King Krule - Man alive!

XL / Beggars / Indigo
VÖ: 21.02.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Endlich erwachsen?
Darf es zu Beginn etwas Ulknudeliges sein? Wäre Archy Marshall alias King Krule bei einem seiner früheren Projektnamen geblieben, könnte man ihn dieser Tage auch Zoo Daddy nennen statt Zoo Kid. Der 25-Jährige und seine Partnerin, die britische Fotografin Charlotte Patmore, wurden im März 2019 Eltern einer kleinen Tochter. Gemeinsam zog das Trio aufs Land im Norden Englands, in seiner Heimat Süd-London sei er mittlerweile nur noch selten. Ganz der Familienvater also, weit weg von der zerstörerischen Umgebung, die das Schaffen des einst als musikalisches Wunderkind bezeichneten Künstlers wie Benzin angetrieben hat? Ganz so einfach ist es nun auch nicht, dennoch ist "Man alive!", Marshalls viertes Album – das dritte unter dem Namen King Krule – ein Zeugnis dafür, dass auch Wunderkinder irgendwann mal erwachsen werden.
Wer hier nun das gemäßigte Mainstream-Werk eines Kerls erwartet, der sich bereits in Jugendtagen mehr getraut hat als manch alteingesessener Kollege in seiner gesamten Karriere, der irrt sich freilich gewaltig. Und doch hat Marshall den einen oder anderen Dämon hinter sich lassen können, sieht die Dinge stellenweise etwas klarer, kann seine Gedanken pointierter formulieren. Dabei vermischen sich die alte Dunkelheit und neue Frische an der einen oder anderen Stelle. Das beste Beispiel dafür ist das hervorragende "Perfecto miserable". Mal manisch-depressiv, mal schwer verliebt, schwermütig startend und im Verlauf immer leichter werdend, einerseits voller Liebe, andererseits voller Misstrauen, vor allen seinen eigenen Gefühlen gegenüber. Wie wird jemand eigentlich glücklich, der eine Marke aus seinem Unglück gemacht hat?
"But don't forget you're not alone / Deep in the metropole", singt er in der Single "Alone, omen 3", spricht sich selbst und seiner Liebsten Mut zu. Es ist einer der hoffnungsvollsten Tracks des Albums und auch in Marshalls Karriere, in seiner Leichtigkeit fast schon überraschend, in seiner Eingängigkeit überzeugend. Dem gegenüber stehen die beiden ersten Songs des Albums, das eindringliche "Cellular" sowie der Horrortrip "Supermarché", die beide einen weitaus düsteren Ausblick auf das geben, was "Man alive!" letzten Endes bietet. Aber auch das gehörte bei Marshall schon immer dazu: Erwarte das Unerwartete, hier ist Weiß nicht gleich Weiß und Schwarz nicht gleich Schwarz. Das Beste steckt im Detail, in den kleinen Feinheiten, die man zunächst oft übersieht. Das traumwandlerische "The dream" etwa könnte einerseits eine Drogensequenz sein oder aber ein liebevolles Wiegenlied für seine Tochter. Das sich bei Nilüfer Yanyas "Small crimes" bedienende "Airport antenatal airplane" wiegt zwar tonnenschwer, sieht sich selbst aber frei schwebend in der Luft: "You all look so small from up here", ehe Marshall seinen Fensterplatz im Flieger abgibt.
Wie also wird jemand glücklich, der beruflich eigentlich unglücklich ist? Marshall bleibt die Antwort schuldig und gibt sie dann doch irgendwie: Denn nichts ist so, wie es wirkt und Glück ist natürlich auch nur so eine Sache, die jeder für sich selbst auslegen muss. Am Ende geht es um Entscheidungen: "I was doing some good / I was keeping clean / Kept my head up above your intimacy or steadily / Your putrid ooze would swallow me", erklärt er im jazzigen "Underclass" und überwindet seine Bindungsangst vor aller Welt. Im Finaltrack "Please complete thee" sucht er schließlich nach jener Person, die ihn vollkommen macht, statt sich von ihr abzuwenden, sagt sich von seinem früheren Stolz los, bekämpft seine lähmende Panik – und fühlt sich am Ende doch im Stich gelassen. Von sich selbst? Vom Partner? Von allen? So ist das eben leider als Erwachsener. Man kann nicht immer gewinnen. Aber versuchen sollte man es stets.
Highlights
- Perfecto miserable
- Alone, omen 3
- Underclass
- Please complete thee
Tracklist
- Cellular
- Supermarché
- Stoned again
- Comet face
- The dream
- Perfecto miserable
- Alone, omen 3
- Slinky
- Airport antenatal airplane
- (Don't let the dragon) draag on
- Theme for the cross
- Underclass
- Energy fleets
- Please complete thee
Gesamtspielzeit: 42:01 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Lateralis84skleinerBruder Postings: 968 Registriert seit 03.03.2019 |
2020-08-19 22:30:22 Uhr
Die Atmosphäre ist von der Klangarchitektur ähnlich wie The Ooz, aber das Songwriting ist auf klassische 3 Minüter ausgelegt. Auch wenn die Songs alle teilweise sehr entkernt sind und die zweite Hälfte in den Äther abhaut, der Vorgänger hatte sehr viel dichteren Nebel |
saihttam Postings: 2582 Registriert seit 15.06.2013 |
2020-08-19 14:34:07 Uhr
Stoned Again und Alone, Omen 3 sind grandios. Der Rest ist teilweise wieder etwas versponnen. Durch die kürzere Spieldauer für mich aber trotzdem etwas besser durchhörbar als der Vorgänger. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28019 Registriert seit 08.01.2012 |
2020-02-25 19:39:19 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
Gordon Fraser Postings: 2747 Registriert seit 14.06.2013 |
2020-02-21 18:50:35 Uhr
Puuh, ich habe hingegen nach drei Songs ausgemacht. Das ist so gar nicht meins. Viel zu unruhig und ziellos. Nervt leider. |
MrMan Postings: 222 Registriert seit 05.09.2019 |
2020-02-21 17:40:34 Uhr
Dem kann ich mich nur anschließen. Das Album macht wirklich Spaß. "Stoned again" hat es mir total angetan. |
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Referenzen
Archy Marshall; Flying Lotus; Jamie xx; Gil Scott-Heron; James Blake; King Midas Sound; Darkstar; Nicolas Jaar; Kode9 & The Spaceape; Burial; Gonjasufi; Dean Blunt; John Talabot; Zomby; Aphex Twin; Deadboy; Dntel; Architeq; Moderat; Shabazz Palaces; Howling; Untold; Wookie; Actress; Mount Kimbie; How To Dress Well; Pantha Du Prince; Oh No; Thom Yorke; Beak>; J Dilla; Kid Koala; Autechre; MF Doom; Sun Ra; Alice Coltrane
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