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Angel Bat Dawid - The oracle

Angel Bat Dawid- The oracle

International Anthem / !K7 / Indigo
VÖ: 04.10.2019

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Das Wunder von Chicago

Bei einem Blick auf Angel Elmores Biographie ist es gleichzeitig bewundernswert wie irritierend, dass sie mit "The oracle (erst) ihr Debütalbum veröffentlicht. Eigentlich war sie als Musikstudentin auf dem besten Weg, ihren Kindheitstraum in Erfüllung zu bringen, doch musste sie in ihren Zwanzigern den Tod ihrer Schwester sowie eine eigene Hirntumor-Diagnose samt anschließender OP erleiden. Um die sich aufstauenden Rechnungen zu begleichen, hing sie – abgesehen vom erfolglosen HipHop-Projekt Angel/DeLundon – die Musik an den Nagel und arbeitete Vollzeit. Doch Elmore gab nicht auf: Mit 34 schmiss sie ihren Job, widmete sich ganz Piano und Klarinette und partizipierte an der Jazz-Szene ihrer Heimatstadt Chicago. Mittlerweile hat sie sich als Multi-Instrumentalistin, Komponistin und Sängerin fest dort etabliert, spielte schon mit lokalen Größen wie Jaimie Branch oder Ben LaMar Gay und zog sogar eine eigene Oper auf. Dass der erste richtige Release unter ihrem Künstlernamen Angel Bat Dawid trotzdem noch lange auf sich warten ließ, ist sicherlich den straffen Live-Plänen geschuldet, was auch den extremen DIY-Charakter hinter "The oracle" erklärt. Dessen Aufnahme und Produktion übernahm Elmore auf ihrem Smartphone überall auf der Welt, teilweise direkt vor Konzerten, und fast komplett alleine.

Es erscheint dem Entstehungsprozess angemessen, dass jenes Album im Februar 2019 zunächst nur auf Kassette erschien, was die nun anstehende CD-Veröffentlichung aber nicht weniger erfreulich macht. Zugegeben, ein breites Publikum wird Elmore mit ihrer Nischenmusik auch auf den üblichen Medien nicht erreichen, aber wagemutige Hörer mit Affinität für fragmentarischen Free- und Spiritual-Jazz sollten auf jeden Fall ein Ohr riskieren. Das eröffnende "Destination" beginnt noch im Wohlklang, driftet aber später in Dissonanz und abseitige Stimmverzerrung. Der schwere Beat von "Black family", durch den Elmores HipHop-Vergangenheit schimmert, bleibt bis zum Ende standhaft, was für den Rest des Songs freilich nicht gilt – geplagt von frei zirkulierenden Vocal-Samples wird seine schöne Klarinetten-Melodie immer konfuser. Vielleicht ein Symbol für familiären Zusammenhalt inmitten der größten Unruhen, ganz sicher die erste kleine Herausforderung auf einem Album, das auch in seiner Formlosigkeit eine ungemein einnehmende Faszination ausstrahlt.

Das Meistern seiner Hürden belohnt "The oracle" immer wieder mit Momenten purer Schönheit. In "What shall I tell my children who are black" vertont Elmore Gedichtzeilen der Künstlerin Margaret Burroughs, schichtet ihre opernhaften Gesangsspuren zu einer mehrdimensionalen Geister-Ballade zusammen. Das tiefschürfende "We are starzz" hat eine ähnlich mystische Qualität, wenn auch einen optimistischeren Grundton und mehr Gospel-Anteil. "London" nähert sich mit seinem groovenden Piano trotz exzessivem Holzgebläse gar dem Pop. Wer sich hiervon unterfordert fühlt, findet eher Gefallen an "Impepho", das sich Schlaf- und Aufputschmittel gleichzeitig eingeschmissen hat, oder am völlig wahnsinnigen "Cape Town": eine Improvisation mit dem südafrikanischen Drummer Asher Simiso Gamedze und ein von jeder Struktur gelöstes Duett von Klarinette und Schlagzeug, das immer mit- und nie gegen- oder nebeneinander agiert. Am Ende dieses 15-minütigen Kraftakts stampft Elmore auf dem Boden und jubiliert, Gamedze gibt nur ein erschöpftes "Oh damn" von sich. Auch den abschließenden Titeltrack durchzieht diese ungefilterte Emotionalität, wenn der Gesang der 39-Jährigen fast schon nach Schluchzen klingt. Es sind Freudentränen, sicherlich – nach all ihren Entbehrungen ist Angel Bat Dawid da angekommen, wo sie schon immer sein wollte.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • We are starzz
  • London

Tracklist

  1. Destination (Dr. Yusef Lateef)
  2. Black family
  3. What shall I tell my children who are black (Dr. Margaret Burroughs)
  4. Impepho
  5. We are starzz
  6. London
  7. Cape Town (feat. Asher Simiso Gamedze)
  8. The oracle

Gesamtspielzeit: 43:55 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

humbert humbert

Postings: 2406

Registriert seit 13.06.2013

2019-11-08 18:24:15 Uhr
Sorry, ich habe die Rezension nur überflogen. Danke für die Info. Das Album gibt es jedenfalls schon länger als Streaming.

Marvin

Plattentests.de-Mitarbeiter

Postings: 67

Registriert seit 27.04.2018

2019-11-08 18:17:35 Uhr
Ja, im Februar, allerdings nur auf Kassette, wenn ich richtig informiert bin. Steht auch so in der Rezension, Anfang vom zweiten Absatz.

humbert humbert

Postings: 2406

Registriert seit 13.06.2013

2019-11-08 18:02:31 Uhr
Kam das Album nicht schon vor einem halben Jahr raus?

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2019-11-08 11:24:16 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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