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Kilkelly - The prick and the petal

Kilkelly- The prick and the petal

Famous Gold Watch
VÖ: 25.12.2019

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Schnee fällt auf alle Lebenden und Toten

Aus der Distanz auf den Ort der eigenen Prägung zu blicken, öffnet neue Einsichten: der letzte kleine Trost der Exilierten. Nun ist der Ire Conor Kilkelly, der in Berlin lebt und arbeitet, natürlich kein in diesem Sinne Exilierter und doch treibt ihn der räumliche Abstand in eine intensive Auseinandersetzung mit den Traditionen, Geschichten und vor allem Versehrtheiten seiner Heimat, die sich nicht zuletzt auch aus dem Verlust eben jener speisen. Und so verhandelt sein Debütalbum "The prick and the petal" persönliche Fragen nach der eigenen Herkunft, indem es sie im Kontext eines kollektiven Bewusstseins zurücktreten lässt. Mal zärtlicher, mal düsterer Folk, der dezent von irischen Geigen angeweht wird, kartographiert die Mentalität Irlands.

Zwei Charaktere tauchen immer wieder in den elf Stücken auf: Joe und Mary, deren allzu gewöhnliche Namen schon verraten, dass sie für mehr stehen als für sich selbst. Ein verdammtes Liebespaar, das von Anfang an dem Untergang geweiht ist. Der Opener "Married too young" erzählt zu traditionellem Folk-Picking von verfrühter Heirat und zwischenmenschlichem Verfall, der sich im sozialen spiegelt – "the jobs dried up and my nerves grew thin" – und mündet in eine Anspielung auf Heroinmissbrauch, die sich als geschickter und überraschender Anachronismus in den Song schmuggelt. Nie weiß man so recht, in welcher Epoche die Geschichte spielt: Kilkelly verwischt implizit die Trennung von Vergangenheit und Gegenwart. Beide erweisen sich als unauflöslich verknotet, ein Thema des Albums.

Die sanft dahingleitenden Harmonien von Songs wie "Anything but here will do" verschleiern auf den ersten Blick den Fatalismus ihrer Texte. "How can I sound so bitter and ask of you so sweet?" fragt Kilkelly und steigt zynisch in "Look for me when I'm leaving" ein: "You can never get too ready to settle on a loss." Neben diesen also nur vordergründig beschaulichen Folk-Kleinoden kippt aber insbesondere die zweite Hälfte des Albums in dunklere, experimentellere Stimmungen. "Cabaret" ist eben das: eine windschiefe Cabaret-Nummer mit der ein oder anderen Dissonanz, Stimmengewirr und gequälten Bläsern, die ein wenig an Nick Caves oder Tom Waits' Balladen gemahnen. Das im Duett mit Stephanie Hannon (die auch das umfangreiche Begleitbuch des Albums gestaltet hat) gesungene, wunderschöne, sich seiner Melancholie vollkommen ausliefernde "Chasing the dead" leitet über zum polternden Ausbruch in "Confession", der nach wenigen Sekunden jedoch wieder vom büßenden Kilkelly und einer wimmernden Geige abgelöst wird.

Kilkelly ist mit diesem Debüt etwas Besonderes gelungen. Sein Folk geht gekonnt mit seinen Einflüssen um, ohne bahnbrechend neu zu wirken. Aber das muss er auch nicht. Statt bloß ein weiterer Singer-Songwriter zu sein, der sein eigenes Leiden individualistisch überhöht, knüpft er konzeptuell an die musikalischen und erzählerischen Traditionen Irlands an, zitiert sie und bricht sie mitunter. So berichtet "The prick and the petal" von Joes und Marys Leiden, spiegelt sie aber zugleich in einer Gemeinschaft, die sich singend selbst befragen muss. Vielleicht scheint auch deshalb "One day soon" am Ende wie ein kleiner Hoffnungsschimmer des Miteinanders: "Maybe one day soon, we'll be looking at each other without looking through."

(Viktor Fritzenkötter)

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Highlights

  • Married too young
  • Chasing the dead
  • Confession

Tracklist

  1. Married too young
  2. Anywhere but here will do
  3. What Old Joe won't hear
  4. The mill
  5. Look for me when I'm leaving
  6. Cabaret
  7. Lullaby
  8. Chasing the dead
  9. Confession
  10. One day soon
  11. Syphilis lady (secret track)

Gesamtspielzeit: 37:47 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Obrac

Postings: 1822

Registriert seit 13.06.2013

2020-03-03 21:34:20 Uhr
Super, danke für die Info.

FGWRecords

Postings: 1

Registriert seit 03.03.2020

2020-03-03 21:16:10 Uhr
Hey Obrac,

"The Prick & The Petal" wird in Kürze vollständig auf Spotify erhältlich sein. Bis dahin ist es digital und als Artbook-Edition bei bandcamp erhältlich.

https://kilkelly.bandcamp.com/album/the-prick-the-petal

für weitere Informationen:
www.kilkelly.net
www.facebook.com/kilkellymusic
www.facebook.com/fgwrecords

Freundliche Grüße
Thomas/The Famous Gold Watch Records

Obrac

Postings: 1822

Registriert seit 13.06.2013

2020-01-30 09:39:17 Uhr
Weiß einer, warum es auf Spotify nur die 5-Track-EP gibt?

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 25231

Registriert seit 08.01.2012

2020-01-12 22:50:27 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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