Kanye West - Jesus is king
GOOD / Def Jam / Universal
VÖ: 25.10.2019
Unsere Bewertung: 4/10
Eure Ø-Bewertung: 4/10
Kanzel-Culture
"Überheblichkeit erniedrigt einen Menschen; Ehre erlangt, wer nicht hoch von sich denkt." (Bibel, Sprüche 29:23)
"I've been telling y'all since '05 / The greatest artist, restin' or alive." (Kanye West, "On God")
Aber wen interessieren schon solche Maßgaben wie Bibelweisheiten oder die Predigten anderer, wenn man Kanye West heißt und seine eigene Auslegung des Glaubens hat? Und seinem neunten Album mal eben den Titel "Jesus is king" verpasst? Der zugehörige chaotische Rollout hat zumindest seit "The life of Pablo" Regelmäßigkeit und lockt keinen mehr hinterm Ofen hervor. Der ursprünglich geplante Titel wurde zwei Monate zuvor durch den neuen Namen ersetzt: "Everybody wanted 'Yandhi' / Then Jesus Christ did the laundry." Dazwischen kamen und gingen mehrere Veröffentlichungstermine. West werkelte angeblich noch in der Nacht vor dem Release an den Mixen diverser Tracks. So klingt letztlich leider auch das Ergebnis: zusammengeschustert und stellenweise grauenhaft produziert.
Dass die Hinwendung zu christlichen Texten und zu Gospel-Einflüssen kein Marketing-Trick ist, darf man dem Exzentriker ruhig abnehmen. Denn es ist nicht zu vergessen, dass er sich schon auf dem Debüt "The college dropout" mit "Jesus walks" ganz klar zu seiner Religiösität bekannte und damit ein bis dahin unpopuläres Thema im Rap salonfähig machte. Es half natürlich auch, dass jener Song immer noch ein absolutes Brett ist und zum besten gehört, was West je aufgenommen hat. Doch auch in jüngeren Jahren fanden Karrierehighlights wie "Ultralight beam" ihr Heil im Glauben. Womöglich hätte man in Gedenken an diese beiden Stücke trotz des letztjährigen, konfusen "Ye" und seinem zunehmend besorgniserregenden öffentlichen Auftreten einige Erwartungen an ein christliches Kanye-West-Album zwischen HipHop und Gospel haben können. "Jesus is king" erfüllt diese allerdings leider nicht.
Die meisten der kurz gehaltenen Stücke wirken wie ein verfehlter High Five – kaum tauchen gute Ideen auf, werden sie zu schnell wieder abgewürgt. Ein interessantes, minimalistisches Sound-Experiment wie "Closed on Sunday" wird durch die strunzblöde, eine konservativ eingestellte Hähnchenbraterei referenzierende Zeile "Closed on Sunday, you're my Chick-Fil-A" torpediert. "Follow God" holt ein ähnliches Sample wie schon bei "Father stretch my hands, pt. 1" hervor und sorgt wenigstens knapp zwei Minuten für Kopfnicken, obwohl besonders hier der krass übersteuerte Mix negativ auffällt. Davor donnern die Percussion-Schläge von "Selah" wie eine Androhung der Apokalypse, erzeugen tatsächlich Atmosphäre und trösten über den seltsamen "Hallelujah"-Chor in der Mitte hinweg. All diese Momente bleiben jedoch für sich, denn die Tracks rasseln trotz des einheitlichen Gesamtthemas aneinander, als kämen sie aus völlig verschiedenen Welten.
Die erste Albumhälfte kann sich zumindest mit einigen Ideen gut überm Weihwasser halten, ab der Mitte versinkt die Platte jedoch in tiefer Ödnis. So bleibt die auf dem Papier sensationelle Zusammenkunft der wiedervereinigten Clipse und dem Adult-Radio-Saxofonist Kenny G in "Use this gospel" im Ergebnis völlig langweilig. Die Verse von Pusha T und No Malice bleiben klinisch rein getrennt, zudem scheinen sie auf einen völlig anderen Beat als den im Song verwendeten gerappt zu haben. Wenn man dieses Autotür-Blinken aus Two Door Cinema Clubs "Costume party" überhaupt als Beat bezeichnen kann. Kenny Gs Solo ist ein zwar unerwarteter, aber schöner Moment, gerade dann jedoch, wenn der Track plötzlich Fahrt aufnimmt, bricht er ab. Dass "Jesus is king" von dem durch das absurd hohe Tempo fast unhörbaren reinen Gospel-Stück "Every hour" und dem nach 49 Sekunden unsanft abgewürgten "Jesus is lord" umschlossen ist, kann als Symbol für die vorherrschende Hastigkeit und Schludrigkeit gesehen werden.
Was West außerdem als Erleuchtung zu bezeichnen scheint, ist in Wahrheit nur die Spiegelung des eigenen Egos. Der Vorwurf, "Jesus is king" klänge eher wie eine Parodie eines christlichen Rap- oder Gospel-Albums, ist nicht unbegründet. Kreative Wege, sich mit dem eigenen Glauben auseinanderzusetzen, wie es etwa Sufjan Stevens, Kendrick Lamar oder eben auch West einst selbst es getan haben, sucht man vergebens. Stattdessen gibt es gutgläubige Allgemeinplätze wie "My life is His, I'm no longer my own." Wie monoton West in "Water" sein Gebet an Jesus herunterleiert, ist derweil bemerkenswert, vor allem im Kontrast zum deutlich energischer singenden Ant Clemons. Das ist allerdings immer noch besser, als wenn er in "On God" allen Ernstes die hohen Preise seines Merchandise damit rechtfertigt, seine Familie nicht verhungern lassen zu dürfen. In solchen Momenten lässt er noch mehr als gewohnt wirklich jeglichen Realitätsbezug vermissen – ganz zu schweigen von christlicher Demut oder Nächstenliebe. Ohnehin wird Wests Vorstellung von Gott, Jesus und der Lehre des Christentums nie konkreter als eine diffuse Schablone.
Keine Frage, "Jesus is king" schwächelt noch bedenklicher als sein Vorgänger "Ye". Es scheint so, als wandle er seine Schicksalsschläge und die Kämpfe gegen seine psychischen Probleme nicht mehr in große Kunst um, sondern lasse sich nur noch von seinen Launen leiten. Das Genie blitzt dabei immer seltener auf, es bleibt ein völlig verwirrtes und verwirrendes Werk aus nicht zusammengeführten Ansätzen und halb angebissenen Songideen. Während 2018 Pusha Ts "Daytona", "Kids See Ghosts" mit Kid Cudi und Teyana Taylors "K.T.S.E." zeigten, dass West als Produzent im Gespann mit den richtigen Sparringspartnern immer noch Großes leisten kann, neigt er im Alleingang dazu, sowohl den dümmsten Ideen einen Platz auf der Platte einzuräumen, als auch die Geistesblitze – die er nach wie vor hat – nicht richtig auszuarbeiten. Wenn der Trend weiter anhält, kommt da noch Schlimmes auf uns zu. Ach Du heilige Scheiße.
Highlights
- Selah
- Follow God
Tracklist
- Every hour (feat. Sunday Service Choir)
- Selah
- Follow God
- Closed on Sunday
- On God
- Everything we need (feat. Ty Dolla $ign & Ant Clemons)
- Water (feat. Ant Clemons)
- God is
- Hands on (feat. Fred Hammond)
- Use this gospel (feat. Clipse & Kenny G)
- Jesus is lord
Gesamtspielzeit: 27:04 min.
Album/Rezension im Forum kommentieren (auch ohne Anmeldung möglich)
Teile uns Deine E-Mail-Adresse mit, damit wir Dich über neue Posts in diesem Thread benachrichtigen können.
(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33688 Registriert seit 07.06.2013 |
2020-07-02 15:56:57 Uhr
Ok, dann wäre es wohl in einem "Neues Album"-Thread besser aufgehonben. |
maxlivno Postings: 2872 Registriert seit 25.05.2017 |
2020-07-02 14:13:04 Uhr
Das Lied soll auf dem kommenden Album sein, aber bei Kanye weiß man/frau ja nie |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33688 Registriert seit 07.06.2013 |
2020-07-02 14:12:07 Uhr
Das Ding ist aber nicht auf dem Album, oder? |
poser Postings: 2330 Registriert seit 13.06.2013 |
2020-07-01 02:20:19 Uhr
gar nicht mal schlecht. Hoffentlich wird das wieder was mit Kanye. |
maxlivno Postings: 2872 Registriert seit 25.05.2017 |
2020-06-30 23:35:59 Uhr
Der Beat fetzt. Klingt nach yeezus. Mit den religiösen Motiven kann ich nichts anfangen, aber die "Calmye"-line gab mir schon etwas. |
Hinterlasse uns eine Nachricht, warum Du diesen Post melden möchtest.
Referenzen
Jay-Z & Kanye West; Drake; Jay-Z; Kid Cudi; Kids See Ghosts; J. Cole; Wiz Khalifa; Big Sean; Danny Brown; Lil Wayne; Lupe Fiasco; T.I.; Nas; Kendrick Lamar; Common; Mos Def; Black Star; Talib Kweli; Rick Ross; The-Dream; The Game; Curren$y; Jay Electronica; A Tribe Called Quest; Schoolboy Q; Meek Mill; Pusha T; Clipse; Childish Gambino; Travis Scott; Chance The Rapper; Nas; Earl Sweatshirt; Future; Joey Bada$$; Madvillain; Ab-Soul; Dilated Peoples; Arrested Development; Talib Kweli & Madlib; The Pharcyde; Wale; Big K.R.I.T.; Jay Rock; Slum Village; J Dilla; Otis Redding; Ray Charles; Aretha Franklin
Bestellen bei Amazon
Weitere Rezensionen im Plattentests.de-Archiv
Threads im Plattentests.de-Forum
- Kanye West & Ty Dolla $ign - Vultures 1-3 (58 Beiträge / Letzter am 15.10.2024 - 09:30 Uhr)
- Kanye West - The life of Pablo (422 Beiträge / Letzter am 11.02.2024 - 20:03 Uhr)
- Kanye West - Neues Album (3 Beiträge / Letzter am 11.02.2024 - 13:01 Uhr)
- Ist Kanye West der größte Künstler unserer Zeit? (165 Beiträge / Letzter am 21.01.2024 - 14:54 Uhr)
- Kanye West - My beautiful dark twisted fantasy (406 Beiträge / Letzter am 14.11.2022 - 22:04 Uhr)
- Kanye West - Donda 2 (14 Beiträge / Letzter am 02.11.2022 - 13:47 Uhr)
- Kanye West - Ye (172 Beiträge / Letzter am 28.10.2022 - 13:43 Uhr)
- Kanye West - Donda (187 Beiträge / Letzter am 23.11.2021 - 00:25 Uhr)
- Jay-Z & Kanye West - Watch The Throne (42 Beiträge / Letzter am 22.05.2021 - 12:44 Uhr)
- Kanye West - Yeezus (190 Beiträge / Letzter am 12.04.2021 - 15:01 Uhr)
- Kanye West - Jesus is king (119 Beiträge / Letzter am 02.07.2020 - 15:56 Uhr)
- Bester Song von Kanye West (9 Beiträge / Letzter am 07.01.2020 - 16:34 Uhr)
- Kanye West - 808's & Heartbreak (134 Beiträge / Letzter am 15.12.2019 - 15:51 Uhr)
- Kanye West - Late registration (81 Beiträge / Letzter am 22.09.2018 - 22:30 Uhr)
- Kanye West & Drake - Neues Album (15 Beiträge / Letzter am 06.06.2018 - 08:55 Uhr)
- Kanye West - Graduation (59 Beiträge / Letzter am 12.09.2017 - 09:30 Uhr)
- Kanye West - Der lebende Gott (11 Beiträge / Letzter am 17.06.2014 - 11:53 Uhr)
- Kanye West - The college dropout (8 Beiträge / Letzter am 17.01.2013 - 00:40 Uhr)
- cLOUDDEAD / Kanye West / Madvillain (26 Beiträge / Letzter am 09.07.2007 - 20:35 Uhr)
- Kanye West feat. Daft Punk - Stronger (8 Beiträge / Letzter am 29.06.2007 - 20:17 Uhr)