr. Die letzten Tage läuft aber die hier wirklich oft und gefällt mir auf ihre Weise auch sehr. Schön ruhig, entspannt und vorsichtig hoffnungsvoll.

Besonders der Titeltrack steht stellvertretend als atemberaubend schöne Komposition in der Tradition der "Still"-Sessions aus 2002 für die Hoffnung, welche die Platte insgesamt ausstrahlt.

An die "Still" muss ich auch öfter denken, das ist ja keinesfalls die schlechteste Referenz. Schönes Ding.
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