Florist - Emily alone

Double Double Whammy
VÖ: 26.07.2019
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

How to fight loneliness
"I walk and I read, I spend time in the sea / But nothing brings clarity to what makes me me." Emily Spragues Musik lässt sich im Wesentlichen als Versuch begreifen, den Unklarheiten durch stetiges Tiefschürfen Kontur zu geben. Das bislang konsequenteste Dokument dieser Introspektion ist "Emily alone", dessen Titel gleich ein doppeltes Programm trägt. Zum einen hat die Frontfrau von Florist, eigentlich eine dreiköpfige Band, die Platte komplett ohne ihre Kollegen aufgenommen, nachdem sie von New York nach Los Angeles zog. Zum anderen verarbeitet Sprague hier ihre Isolation, eine Folge nicht nur jenes Umzugs, sondern auch des unerwarteten Tods ihrer Mutter. Doch der Opener "As alone" macht direkt klar, dass die Einsamkeit nur vorübergehender Ort des Rückzugs sein darf: "Emily, just know that you're not as alone / As you feel in the dark."
Florist machten schon immer schüchternen, fragilen Indie-Pop, doch "Emily alone" treibt, seinem Entstehungsprozess entsprechend, den Minimalismus an die Spitze. Man lauscht bloß einer Frau und ihrer größtenteils akustischen Gitarre, die meistens nicht mehr als zwei Akkorde pro Song spielt und sich höchstens von vorbeihuschenden Feldaufnahmen und sphärischen Synths begleiten lässt. Die Musik passt sich strukturell den abstrakten Texten an, ihr ständiger Fluss ist dem Hörer so nah wie der eigene Blutstrom. Dennoch gibt es auch klassischen Hooks nahekommende Momente, etwa das sehr einnehmende "Moon begins", dessen Refrain das Beieinander von Liebe und Tod besingt, oder auch "Now" – ausnahmsweise mehr Dylan als Sufjan Stevens, ist dieses E-Gitarren-Folk-Stück fast schon eingängig. "Rain song" erzeugt indes eine ganz eigene Art von Sogwirkung, wenn sich die Elektrische selbst einlullt und einzelne, tiefe Saitenanschläge einen meditativen Rhythmus vorgeben.
Der Titel des letztgenannten Tracks kommt nicht von ungefähr, schließlich bemüht sich Sprague um eine Zusammenführung ihrer Gefühlswelt mit der Ursprünglichkeit der Natur. "And if I lose my mind / Please give it back to the earth / Fire water wind", singt sie in "Celebration", das vom Spoken Word ausgehend seinen eigenen Blüteprozess durchlebt. Ähnlich wie die Hauptfigur Chiron im 2016er-Filmdrama "Moonlight" findet sie im Wasser Leitmotiv und Refugium, fühlt sich in dessen Nähe aber nicht immer nur behaglich: "Why do I feel so happy / When I stare at the ocean? / Then devastated / When I stare at the ocean." Die überweltliche Poesie des dazugehörigen "Ocean arms" findet sich auch in "Shadow bloom" wieder – einem Gedankenspiel um den letzten Tag auf Erden, der Banalitäten wie Teetrinken neben den letztlichen Einzug in die Geisterwelt stellt. Die von knisternden Schritten akzentuierte Piano-Ballade "M" bringt es simpel und effektiv auf den Punkt: "I believe in things we cannot see."
Doch bleibt die Gegenwart von negativen Emotionen und psychischer Krankheit eine Realität, die sich leider nicht so einfach im Spirituellen auflösen lässt. "Now it's time to go outside the house / Say hello to someone", heißt es im grandiosen "I also have eyes", doch weicht diese Selbst-Ermutigung schleichender Paranoia und Angst, die im Hintergrund flirrende Synthies subtil abzubilden wissen. "Time is a dark feeling" geht wohl am deutlichsten mit Depressionen um: "These are the days like the deepest caves / You would never dare to descend into." Doch Sprague gibt sich kämpferisch, lässt den Song auch ohne Band den ganzen Raum erfüllen: "Silence never did it for me." Es ist erfreulich, dass sich mit "Today I'll have you around" auch der endgültige Schlusspunkt hoffnungsvoll gestaltet, einer Ode ans Zusammensein, in der die sich überlappenden Stimmenspuren wie ein Duett klingen. Sprague mag die Platte in erster Linie für sich selbst geschrieben haben, doch findet sie eine Vielzahl an Resonanzkörpern in allen, die ihre Probleme nachempfinden können. "Emily alone" ist kein Album über, sondern gegen die Einsamkeit.
Highlights
- Moon begins
- I also have eyes
- Ocean arms
- Time is a dark feeling
Tracklist
- As alone
- Moon begins
- Celebration
- I also have eyes
- Ocean arms
- Time is a dark feeling
- M
- Now
- Rain song
- Still
- Shadow bloom
- Today I'll have you around
Gesamtspielzeit: 39:37 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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myx Postings: 5514 Registriert seit 16.10.2016 |
2020-01-04 15:42:18 Uhr
Klingt aufs erste Ohr wirklich nach einem sehr schönen Album und erinnert mich recht stark an "Sap Season" von Wished Bone, eine letztjährige Lieblingsplatte von mir. Werde mir "Emily alone" gerne in aller Ruhe anhören. :) |
maxlivno Postings: 2949 Registriert seit 25.05.2017 |
2020-01-04 13:50:42 Uhr
Schön geschriebene Rezi. Eines meiner Lieblingsalben, nicht nur des Jahres, sondern des Jahrzehnts. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28503 Registriert seit 08.01.2012 |
2020-01-03 21:22:39 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert. Als "Vergessene Perle 2019".Meinungen? |
maxlivno Postings: 2949 Registriert seit 25.05.2017 |
2019-10-10 13:06:15 Uhr
Hab das Album empfohlen bekommen mit der Beschreibung: „Es erinnert mich daran, wie einsam ACLAM klingt, nimmt diese Stimmung und verwandelt sie in eine warme Umarmung“Und ich muss der Person schon recht geben. War gestern beim Spaziergang sehr angenehm und heute auf dem Weg zur Arbeit auch |
jenni_FER |
2019-08-05 14:36:49 Uhr
uiuiui, also für mich. |
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Referenzen
Big Thief; Adrianne Lenker; Phoebe Bridgers; Julien Baker; Tomberlin; Jessica Pratt; Lucy Rose; Nai Palm; Mothers; Lomelda; Soak; Lucy Dacus; Boygenius; Mount Eerie; The Microphones; Sufjan Stevens; Purple Mountains; Bill Callahan; Bonnie 'Prince' Billy; Joni Mitchell; Vashti Bunyan; Nick Drake; Daniel Johnston; Ex:Re; Girlpool; Snail Mail; Julia Jacklin; Hand Habits; Frankie Cosmos; Soccer Mommy; Adult Mom; Japanese Breakfast; Clairo; (Sandy) Alex G; Kurt Vile
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