Max Herre - Athen

Universal
VÖ: 08.11.2019
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

50 km/h auf dem Midtempostreifen
Es ist schon erstaunlich, doch Autotune-Einsatz wirkt auf manche Menschen immer noch ähnlich brüskierend, wie ein eindringender Fremder, der das Nachbarskind in die Mangel nimmt. Und zwar das liebe mit den großen Augen. Nicht das überdrehte, schrille, das immer die Mülltonne umwirft. Im Fall von Max Herres "Athen", der ersten Vorabsingle zum nun mehr vierten Soloalbum, können solche (Erst-)Reaktionen nur fragend zurücklassen. Ist der Song doch vor allem eines: ein ausgezeichneter, weitläufiger Sechseinhalbminüter, der assoziativ und episodenhaft zwei Reiserouten nachzeichnet: Die in die griechische Hauptstadt und die von den Anfangsmomenten bis zur Endstation einer Zweierbeziehung. Diese zugegeben, nun ja, etwas verbrauchte Metapher vom Lebens- als Reiseweg, scheint trotz ihrer Pi mal Daumen mehr als 2000-jährigen Existenz nicht aus der Mode zu kommen.
Beim Berliner HipHopper schleicht sie sich angenehm unaufdringlich ein. Zum Beispiel, wenn er wie in "Siebzehn" beginnt, erst sein jüngeres Ich im jugendlichen Sohn zu finden, um sich kurz darauf in den eigenen Eltern wiederzuerkennen. Oder dann, wenn die Geburtstagsfeier des gealterten Vaters im Dub-Pop von "17. September" jene 20 Feste davor in sich trägt und Herre in den Strophen Szenen aus dem Familienleben kundtut. Hinter dem sphärischen "Villa auf der Klippe" – der Beat ist in etwa so kalt, wie die im Track besungenen weißen Wände – könnten ohne weiteres die Berliner von KitschKrieg stecken. Trettmann fügt sich als Feature-Gast ein wie das Ei im Eierlikör.
Kritische Stimmen werfen Herre nun vor, er würde sich am Szene-Zeitgeist abarbeiten. Aber warum eigentlich? Der Unterschied zwischen dem Künstler, der sich anbiedert und dem, der vorhandene Stilmittel gebraucht, wird letzten Endes an der Qualität der Musik zu messen sein. Und "Villa auf der Klippe" ist auf den Punkt gebracht ein richtig guter Song. Herres seit frühen Tagen konstant gemächlicher Flow gefällt sich im Midtempo, weil der gebürtige Stuttgarter seine Stärken darin perfekt ausspielen kann. Zu erstaunlich melancholischen Lounge-Jazz- bis Soul-Pop-Instrumentals erzählt der Familienvater mit klaren Worten: Klingt einfach, ist es aber nicht. "Das Leben ist ein Mosaik, für das man früh den Grundstein legt", verlautbarte der junge Max Herre zu Freundeskreis-Zeiten. Mit 46 Jahren mag er die Retrospektive immer noch am liebsten, nur sind ihm mittlerweile die Fragen wichtiger als die Antworten.
Das gilt auch für den gut fünfminütigen Gegenwartskommentar namens "Dunkles Kapitel" mit einprägsamer Hook und einem Dirk-von-Lowtzow-Feature, von dem man freundlich sagen kann, dass es nicht stört. Inhaltlich werden die 1930er- und 1940er-Jahre ins Jetzt geholt. Ein Vergleich, der wenn er auch nicht unberechtigt ist, doch übersieht, dass (Fremden-)Hass, Ressentiments und Repressionen zwar nach ähnlichen Mechanismen funktionieren, die konkreten historischen Situationen aber voneinander abweichen. Max Herre hier allzu stark in die Kritik zunehmen wäre allerdings ungerecht, zumal er mit dem Blickwinkel auf die Wirklichkeit seiner Großmutter gar nicht erst frontal in diese Falle tappt. Weitaus besser gelingt die Zeitkritik in "Sans Papiers", das anhand der gleichnamigen Figur nachzeichnet, was es heißt, ohne Papiere zu sein. Einen wirklichen Totalausfall erspart Herre sich und seinen Fans, "Das Wenigste" mit Joy Denalane schiebt das Pathos aber mit ziemlich ausgestreckter Brust vor sich her und ist bestenfalls im oberen Deutschpop-Durchschnitt anzusiedeln. Leider aber fehlen "Athen" nicht nur die Ausfälle sondern ebenso die wirklichen Ausrufezeichen. Der einzelne Song geht im Midtempofluss verloren. Doch Kopf hoch: Wenn man zum Abschluss leicht verzagt die Repeat-Taste betätigt, beginnt der Titeltrack von neuem.
Highlights
- Athen
- Villa auf der Klippe
- Sans Papiers (feat. YONII)
- Fälscher
Tracklist
- Athen
- Villa auf der Klippe (feat. Trettmann)
- Terminal C (7. Sek.)
- Siebzehn
- Lass Gehen
- 17. September
- Nachts
- Diebesgut
- Dunkles Kapitel (mit Megaloh & Dirk von Lowtzow feat. Sugar MMFK)
- Sans Papiers (feat. YONII)
- Fälscher
- Konny Kujau
- Das Wenigste (feat. Joy Denalane)
Gesamtspielzeit: 53:19 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28493 Registriert seit 08.01.2012 |
2019-12-01 14:48:27 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
maxlivno Postings: 2949 Registriert seit 25.05.2017 |
2019-11-14 18:36:27 Uhr
Vielleicht kommt die Rezi ja noch. Kann ja nicht jedes Album vorab rezensiert werden. |
Ituri Postings: 441 Registriert seit 13.06.2013 |
2019-11-14 16:57:27 Uhr
Verstehe es nicht, dass es keine Rezi gibt. Gerade "Dunkles Kapitel" hat es verdient. Groß! Und wichtig! Dermaßen! |
KingOfCarrotFlowers Postings: 228 Registriert seit 07.02.2018 |
2019-11-09 18:19:07 Uhr
gibt's da keine Rezension zu? |
Kojiro Postings: 4318 Registriert seit 26.12.2018 |
2019-11-09 15:59:15 Uhr
So ziemlich das eingetreten, was ich erwartet habe: Album vermutlich zugunsten eines etwas weichgespülteren Sounds nach hinten verlegt. Wenn er das Album mit der Atmosohäre von "Athen", "Villa auf der Klippe", "Nachts" und "Diebesgut" aufgezogen hätte, dann wär´s ein durchaus interessantes Projekt geworden. Bis auf die Singles noch "Terminal C" und ggf. noch "Siebzehn" und "Konny Kujau". Der Rest ist fürchterlich. |
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Referenzen
undeskreis; FK Allstars; Tua; Trettmann; KitschKrieg; Goldroger; Ahzumjot; Fatoni; Megaloh; Marteria; Clueso; Cro; Dendemann; OK Kid; Afrob; Maeckes; Die Orsons; Umse; Gentlemen; Die Fantastischen Vier; Chefket; Peter Fox; Joy Denalane; Olson; 3Plusss; EinsZwo; Samy Deluxe; Nico Suave; Maxim; Antilopen Gang; Massive Töne; Patrice; Blumentopf; Jan Delay; Seeed; Prinz Pi; Deichkind; Kool Savas; Fettes Brot; Bosse; Mac Miller; Nneka; Alborosie; Yasha; Neonschwarz; Kinderzimmer Productions; Das Bo; Ferris MC; Johnny Rakete
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