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Have A Nice Life - Sea of worry

Have A Nice Life- Sea of worry

The Flenser
VÖ: 08.11.2019

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Das unentdeckte Land

Kennt jemand Jürgen Link? Den Typen, der bestimmt schon dem ein oder anderen Germanistikstudenten kalte Schauer über den Rücken laufen ließ und der sich mit Foucault im Rücken an der Aufgabe abgearbeitet hat, zu erklären, wie Normalität Tag für Tag produziert wird? Der hat mit Have A Nice Life zwar absolut nichts zu tun, der Begriff der Normalität ist aber gleichsam wichtig, spricht man einen Takt ausführlicher über diese in jeglicher Hinsicht außergewöhnliche Band. Gestartet – zumindest laut eigener Aussage – als nicht ernstzunehmende Nebenbeschäftigung und Ort für abgefuckte Akustiksongs, geworden zum Internetphänomen mit dem Debüt "Deathconsciousness" und auch elf Jahre nach dessen Erscheinen noch immer nicht greifbar.

Weil Dan Barrett und Tim Macuga auch auf ihrem dritten Album "Sea of worry" eher im Dazwischen agieren. Und es ihren Hörern schlichterdings unmöglich machen, sich festzulegen, ob das hier jetzt nun Post-Punk, Doom, Ambient, Alternative-Rock oder einfach nur verquere Heulsusenmusik ist. Weil Have A Nice Life es auch weiterhin vorziehen, unter den diversen Radaren zu fliegen und vor allem, weil sie gut 46 Minuten voller Brüche und scheinbarer Widersprüche servieren. Dabei findet man sich zunächst so leicht zurecht, in diesem Album. Der Opener und Titeltrack sendet die Rhythmusfraktion in überschaubarem Tempo als Begrüßungskomitee voraus, um einen windschiefen Post-Punker hinterherzuschicken, der sich kürzlich schwer und unwiederbringlich in die Melodie verliebt hat. "Uh-uuh"s und durcheinanderstolpernde Backgroundchöre inklusive.

Das geht runter wie Öl. So wie auf den ersten Blick die gesamte erste Hälfte von "Sea of worry". Kulminierend im allüberragenden "Science beat", das zukünftig ein jeder abspielen möge, der in die Verlegenheit gerät, den Begriff "schwelgerisch" erklären zu müssen. Ein Song, der einen von Beginn in die Arme nimmt, der mit den Worten "All along / I've felt an insivible hand / Guiding my errant heart" verspricht, jeden Weg mit seinen Hörern zu gehen und der ganz leise und in schlichter Schönheit mehrstimmigen Gesangs endet. Ein Stück, das man nur ergriffen nochmals von vorne hören kann, lässt man sich nur ein wenig auf diese Band ein. Zum Heulen gut.

Und zwei Songs später taucht "Everything we forget" auf. Einfach so wird da all die vermeintliche Eingängigkeit der ersten vier Songs ohne weitere Worte zu verlieren verabschiedet, findet man sich plötzlich inmitten von Ambient-Klangflächen mit einer nicht von der Hand zu weisenden Drone-Schlagseite und gruseligen Synthie-Streichern wieder. Dabei wird hier nur das Feld für die unmittelbar folgende, songgewordene Magic-Karte "Lords of Tresserhorn" bereitet. Ein hoffnungslos übersteuerter Bass darf sich da bar jeder Orientierung in bislang unentdeckten Klanglandschaften verirren, bis er den Rest der Instrumentierung trifft und gemeinsam mit selbiger einen Song voll schroff-faszinierender Hässlichkeit erschafft.

Das Abenteuerliche: All das funktioniert. All das, was Have A Nice Life hier in einen Topf werfen, scheint auf völlig natürliche Art und Weise zueinander zu gelangen. Sinnigerweise schafft es dann auch der Closer "Destinos" von einem ausschweifenden Wortbeitrag über Gott, Satan, Weltanschauung, die Menschheit an sich, das Schicksal und dergleichen mehr über eine schüchtern durch die Tür lugende Akustikgitarre hin zu einem richtigen, geradezu ausschweifenden Rausschmeißer. In 13 nicht einen Moment langweiligen Minuten. Die wiederum jegliche Zu- und Beschreibungen mit Leichtigkeit untergraben, sie ihrer Bedeutung berauben und zu bloßen Worthülsen degradieren.

Geradezu unglaublich ist, dass "Sea of worry" schlussendlich als Album funktioniert. Obschon da eigentlich fast schon ein Loch in der Mitte klafft. Ein Bruch in Sound, Genre und Lautstärke. Der aber – wie man nach einiger Zeit erkennt – doch von der ersten Minute an vorbereitet wird. Wenn etwa "Dracula bells" nach der Hälfte der Spielzeit vollständig kollabiert und sich davon konsequenterweise nie mehr erholt. Oder wenn sich "Trespassers W", nachdem es mit einer Hand voll harmloser Powerchords gestartet ist in ein Finale stürzt, das den Song geradezu zum Hit werden lässt. Am Ende lösen sich viele Widersprüche auf, und der Blick wird nach und nach frei, für all die versteckten Details. Ein Album wie ein offenes Ende. Das entdeckt und gehört, gleichsam geliebt und gehasst werden will. Und zwar mit Hingabe. Normal ist das nicht.

(Martin Smeets)

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Highlights

  • Science beat
  • Trespassers W
  • Lords of Tresserhorn
  • Destinos

Tracklist

  1. Sea of worry
  2. Dracula bells
  3. Science beat
  4. Trespassers W
  5. Everything we forget
  6. Lords of Tresserhorn
  7. Destinos

Gesamtspielzeit: 46:22 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Mann 50 Wampe

Postings: 3280

Registriert seit 28.08.2019

2020-12-07 19:24:39 Uhr
Alle drei Alben sind Meisterwerke. Eine der spannendsten Bands derzeit. Würde die gerne mal live erleben.

ƒennegk

Postings: 331

Registriert seit 07.11.2019

2019-11-15 13:30:23 Uhr
Album gehört und... nicht ihr bestes; mehr so das drittbeste.
Ganz schlimm: Die ersten fünf oder so Minuten des eigentlich feinen Abschlusstracks.

maxlivno

Postings: 2740

Registriert seit 25.05.2017

2019-11-14 23:52:28 Uhr
Also ich hab das Album nicht gehört, aber Jürgen Link hat mir bei meiner letzten Hausarbeit geholfen, weiß nicht was an dem so schlimm sein soll :D

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2019-11-14 21:25:16 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

"Album der Woche"!

Meinungen?

Autotomate

Postings: 6174

Registriert seit 25.10.2014

2019-11-08 12:37:37 Uhr
Ab heute bei bandcamp: https://haveanicelife.bandcamp.com/album/sea-of-worry
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