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Algiers - There is no year

Algiers- There is no year

Matador / Beggars / Indigo
VÖ: 17.01.2020

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Fuck art, let's collapse!

Die Welt brennt. Das tat sie 1954, als der Unabhängigkeitskrieg Algeriens gegen die französische Kolonialmacht begann. Das tat sie auch 60 Jahre später, als eine jene Freiheitskämpfe würdigende Band namens Algiers ihr selbstbetiteltes Debütalbum auskotzte – einen giftigen Brocken Religions- und Gesellschaftskritik mit einer sehr eigentümlichen Schale aus Soul, Industrial und Post-Punk. Und auch jetzt, 2020, hat sich die globale Hitze kaum abgekühlt, doch Algiers erging es erstaunlicherweise anders. Wussten sie zuvor ihre Wut in kraftvollen und vor allem tanzbaren Testosteronbomben auszudrücken, wirkt "There is no year" zurückgezogener, düsterer, konzentrierter als sonst. Hat das ihrer Bemühungen zum Trotz unbeirrt weiter lodernde Feuer die vier Männer aus Atlanta inzwischen so zermürbt, dass ihre Kampfeslust Resignation gewichen ist? Oder brodelt es unter der Oberfläche noch immer genauso wie früher, und sie haben schlicht die Strategie gewechselt?

Zu Beginn der Platte scheint alles noch beim Alten. Der eröffnende Titelsong knistert mit aggressivem Synth-Stakkato und Drumcomputer-Stoik, bis er sich in genau den Moshpit-tauglichen Ausbrüchen entlädt, die sich die ganze Zeit andeuten. Gospel-Akzente und ein dominierendes Piano täuschen in der ersten Single "Dispossession" eine Behaglichkeit auf dem Papier vor, die spätestens Franklin James Fishers unheimlich dringlicher Vortrag in heißen Dampf auflöst. Der offensive Pop des grandios groovenden "The underside of power"-Titeltracks verblasst in der Erinnerung und gerät im weiteren Verlauf von "There is no year" endgültig in Vergessenheit. Doch Algiers suchen in der fast totalen Abkehr von Tanzwut und großen Refrains keinesfalls die Rechtfertigung eines gesteigerten Kunstanspruchs. Der neue Minimalismus ordnet die musikalische Form der Atmosphäre und Intensität unter, strebt nach einem subtileren, aber direkteren und tiefergehenden Draht in den Körper des Hörers.

Ganz von der Kunst lösen kann sich die Band aber trotzdem nicht, weil sie immer noch klingt wie keine zweite. In "Hour of the furnaces" könnten Fishers Gesangslinien auch aus einem alten Soul-Hit stammen, während hinter ihm ein industrieller Eissturm tobt. Algiers nehmen alte Versatzstücke der Musikgeschichte und setzen sie zu einer Chimäre der neuen Assoziationen zusammen – als hätte in einer besseren Parallelwelt Trent Reznor das imaginäre Comeback-Album von Curtis Mayfield produziert. Selbst die absolute Kargheit eines "Wait for the sound", das im Grunde nur aus Ambient-Geräuschen und einem monotonen Beat besteht, durchzieht ein ganz eigener Geist. "Chaka" nähert sich indes mit eingängigen Melodien wieder dem Pop an, doch schlägt damit nur eine Finte: Nach etwas mehr als einer Minute folgt der Zusammenbruch mit wahnsinnig verzerrtem Saxophon, akustischem Noise-Horror und Stille, ehe sich der Song wieder neu aufbaut.

Auf hohem Niveau muss sich "There is no year" bloß die Kritik gefallen lassen, dass mit dem weniger ausschweifenden Ansatz nicht so viel hängenbleibt wie bei seinen Vorgängern und dass der Sound beim dritten Mal schon etwas routiniert wirkt. Doch beides ändert nichts an der klaustrophobischen Dringlichkeit dieses abgründigen Trips, der sich am stärksten nicht im Tanzbein oder Kunstkopf, sondern im erschütterten Knochenmark niederschlägt. Wenn in "We can't be found" die – auf dem Album übrigens selten so klar vernommene – Gitarre zittert, zuckt man nicht im Rhythmus, sondern vor Nervosität mit. Und wie sieht es nun mit dem Verhältnis von Wut und Resignation aus? Im finalen "Nothing bloomed", der Algiers'schen Definition einer Klavierballade, klingt Fisher tatsächlich wie zusammengebrochen, doch türmt sich der Song noch zu einem Schlussakt auf, der in Sachen krachiger Wucht alles auf der Platte überbietet. Solange es noch brennt, gibt niemand hier auf.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • There is no year
  • Dispossession
  • Chaka
  • We can't be found

Tracklist

  1. There is no year
  2. Dispossession
  3. Hour of the furnaces
  4. Losing is ours
  5. Unoccupied
  6. Chaka
  7. Wait for the sound
  8. Repeating night
  9. We can't be found
  10. Nothing bloomed

Gesamtspielzeit: 37:02 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Klaus

Postings: 8934

Registriert seit 22.08.2019

2022-05-13 18:19:56 Uhr
Sind ja gerade auf Tour - ua. nächsten Mittwoch in Berlin.

Gestern wurde denen in Mailand ein großer Teil des Equipments aus dem Bus geklaut...

IVIJK

Postings: 32

Registriert seit 13.06.2013

2022-05-10 23:39:31 Uhr
Kenne die 3 Alben leider nicht in und auswendig, aber speziell angekündigt wurde kein neuer Song, daher wohl eher nicht.

Klaus

Postings: 8934

Registriert seit 22.08.2019

2022-05-10 23:35:34 Uhr
Oh, sehr schön. Gab es schon neue Songs live?
Hab mir spontan eine der letzten Karten für Berlin gekauft :)

IVIJK

Postings: 32

Registriert seit 13.06.2013

2022-05-10 23:34:26 Uhr
Kurzweilig wars!
Neues Album "Shook" am 7.Oktober!

Klaus

Postings: 8934

Registriert seit 22.08.2019

2022-05-08 15:23:38 Uhr
Kurzer Reminder hier, das die Band in 2 Wochen auf Tour ist.
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