Jeff Parker - Suite for Max Brown
International Anthem / Nonesuch / Indigo
VÖ: 24.01.2020
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Family business
In Kurt Vonneguts Roman "Slaughterhouse-five" spielen die Tralfamadorianer eine wichtige Rolle: bekloppt aussehende Aliens mit der Gabe, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft gleichzeitig wahrnehmen zu können. Was das mit Jeff Parker zu tun hat? Nun, sollten die einäugigen Winzlinge real existieren, könnte der Chicagoer etwas von ihrem Zeitbewusstsein gelernt haben. Als Gitarrist der visionären Post-Rock-Band Tortoise sowie als aktives Mitglied der Jazz-Szene seiner Heimatstadt richtet sich Parkers Kunstverständnis stets nach vorne. Zuletzt faszinierte ihn die Verbindung von organischer Jazz-Musik mit Beats und Samples, was "The new breed" in Albumform brachte. Doch so vorwärtsgewandt der 52-Jährige auch ist, ein Auge blickt immer zurück in die eigene Geschichte. Widmete er jene Platte noch seinem verstorbenen Vater, erhält auf "Suite for Max Brown" Mama Maxine eine Würdigung. Zusammengeknüpft werden beide Werke von Parkers eigener Tochter Ruby, die hier dem Opener "Build a nest" ihre warme Stimme leiht. Die fleischliche Verkörperung der Zukunft hilft dabei mit, jene auch musikalisch zu gestalten – sofern man sich die Zukunft als verquere Mischung aus Dirty Projectors, besoffen torkelndem Piano und Experimental-HipHop vorstellt.
Doch Parkers Tanz auf dem Zeitstrahl gestaltet sich entspannter und – auch für Nicht-Jazz-Fans – zugänglicher, als es auf dem Papier anmutet. In "Fusion swirl" zittern zunächst ein gehetzter Beat und ein monotoner Bass, bis die Rhythmussektion komplett wegbricht und dem konstant im Hintergrund schwebenden Synth-Drone die Bühne überlässt. Dann folgt der erneute Cut, sanft wogende Gitarren-Wellen verwandeln die anfängliche Hektik vollends in ein Sedativum. Was auf "Suite for Max Brown" ebenfalls stark gelingt, ist die Rekontextualisierung alter Genre-Klassiker. "C'mon now" macht aus Otis Reddings "The happy song (Dum dum)" einen 30-sekündigen Sample-Loop, der auch bei Kanye West nicht aufgefallen wäre. "Gnarciss", eine Abwandlung von Joe Hendersons "Black narcissus", lässt nicht nur Trompeter Rob Mazurek freidrehen, sondern erweitert das Original auch um ein paar elektronische Texturen. In einer ruhigen, aber einnehmenden Interpretation erstrahlt John Coltranes "After the rain": Die Begleitband jammt gemütlich ohne Tempo und Parkers Sechssaitige scheint unter seinen Händen wegzuschmelzen. Vor allem die Titelheldin des Albums dürfte sich über diese Verbeugungen vor den Jazz-Helden ihrer Zeit besonders freuen.
So ist "Suite for Max Brown" nicht nur Widmung, sondern auch direkter Kommunikationskanal zu Parkers Mutter. Das darin offenbarte Herzblut steckt auch in jeder Eigenkomposition. Gekonnt füllt der Arrangeur und Multi-Instrumentalist seine Songs mit Ideen, von denen sich nie eine zu sehr in den Vordergrund drängen will. In "Del Rio" erklingt für circa 20 Sekunden eine afrikanische Mbira, während die Ballade "3 for L" kaum wahrnehmbare perkussive Akzente in ihrer elegant perlenden Tiefenentspannung setzt. Doch die allerbesten Stücke hebt sich die Platte bis ganz zum Schluss auf. Als unmittelbarer Hit entwickelt "Go away" einen intensiv groovenden Sog mit Moskito-Gitarre, Synth-Wabern und dringlichen Drums. Closer und Quasi-Titeltrack "Max Brown" löst anschließend das Versprechen des ersten Worts im Albumtitel ein. Zehn Minuten lang vermengt sich ein klickender Beat mit organischem Band-Jazz. Trompete und Saxofon tanzen frei nebeneinander, nur um immer wieder zu einem griffigen, gemeinsamen Motiv zurückzukehren. Es ist eine instrumentale Hochzeit nur scheinbarer Gegensätze, die – na klar – völlig losgelöst von Zeit und Raum stattfindet. Kurt Vonnegut lässt im eingangs erwähnten Roman leider offen, ob seine Tralfamadorianer auch mal eine Jazz-Platte auflegen. Wenn ja, könnten sie mit Jeff Parker ihren Lieblings-Erdenmusiker gefunden haben.
Highlights
- Fusion swirl
- Go away
- Max Brown
Tracklist
- Build a nest (feat. Ruby Parker)
- C'mon now
- Fusion swirl
- After the rain
- Metamorphoses
- Gnarciss
- Lydian, etc.
- Del Rio
- 3 for L
- Go away
- Max Brown
Gesamtspielzeit: 39:49 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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kingsuede Postings: 4365 Registriert seit 15.05.2013 |
2021-12-26 14:22:51 Uhr
Das neue Album Forfolks kann auch. Sehr ruhig und loopig, aber durchaus energiegeladen. |
Lateralis84skleinerBruder Postings: 921 Registriert seit 03.03.2019 |
2020-02-15 20:00:05 Uhr
Oh, ich sehe gerade da war ja noch ein Album zwischen The New Breed und dem hier |
Lateralis84skleinerBruder Postings: 921 Registriert seit 03.03.2019 |
2020-02-15 19:58:39 Uhr
Mag den Vorgänger sehr. Hatte ich letztens sogar noch auf dem Teller. Wird auf jeden Fall angehört |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27522 Registriert seit 08.01.2012 |
2020-02-10 20:51:30 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Meinungen? |
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Referenzen
Chicago Underground; Isotope 217; Tortoise; Grant Green; Tal Farlow; Jim Hall; David T. Walker; John McLaughlin; Pat Metheny; Bill Frisell; Nels Cline; Mary Halvorson; Mahavishnu Orchestra; Exploding Star Orchestra; Miles Davis; Sun Ra; Henry Threadgill; The Comet Is Coming; Makaya McCraven; Kamaal Williams; Kamasi Washington; Matana Roberts; Flying Lotus; Thundercat; Yesterdays New Quintet; J Dilla; Prefuse 73; Kanye West; Kendrick Lamar; Fred Anderson; Rob Mazurek; John Coltrane; Otis Redding; Joe Henderson; Dirty Projectors
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- Jeff Parker - Suite for Max Brown (4 Beiträge / Letzter am 26.12.2021 - 14:22 Uhr)