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Sufjan Stevens & Lowell Brams - Aporia

Sufjan Stevens & Lowell Brams- Aporia

Asthmatic Kitty / Cargo
VÖ: 27.03.2020

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Vollbad in der Dystopie

Sufjan Stevens ist der ungekrönte Meister der Nebenbeschäftigung: "Carrie & Lowell", sein unfassbar berührendes Meisterwerk über das schwierige Verhältnis zu seiner kranken Mutter und deren Tod, ist mittlerweile fünf Jahre alt. Seitdem wartet man vergebens auf ein reguläres Studioalbum des Künstlers, wird aber trotzdem regelmäßig mit neuer Musik versorgt. Müssen wir ins Detail gehen? Na gut, weil Ihr es seid: 2017 veröffentlichte er zusammen mit Bryce Dessner, James McAlister und Nico Muhly "Planetarium", ein experimentelles Album, das sich unserem Sonnensystem widmete. Im gleichen Jahr erschien "The greatest gift mixtape: Outtakes, remixes & demos from 'Carrie & Lowell'", eine feine Compilation, mit der man noch tiefer in das 2015er-Meisterwerk eintauchen konnte. Darüber hinaus komponierte er gemeinsam mit Timo Andres "The decalogue", den Klassik-Soundtrack zum Ballett gleichen Titels, sowie einige weitere spitzenmäßige Songs, unter anderem für den Score zum Coming-of-Age-Drama "Call me by your name". Puh, ganz schön viel los also bei Stevens und der Veröffentlichungsreigen reißt auch im neuen Jahrzehnt nicht ab: "Aporia", das gemeinsame Album mit seinem Stiefvater Lowell Brams, liefert jedoch keine herkömmlichen Songs, sondern viel mehr New-Age-Skizzen und atmosphärisches Geplänkel, beeinflusst von Künstlern wie Vangelis, Brian Eno und, natürlich, Enya.

Wir haben es also mit einem weiteren Sufjan-Stevens-Album zu tun, das sich gegen die Konventionen wendet und lustvoll abseitig gelegene Stilistiken untersucht. "Aporia" ist nun genau die Platte, zu der man ohne schlechtes Gewissen die Räucherstäbchen anzünden darf und sich ein schaumiges Wacholder-Ylang-Ylang-Vollbad einlassen oder auf der Hängematte in andere Sphären träumen kann. Die Stücke sind meist kurz, wirken dementsprechend auch oftmals wie geschickte Fingerübungen oder Fragmente, fließen teils anstandslos ineinander über. Nur selten platzen Vocals in die Szenerie, im elektronisch dräuenden "The runaround" ist dies jedoch der Fall: Zunächst rollt der Track über düster funkelnde Synthieflächen hinweg, die an die dystopischen Klanglandschaften von Boards Of Canada erinnern, Stevens' Stimme ertönt gegen Ende aus der Ferne wie eine glutrote Sonne, die heiße Strahlen auf die Erde schickt. Das bereits vorab veröffentlichte "The unlimited" wirkt weniger bedrohlich, wenngleich auch hier die Freude an der Verzerrung im Fokus steht. Beats treiben das Stück sachte voran, bis es letztlich ins Leere läuft. Die Kompositionen weisen nicht immer Höhepunkte auf, oft täuschen sie eine dramatische Entwicklung an, die sich wie eine Seifenblase abrupt in Luft auflöst.

Vor dem Hintergrund diverser Soundtrack-Arbeiten dürfte es kein Zufall sein, dass sich so manches auch als Score für einen Science-Fiction-Film anbieten würde, schließlich pluckert und britzelt es beispielsweise in "Eudaimonia" schon recht futuristisch. Der Opener "Ousia" sprudelt seine abgefahrenen Soundpatterns mit Nachdruck in den Orbit, während das folgende "What it takes" von einer sakralen Grundstimmung getragen wird und eine Art Kirchenmusik der mittelfernen Zukunft präsentiert. "Aposia" lebt von der Entdeckungslust seiner Erschaffer, der Grenzenlosigkeit, mit der hier musikalische Räume zunächst kreiert und hernach exploriert werden. Keineswegs beschwören Stevens und Brams mit den 21 Tracks die emotionale Dringlichkeit und metaphorische Wucht herauf, die die Songs von "Carrie & Lowell" durchzogen, doch die Anlage ist auch eine grundsätzlich andere. Hier geht es um Weite, um Vision, um das Verlieren des eng gesetzten Fokusses, nicht um Narration und puren Schönklang. Eine tripähnliche Erkundung, zu der man sich wahlweise bunte Pillen schmeißen oder selbstgemachten Holunderblütentee infundieren kann. Spannend ist das allemal. Berührend manchmal.

(Kevin Holtmann)

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Highlights

  • What it takes
  • The unlimited
  • The runaround

Tracklist

  1. Ousia
  2. What it takes
  3. Disinheritance
  4. Agathon
  5. Determined outcome
  6. Misology
  7. Afterworld alliance
  8. Palinodes
  9. Backhanded cloud
  10. Glorious you
  11. For Raymond Scott
  12. Matronymic
  13. The red desert
  14. Conciliation
  15. Ataraxia
  16. The unlimited
  17. The runaround
  18. Climb that mountain
  19. Captain praxis
  20. Eudaimonia
  21. The lydian ring

Gesamtspielzeit: 42:07 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

myx

Postings: 5436

Registriert seit 16.10.2016

2020-03-24 21:17:33 Uhr
Konnte das Album noch nicht zu Ende hören, bin unterbrochen worden. Mein vorläufiger Eindruck geht aber in dieselbe Richtung, sehr skizzenhaft das Ganze, mit ein paar Passagen, die aufhorchen lassen. Muss es mir aber nochmals im Ganzen anhören, am liebsten mit Kopfhörer.

Gordon Fraser

Postings: 2766

Registriert seit 14.06.2013

2020-03-24 20:50:37 Uhr
Tja, und nun? Das lässt mich dann doch eher ratlos zurück. Ein paar hübsche Versatzstücke immerhin. Wird Zeit für ein richtiges Sufjan-Album.

myx

Postings: 5436

Registriert seit 16.10.2016

2020-03-24 11:30:59 Uhr
Album ist bereits seit heute auf allen Streaming-Plattformen und auch physisch verfügbar. Bei mir startet jetzt gleich der erste Durchgang. :)

Gordon Fraser

Postings: 2766

Registriert seit 14.06.2013

2020-03-17 22:27:32 Uhr
Ich lese die Referenzen ehrlich gesagt aufmerksamer als die Rezension - erst wenn mich die Referenzen interessieren lese ich oben weiter. :D

Kevin

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 1061

Registriert seit 14.05.2013

2020-03-17 22:24:27 Uhr
Erstaunlich allemal, dass jemand die Referenzen bis zum Ende liest. :D
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