Blaue Blume - Bell of wool

HFN / Rough Trade
VÖ: 08.11.2019
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Neue Knospen
Könnte sich der Rezensent noch an die Anfänge seines Germanistikstudiums erinnern, würde er Euch jetzt etwas Tiefergehendes zum Bandnamen von Blaue Blume erzählen. Immerhin auf Wikipedia ist wie immer Verlass: "Nicht die Schätze sind es, die so ein unaussprechliches Verlangen in mir geweckt haben […] aber die blaue Blume sehn' ich mich zu erblicken". So sinnierte Heinrich von Ofterdingen in Novalis' gleichnamigen Romanfragment und begründete damit die Symbolkraft besagter Pflanze für die Romantik. Zur sehnsuchtsvollen Musik des dänischen Quartetts passt dieses Motiv wie die Faust aufs Auge, doch ist ihr Verweis-Konzept nicht ganz kohärent: Auf dem Cover von "Bell of wool" sieht man einen Ausschnitt von François Bouchers Rokoko-Gemälde "Venus on the waves", dazu gibt es – anders als beim Debüt "Syzygy" – keine Kurzpoesie, sondern ganz banal die Tracklist der ersten Vinyl-Seite. Epochenschwindel und Pragmatik statt Romantik? Ganz so einfach ist es auch wieder nicht.
Verändert haben sich Blaue Blume definitiv. Das macht schon der an Neo-R'n'B erinnernde Opener "Swimmer" deutlich, in dem nur ein paar sanft changierende Ambient-Flächen Jonas Smiths Gesang begleiten. Das wundervolle "Someday" könnte mit seiner prismatischen Strahlkraft und dem Synthie-Loop schon fast ein Baths-Song sein, während gen Ende von "Sobs" sogar das gefürchtete Autotune-Gespenst umgeht. Der gemeine Gitarrenfreund könnte mit der Neuausrichtung der Dänen ein wenig fremdeln, doch verleiht sie ihnen auch eine gewisse Charakterstärke. Blaue Blume klingen nun weniger wie ein Referenz-Zyklon der besten Indie-Acts der Achtziger, mehr wie eine eigenständige Ableitung der Moderne. Auch Smiths Gesang, der noch immer von Anohnis und Perfume Genius' Liebeskind stammen könnte, profitiert von der sphärischen Umgebung und schneidet besonders tief ins Ohrmuschel-Fleisch.
Die Band hat sich dabei nicht bloß gehäutet, ihre Veränderung findet auf einer tieferen Ebene statt. Die Songstrukturen von "Bell of wool" sind abstrakt, sie wiederholen ihre Motive nicht in einfachen Strophe-Refrain-Schemata, sondern lassen sie in einem konstanten Fluss treiben und sich entwickeln. Im besten Fall entsteht dabei ein Meisterwerk der Harmonie wie "Vanilla": Auf einem Klangbett aus perlender Akustikgitarre und organischen Drums klagt Smith den gesellschaftlichen Umgang mit Depressionen an und steigert sich gemeinsam mit seinen Kollegen in ein intensives Finale: "I'm the realest thing alive, I am fury, I am fire." Auch "Rain rain" hat so einen beeindruckend dramatischen Schlussakt, der dissonantes Gebläse und mächtige Shoegaze-Wände aufzieht, nur um wieder in den anfänglichen Minimalismus zu kippen. An anderer Stelle erzeugt "Morgensol" eine eigenartige Form von Fremdheit und Intimität, weil Smith hier zum ersten Mal vollständig in seiner Muttersprache textet.
Es bleibt trotz allem festzuhalten, dass "Syzygy" das etwas bessere, weil musikalisch spannendere und vielschichtigere Album war. Dass "Bell of wool" manchmal ein wenig an seiner Gleichförmigkeit krankt, braucht man bei seiner subtilen Sogwirkung und den immer tollen Melodien aber auch nicht weiter zu problematisieren. Bei der ständigen Progression der Songs hält sich auch die Dynamik die komplette Plattenlänge aufrecht: "Bombard" beschreibt bis zu seinem Zusammenbruch eine einzige Klimax, während der Rhythmus-Einsatz von "Lovable" auch nach wiederholten Durchgängen noch kickt. Selbst in der allerletzten Schlussminute setzt "New navel" noch einen neuen Reizpunkt, wenn es mit endlos hallender Gitarre ein Refugium zwischen Dream-Pop und Weltraum-Strand findet. Für eine Band, deren Namensursprung schon mehr als zwei Jahrhunderte zurückreicht, bleiben Blaue Blume erstaunlich vorwärtsgewandt.
Highlights
- Someday
- Vanilla
- Bombard
Tracklist
- Swimmer
- Someday
- Morgensol
- Vanilla
- Rain rain
- Bombard
- Sobs
- Lovable
- New navel
Gesamtspielzeit: 36:44 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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The National Codex User Postings: 85 Registriert seit 15.05.2013 |
2020-06-14 23:10:57 Uhr
"Vanilla" - What a rush?! Unglaublich... |
Pivo Postings: 1418 Registriert seit 29.05.2017 |
2019-11-21 16:39:24 Uhr
Schade, dass es von dem Album keine CD-Version gibt. So musste ich mich, notgedrungen, bei Spotify einmal durchhören und kann die Blaue Blume wirklich nur empfehlen. Es gibt so viele Effekte in den Songs, dass es mich komplett "weggebeamt" hat. Manch einem mag dies zu überzeichnet klingen, aber für mich waren die Songs durchweg sehr entspannend und stark. Den in der Kritik angesprochenen "Gleichklang" kann ich nur teilen. Die Songs ähneln sich schon sehr, dies aber auf hohem Niveau. Etwas mehr Abwechslung hätte die Wertung sicher noch eine Pünktchen erhöht. So wie es vorliegt geht die 7/10 auch für mich voll in Ordnung. Mit unter 40 Minuten ist ein Gleichklang aber auch zu verschmerzen. Wenn das Album eine Stunde laufen würde, wäre es zu anstrengend. So ist es aber, grade noch so, in Ordnung. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28278 Registriert seit 08.01.2012 |
2019-11-08 11:25:42 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
Earl Grey Postings: 553 Registriert seit 14.06.2013 |
2019-11-06 17:33:49 Uhr
Und auch jede Ep.... allen voran Sobs mit Ebony! |
seabird Postings: 125 Registriert seit 11.08.2013 |
2019-11-06 17:22:04 Uhr
Das Debüt "Syzygy" war unglaublich gut :) unbedingt noch einmal reinhören !!! |
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Referenzen
Baths; Perfume Genius; How To Dress Well; Active Child; Anohni; Wild Beasts; The Antlers; Patrick Watson; The Boxer Rebellion; Washed Out; Toro Y Moi; Efterklang; Antony & The Johnsons; Owen Pallett; Jónsi; Sigur Rós; Mark Hollis; Talk Talk; Brian Eno; Roxy Music; Prefab Sprout; Cocteau Twins; Sufjan Stevens; Bon Iver; Palace Winter; Local Natives; The Slow Show; WhoMadeWho; Daughter; London Grammar; The xx; Beach House; The Postal Service; Shout Out Louds; Blood Orange
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