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Messer - No future days

Messer- No future days

Trocadero / Indigo
VÖ: 14.02.2020

Unsere Bewertung: 6/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Keine Liebesheirat

"No future days" – gleich zwei Anspielungen auf einmal: erstens auf den nimmeralten Punk-Schlachtruf "No future", zweitens auf das 1973er Album "Future days" der legendären Can. Obendrauf gibt's noch ein Coverfoto, das Man Ray zitiert. Mensch Messer, ganz schön bedeutungsschwanger – böse gesagt: aufgeblasen –, das alles. Und so geht es auch weiter auf dem neuen Album des Quartetts, Leitmotiv: die Zeit. Das ist nun mal ein Thema, an das man kaum locker-flockig rangehen kann, ohne dass es lächerlich wird, also folgt auf "No future days" Metapher auf Gleichnis auf Anspielung. Nun waren die Münsteraner, allen voran Sänger Hendrik Otremba, ja noch nie nutzerzentrierte Storyteller. Aber sie waren auch schon zugänglicher. Selbst, als sie 2016 auf "Jalousie" alles abdunkelten. Was hat sich geändert?

Zunächst einmal das Prozedere: Die Band schrieb die Musik, bevor Otremba die Texte beisteuerte. Und vielleicht ergibt sich gerade daraus auch das, was den ersten Eindruck von "No future days" prägt. Das Album ist im Vergleich zu seinen drei Vorgängern wahnsinnig unwild. Die Musik wirkt exakt orchestriert und in sich dicht geschlossen. Fast so dicht, dass es zunächst Probleme bereitet, die Klangwelt des Albums überhaupt zu betreten. Messer bedienen sich außerdem neuerdings außer an der klassischen Post-Punk-Auslage auch an anderen Stellen der Einflusstheke: Mit Dub und Reggae referenziert die Band explizit den britischen Post-Punk der Endsiebziger und eingehenden Achtziger. Aber ganz gleich, ob sich nun die im Herbst erschienene Vorabsingle "Anorak" an jamaikanischen Rhythmen abarbeitet, oder in "Tod in Mexiko" Synthies und Vocoder den Sound prägen – und so perfekt die Gruppe all das auch abliefert – es ist, als ob das Salz fehlt. Aber klar: Die Zeit – wie gesagt, das Leitthema – ist nun mal recht häufig eine ziemlich fade Angelegenheit.

Genau deswegen glänzt das Album vor allem da, wo es sich nicht nach Gleichförmigkeit ausstreckt, sondern freimütiger agiert: Als unverschlüsseltes Stück bringt etwa der Opener diese gewisse plakative Vertracktheit mit sich, die Messer auf den drei Vorgängeralben vor sich hertrieben, mit einem keifendem Otremba am Mikrofon. Die E-Gitarren klirren, der Beat marschiert geradlinig. Der Sänger legt kindliche Erinnerungsfragmente frei und erkennt schließlich, dass irgendetwas krumm ist: "Das verrückte Haus" lautet die titelgebende Textzeile entsprechend. "Frau in den Dünen" zündet gar ein euphorisch-energetisches Feuerwerk mit aufgescheucht wirbelnden Gitarren, direkt aus einer wüstenartigen Sandwelt, wo das Wasser in Eimern geliefert wird. "Versiegelte Zeit", der abermals Reggae-infizierte Closer, rollt hingegen langsam an: Nach zwei Minuten hat man den Patienten schon fast abgeschrieben, da holt die Band den Defibrillator raus und steigert den Song langsam aber sicher in ein furioses Finale, das im Tick-Tack-Rhythmus näherkommt und dann eine entrückte Elektrische entfesselt, die den nächsten Break einleitet. Otremba streut noch ein paar Zeilen ein, bevor der Track schließlich ruhig sein Ende findet. Das ist schon großartig. Auch "Stern in der Ferne" hat seine starken Momente, konkret die Breaks um die Bridge mit ihren "Hey!"- und Huh!"-Rufen.

Andere Songs wirken da im Vergleich etwas schwach auf der Brust. Das bereits ausgekoppelte "Der Mieter" etwa wabbelt relativ unmotiviert ins Ohr, trotz arschwippender Funkgitarre, und die übrig gebliebene Single "Tapetentür" erzählt zwar eine – fast sprichwörtlich – fesselnde Geschichte, aber entfaltet trotz ihrer aufwändigen Inszenierung leider nur wenig Druck. Da bringt es auch nichts, dass ganz hintergründig eine schöne sakrale Orgel Messwein verteilt, man zwischendurch auch mal an The Smiths denken darf und ein paar Kuhglocken (oder ähnliches) bimmeln. Joa, "No future days" ist manchmal doch schon relativ monoton, vielleicht aber auch – Obacht – eben besonders zeitgeistig: Würde man das Beschriebene unter dem Begriff Ennui zusammenfassen, wäre es nämlich offziell cool. Die Platte erfordert Arbeit und die darf ein Künstler ja auch vom Rezipienten verlangen. Aber mal ganz "hands on" argumentiert: Wie viele Hördurchläufe muss man sich Zeit nehmen, wenn man eine Band mag? Zehn, zwanzig, dreißig? Manchmal schnackelt's auch dann nicht, manchmal plötzlich volle Kanne und manchmal eben nur hier und da. Der Rezensent sagt "Ja" zu diesem Album – aber eine Liebesheirat ist es nicht.

(Pascal Bremmer)

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Highlights

  • Das verrückte Haus
  • Frau in den Dünen
  • Versiegelte Zeit

Tracklist

  1. Das verrückte Haus
  2. Der Mieter
  3. Tapetentür
  4. Anorak
  5. Tiefenrausch II
  6. Tod in Mexiko
  7. Frau in den Dünen
  8. Stern in der Ferne
  9. Versiegelte Zeit

Gesamtspielzeit: 36:09 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26286

Registriert seit 08.01.2012

2020-03-20 20:05:14 Uhr - Newsbeitrag


Messer: Nachholtermine »No Future Tour«

Wir haben Neuigkeiten!
Weil die Konzerte, die eigentlich jetzt stattfinden würden, ja nun mal nicht stattfinden können, haben sich unsere lieben Booker von der dq agency sofort hingesetzt und für Ersatztermine gesorgt. Zugleich können wir hier einige Termine ankündigen, die wir ohnehin noch im Ärmel hatten.
Gekaufte Karten bleiben gültig, können aber auch zurückgegeben werden.


»NO FUTURE TOUR«
präsentiert von Musikexpress, DIFFUS Magazin, Jungle World, ByteFM, laut.de & kulturnews

30.05.20 Leipzig, Wave-Gotik-Treffen
29.08.20 Hamburg, Knust Hamburg - verlegt vom 28.03.
24.09.20 Bochum, Die Trompete
25.09.20 Schorndorf, Club Manufaktur
26.09.20 Nürnberg, MUZclub
30.09.20 Oberhausen, Gdanska
01.10.20 Karlsruhe, KOHI-Kulturraum
02.10.20 Darmstadt, Oetinger Villa
03.10.20 Bonn, BLA
20.11.20 Kaiserslautern, Kammgarn
21.11.20 Bern (CH), Dampfzentrale Bern - Saint Ghetto Festival
11.12.20 Münster, Gleis 22 - verlegt vom 14.03.
12.12.20 Hannover, CAFE GLOCKSEE - verlegt vom 20.03.
13.12.20 Dresden, Scheune Dresden - verlegt vom 26.03.
14.12.20 Berlin, Musik & Frieden - verlegt vom 27.03.
15.01.21 Köln, Gebäude 9 - verlegt vom 13.03.
16.01.21 Wuppertal, die börse - wuppertal - verlegt vom 21.03.

Tickets: http://dq-agency.com/dq_artists/messer/

N. Senada

Postings: 55

Registriert seit 15.12.2019

2020-03-02 20:21:46 Uhr
Wann hat diese Band jemals was anderes als 80s Throwback Musik gespielt und was ist so schlimm dran, wenn man es gut macht?

MarcO

Postings: 1

Registriert seit 02.03.2020

2020-03-02 19:23:40 Uhr
Habe ca. 10 Reviews zur neuen Platte durchgelesen und dies ist das erste bei der nicht das Info abgeschrieben und die Platte in den höchsten Tönen gelobt wurde weil das ja alle so machen und es sich nicht getraut wird Kritik (sic) zu üben. Platte hat auf jeden Fall was, aber als Messer Fan der ersten Stunde muss ich ehrlich sagen: Hmmm...ok, ich hab's kapiert, England und Post Punk findet ihr super und nun...? Hättet ihr auch in einem Stück sagen (spielen) können und besser euren eigenen Stil ausarbeiten. Reißt mich nicht vom Hocker diese Referenzhölllehöllehölle

cargo

Postings: 674

Registriert seit 07.06.2016

2020-02-14 14:13:20 Uhr
Die neue Platte lässt leider alles vermissen, was die Band mal richtig ausgemacht hat: Wut und Energie.
Stattdessen gibt es jetzt verkopften Diskurs-Pop mit Dub-Anleihen. Leider nichts mehr für mich.

N. Senada

Postings: 55

Registriert seit 15.12.2019

2020-02-14 13:20:31 Uhr
Pogo McCartney bester Bassist EU West
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