Wilco - Ode to joy

dBpm / ADA / Warner
VÖ: 04.10.2019
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

Funken die Götter?
Wilco wollen's wissen: Zuletzt verdingte sich die Alternative-Country- und Indie-Rock-Band aus Chicago ja vor allem auf der Kurzstrecke. Ihre letzten beiden Platten, "Star wars" von 2015 und das nur ein Jahr später erschienene "Schmilco" dauerten jeweils nur unwesentlich länger als eine halbe Stunde. Im Vergleich mit früheren, beinahe verschwenderisch arrangierten Großtaten wie "A ghost is born" wirkten die letzten Alben der Gruppe also wie kleine, nicht übermäßig gewürzte Lachshäppchen inmitten eines großen Festtagsbanketts. Keine Frage: Diese kurzen Werke hatten in ihrer hingeworfenen Schludrigkeit, in ihrer Reduktion aufs beinahe schon Skizzenhafte sicherlich ihren ganz eigenen Reiz. Zu Top-Form – wie beispielsweise in Zeiten von "Yankee hotel foxtrot" – liefen Jeff Tweedy und Co. mit ihnen dennoch eher nicht auf. Die wichtigste Frage war also im Vorfeld: Welche Art von Album liefern Wilco mit ihrer nunmehr elften Platte "Ode to joy" ab? Gibt es großzügige Stücke mit inkludierten Lärmattacken? Oder bleiben Wilco, wie zuletzt so oft, dem simplen Folk-Song verpflichtet, ohne große Umschweife und Ablenkungsmanöver?
Die vorab veröffentlichte Auskopplung "Love is everywhere (Beware)" ließ das kleine Herz schon mal höher schlagen: Über einen sachte angedeuteten Country-Twang gniedelt sich zunächst ein Rudel frohlockender Gitarren in Ekstase, dann setzt Tweedys schlaftrunkene Stimme ein, die noch jeden erhöhten Blutdruck auf Normalmaß gesenkt hat. Ein schöner Vorgeschmack. Aber auch ein trügerischer Eindruck. Der widerborstige Opener "Bright leaves" jedenfalls schält sich mühsam aus seinem beinahe melodielosen Kokon, Tweedy schleppt sich durch die Strophen, einen richtigen Refrain findet man in diesem Dickicht nicht. Dass diese vier Minuten dennoch Schönheit ausstrahlen, ist eigentlich kaum zu glauben. Auch das folgende "Before us" bleibt im verschleppten Midtempo, einsame Gitarren streunen durch lichtlose, menschenleere Straßen, Tweedys Stimme ist der Wind, der durch die Gassen pfeift. Auf "Ode to joy" zeigen sich Wilco von ihrer introvertierten Seite, klangliche Ausbrüche passen nicht in dieses brüchige Idyll aus sanften Melodien, zurückhaltenden Rhythmen und der herbstlich-fragilen Wärme, die durch alle elf Songs huscht. Im etwas flotteren "Everyone hides" lassen Wilco dann ein wenig Dynamik zu und lösen endlich die Handbremse, die man manches Mal angezogen vermutet.
Die wirklich großen, alles umarmenden Wilco-Momente findet man auf "Ode to joy" indes nicht. Keiner der neuen Tracks erreicht die Dringlichkeit von "Heavy metal drummer", die neblige Schönheit eines "Impossible Germany" oder den künstlerischen Wagemut von "Art of almost". Ein schlechtes Album ist "Ode to joy" natürlich nicht und vielleicht ist es ein wenig unfair, die tollen, starken, großen Brüder und Schwestern als Vergleich heranzuziehen. Doch zweifelsohne steht ein Album nicht für sich alleine, wirkt es doch im Kontext des Gesamtwerkes einer Band. Folglich bleibt "Ode to joy" eher eine Platte aus der zweiten Reihe, ein Liebhaberwerk vielleicht und ganz bestimmt kein Album, das man dem kleinen Neffen zum Einstieg empfiehlt. Dass der beginnende Herbst mit der süßen Schmerzensmelodie von "One and a half stars" und dem schunkelnden Rhythmus von "Citizens" wesentlich schöner wird als er es ohne diese Songs würde, dürfte ja ohnehin klar sein. Doch mit Blick auf den Albumtitel bleibt letztlich eine essentielle Frage: Wo ist er hin, der Götterfunken?
Highlights
- Bright leaves
- Citizens
- Love is everywhere (Beware)
Tracklist
- Bright leaves
- Before us
- One and a half stars
- Quiet amplifier
- Everyone hides
- White wooden cross
- Citizens
- We were lucky
- Love is everywhere (Beware)
- Hold me anyway
- An empty corner
Gesamtspielzeit: 42:32 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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dreckskerl Postings: 11152 Registriert seit 09.12.2014 |
2021-09-22 19:52:12 Uhr
Nein, die sind nicht verschwistert, die klingen soooo anders, aber eagl...alles großartige Musik. |
AliBlaBla Postings: 8076 Registriert seit 28.06.2020 |
2021-09-22 18:50:19 Uhr
Also ich finde "Sky blue sky" und "ode to joy" verschwistert, nich Zwillinge, aber verschwistert...in ihrer Gesamt-Wirkung, herbstlichen Wärme..Meine Lieblings-WILCO-Platten (mit "The whole Love")...nich so Mucker-Tum und Sound-Gefrickel, sondern Songwriting in großen Lettern. |
dryeye Postings: 204 Registriert seit 28.09.2018 |
2021-09-21 23:26:35 Uhr
solid sound im nächsten jahr schon etwas früher...https://mailchi.mp/b76b2c139f9b/solid-sound |
Takenot.tk Postings: 2189 Registriert seit 13.06.2013 |
2021-09-21 11:30:12 Uhr
Na, ne 8/10 würde ich schon zücken, wenn auch eine unglaubliche subtile 8/10 wie ich zugeben muss, die weniger aus den einzelnen Songs als aus dem homogenen Sound/Gefühl hervorgeht.Aber ja, Sky Blue Sky ist ne 10 bei mir, was das angeht bin ich also demnach bei dir. Ein schönes Album, nichtsdestotrotz, und eines dass ich immer wieder mal auflege. |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 34683 Registriert seit 07.06.2013 |
2021-09-21 11:23:02 Uhr
Ja, das schon... aber leider bedeutet das bei mir trotzdem nur so ne 7/10. Bis inklusive "Sky blue sky" waren sie irgendwie in einer anderen Liga. |
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Referenzen
Tweedy; Jeff Tweedy; Loose Fur; Golden Smog; Califone; My Morning Jacket; Big Star; Nilsson; The Beatles; John Lennon; Paul McCartney; Nick Drake; The Velvet Underground; Lou Reed; The Kinks; Spoon; Sonic Youth; Steve Miller Band; Steely Dan; Electric Light Orchestra; Shearwater; Okkervil River; The Minus 5; R.E.M.; Calexico; The Court And Spark; Ryan Adams; M. Ward; Giant Sand; Bright Eyes; Grateful Dead; Neil Young; Willie Nelson; Harry Nilsson; Solomon Burke; Neil Diamond; Leonard Cohen; Lambchop; Jason Lytle; Grandaddy; The Flaming Lips; The Most Serene Republic; Broken Social Scene; Apostle Of Hustle; The Besnard Lakes; For Stars; Yo La Tengo; Clem Snide; Ron Sexsmith; Monta; Elbow; The Divine Comedy; Radiohead; Tortoise; Talking Heads
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