Charli XCX - Charli

Asylum / Warner
VÖ: 13.09.2019
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 3/10

Star warps
Wie die Zukunft klingen könnte, haben bereits viele versucht herauszufinden. Bei Charlotte Aitchison hat man jedoch das Gefühl, dass sie regelrecht davon besessen ist. Seit dem mit Goth angehauchten Debüt "True romance" und dem ungestümen, beinahe punkigen "Sucker" hat sich die als Charli XCX bekannte Britin auf Pop mit futuristischem Touch konzentriert. Das metallisch knatternde "Vroom vroom" von der gleichnamigen EP lieferte die Blaupause – entstanden zusammen mit der schottischen Produzentin und Songwriterin Sophie, deren 2018er Monsteralbum "Oil of every pearl's un-insides" mindestens ebenso sperrig wie sein Titel war. Charli XCX nutzt die technologischen Möglichkeiten des Studios ähnlich gerne, genauso wie sie jedoch mindestens mit einem Fuß im Mainstream steht. Erst kürzlich hatte sie die Finger bei Shawn Mendes' und Camila Cabellos "Señorita" im Spiel, das es in mehreren Ländern auf Platz eins der Charts schaffte. Ihr schlichtweg "Charli" betiteltes Album sitzt genau zwischen diesen Stühlen.
Die 15 Songs probieren einige populäre Spielarten aus: Sei es ein wummernder Posse Cut wie "Shake it", die druckvolle Eröffnung auf Highspeed in "Next level Charli" oder ein heimelig-sanftes "Warm", in welchem sich Aitchison mit den Schwestern von Haim auf einem Teppich aus Synthesizern räkelt. Dass sie selbst sich immer noch als Außenseiterin im Musikbusiness fühlt, ist kein Zufall – schließlich sabotieren sich ihre Stücke auf dem Weg ins Radio nicht selten selbst. Am ehesten dürfte dort noch "Blame it on your love" funktionieren, ein leider etwas flach geratenes Remake des beeindruckenden "Track 10" von "Pop 2", das auf jeglichen Bruch verzichtet. "Charli" ist ansonsten allerdings die Fortführung der Klangwelt jenes Mixtapes, häufig sogar mit den gleichen Kollaborateuren. Die frivole Rapperin CupcakKe, die brasilianische Drag Queen Pabllo Vittar, der estnische Rapper Tommy Cash – sie alle sind erneut mit dabei. Darüber hinaus gibt es einige interessante neue Paarungen.
Allen voran begeistert "Gone", ein Duett mit Héloïse Letissier alias Christine And The Queens. "I feel so unstable / Fucking hate these people / They're making me loathe", heißt es dort über das einsame Gefühl inmitten der Menschenmenge. "Don't search me in here / I'm already gone", singen die beiden und tatsächlich weicht die Menschlichkeit der Stimmen in der Coda eine Verhäckselung der Vokalspur. Es ist Aitchisons bisher bester Song. Mit Sky Ferreira zerlegt sie in "Cross you out" zu düster marschierenden Synths zumindest metaphorisch einen Menschen, der es verdient hat, zurückgelassen zu werden. Diese Dramatik steht ihr umwerfend, sodass das folgende "1999" mit Troye Sivan – ist 1999 nun wirklich schon lange genug her für Nostalgie? – trotz seiner Launigkeit ein unerwarteter Schwenk ist. Generell muss sich "Charli" allenfalls vorwerfen lassen, die Stimmung in kurzer Zeit teils sehr stark zu variieren. An den einzelnen Songs gibt es nämlich kaum etwas zu mäkeln. Eine so tolle, herrlich pathetische Synth-Ballade wie "I don't wanna know" kriegt man nicht alle Tage. Und das brutale Skitter-Ende von "Click" dürfte all diejenigen schocken, die ein braves Radiopop-Album erwartet haben.
Momente wie dieser dürften unter anderem dafür sorgen, dass auch "Charli" nicht Aitchisons Schlüssel zum Massenerfolg sein wird. Und da sie bereits mehrfach als Songwriterin gezeigt hat, dass sie durchaus verkaufskräftige Hits schreiben kann, scheint sie diesen für ihre eigene Musik offenbar nicht mehr nötig zu haben. Denn wenn am Schluss mit "2099" die Fortsetzung zu "1999" wartet, klingt das tatsächlich nach Zukunft. Die Boxen werden von den Klangeffekten zerwarpt, einen Refrain braucht das Ding nicht mal, um Eingängigkeit zu erreichen. Sieht so Popmusik am Ende dieses Jahrhunderts aus? Womöglich sind wir bereits gar nicht so weit weg davon, wenn Lil Nas X' Debütsingle trotz Nine-Inch-Nails-Sample in den USA den Rekord für die meisten Wochen an der Chartspitze bricht und eine Billie Eilish in ihrem größten Hit eigentlich nicht mehr als flüstert. Charli XCX ist womöglich also wirklich die Zukunft. Vielleicht sitzt sie nun dort und wartet gemütlich, bis der Mainstream sie eingeholt hat. Oder läuft weiter voraus.
Highlights
- Gone (with Christine And The Queens)
- Cross you out (feat. Sky Ferreira)
- I don't wanna know
- 2099 (feat. Troye Sivan)
Tracklist
- Next level Charli
- Gone (with Christine And The Queens)
- Cross you out (feat. Sky Ferreira)
- 1999 (feat. Troye Sivan)
- Click (feat. Kim Petras & Tommy Cash)
- Warm (feat. Haim)
- Thoughts
- Blame it on your love (feat. Lizzo)
- White Mercedes
- Silver cross
- I don't wanna know
- Official
- Shake it (feat. Big Freedia, CupcakKe, Brooke Candy & Pabllo Vittar)
- February 2017 (feat. Clairo & Yeaji)
- 2099 (feat. Troye Sivan)
Gesamtspielzeit: 50:58 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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lumiko Postings: 1282 Registriert seit 09.09.2015 |
2019-10-18 15:38:58 Uhr
dann werde ich mir True romance auch mal anhören :-) |
MopedTobias (Marvin) Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion Postings: 19655 Registriert seit 10.09.2013 |
2019-10-17 22:22:10 Uhr
"True romance" ist meine ganz klare Nummer eins und generell eins meiner liebsten Pop-Alben der 10er. Alleine der Opener bläst alles weg, ihr bester Song."Sucker" kommt dahinter. "Pop 2" schätze ich für die Ambition, aber in meinen Ohren funktioniert nicht alles. Dahinter kämen "Charli" und die erwähnten EPs/Mixtapes. |
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 8776 Registriert seit 26.02.2016 |
2019-10-17 22:07:56 Uhr
"Pop 2" ist für mich auch ihr bestes, "Charli" knapp dahinter. "Vroom Vroom" und "Number 1 Angel" lohnen auch."Sucker" hab ich über die Zeit mehr schätzen gelernt, ist halt unaufhörlich energisch, aber wenn man da mal Bock drauf hat, funktioniert es. "True Romance" fand ich damals mega, irgendwie hat es über die Jahre aber etwas eingebüßt. Trotzdem hat es tolle Tracks drauf. |
Affengitarre User und News-Scout Postings: 10276 Registriert seit 23.07.2014 |
2019-10-17 21:14:07 Uhr
Ja, die "Pop 2" kommt ja weitestgehend am Besten weg. "Track 10" haben die ja auch für "Charli" zum Pophit umfunktioniert. Bin mal gespannt. |
MopedTobias (Marvin) Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion Postings: 19655 Registriert seit 10.09.2013 |
2019-10-17 20:56:29 Uhr
Tu das! "True romance" hat einen 80er/New-Wave-Vibe, "Sucker" ist bisschen punkig. "Pop 2" (eigentlich ein Mixtape) hat einen ähnlichen Sound wie "Charli", ist aber um einiges wilder, was das Einreißen von Strukturen angeht. Sollten dir eigentlich alle zusagen. |
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Referenzen
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