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Deichkind - Wer sagt denn das?

Deichkind- Wer sagt denn das?

Sultan Günther / Universal
VÖ: 27.09.2019

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Doll im Saft

Ist es reiner Zufall, dass Deichkind ihr siebtes Album "Wer sagt denn das?" nennen und kurz vorher Schlagerbarde Ben Zucker – genau der, der immer so gepresst singt, als würde er gerade einen Bob in die Bahn legen – sein Werk "Wer sagt das?!" veröffentlicht hat? Man stelle sich vor, unwissende Eltern würden ihren Sprösslingen aus Versehen die falsche Platte kaufen und plötzlich schallt sowas wie "Wir sind hier, wir sind wir / Das ist alles, was jetzt zählt" durch die Boxen. Zugegeben, das ist unrealistisch. Wer noch im entsprechenden Alter ist, kennt wahrscheinlich eh nix mehr außer Streamingdiensten. [Wer sagt denn das?, Amn. d. Red.] Und dürfte sich mit einigen Themen hier bestens identifizieren. "Cliffhänger" behandelt zu Tropical-House-Klängen die Sucht nach der nächsten Folge dieser und jener Netflix-Serie, der famos derangierte Schaltkreis-Pop von "Powerbank" lässt die umstehenden Leute fragen: "Wo hat der Typ eigentlich immer seinen Saft her?" Gleichsam könnte man fragen: Wieso kriegen Kryptik Joe und Porky – mittlerweile wieder ohne Ferris MC unterwegs – aus ihrem Konzept immer noch so viel rausgepresst?

"Wer sagt denn das?" umfasst ohne Intro ganze 17 Tracks und ist das längste Album seit den seligen Zeiten des noch tief im nordischen HipHop verwurzelten Debüts "Bitte ziehen Sie durch". Seitdem sind Deichkind mit ihrer Elektro-Freakshow längst eine andere Band. Eine, der manche nachsagen, dass die Qualität ihrer Alben sich ja eigentlich einfach nur antiproportional zur Anzahl der Füller verhält. Und die sich gewohnt selbstironisch beschreibt: "Die spielen doch nur noch, um das eigene Image zu verwalten." Gute Argumente gegen diese Auffassungen hat "Wer sagt denn das?" zwar nur bedingt parat, die Vielfalt der Stileinflüsse und Zitate erreicht jedoch einen neuen Höhepunkt und die Tracks spannen durchaus einen musikalischen Bogen. Der als treffsichere Single ausgewählte Titeltrack eröffnet einen Reigen straight gehaltener Stücke. Das folgende "1000 Jahre Bier" widmet sich dem Gerstensaft ein weiteres Mal, sieht aber mit seinem Refrain, der wie ein Rammstein-Remix wirkt, von "99 Bierkanister" oder "Prost" nur Rücklichter. Das repetitive und inhaltslose "Dinge" droht die Chose dann sogar fast vorzeitig zu kippen. Am Ende war's aber sowieso nur das Aufwärmprogramm.

"Keine Party" wirkte als eigenständige Single wie ein zwar funktionierendes, aber eben mäßig originelles Selbstzitat mit dem gewohnten Spiel der Ironie. Der Text aus Partymuffel-Perspektive, konträr dazu ein Beat, der Hütten abreißt. Doch durch seine Verbindung mit der später auftauchenden Fortsetzung "Party 2" ergibt das Stück im Kontext mehr Sinn. Dort heißt es über dem nur leicht modifizierten Beat: "Party zwei / Organisierte Feierei / [...] / Die Macher ha'm den Club hier umgebaut / Die Akustik ist jetzt besser, nicht so laut." Schlimmer als Spießer, die nicht auf Partys gehen, sind eben immer noch Spießer, die auf Partys gehen. Der beste Teil des Albums ist jedoch die Mitte, in der die Band mal wieder so freidrehen kann, wie es die tollen, aber vergleichsweise straff gehaltenen "Niveau weshalb warum" und "Befehl von ganz unten" kaum erlaubten. Wenn das Porky gewidmete, an die früheren Rap-Zeiten erinnernde "Knallbonbon" gezündet ist, gerät "Wer sagt denn das?" erst richtig in sein Element.

Ein so verstrahltes Teil wie "Richtig gutes Zeug" als ersten Vorboten zu bringen, war gleichermaßen selbstbewusst wie passend. Es gewinnt mit jedem Hören und gehört nicht mal zum beklopptesten Material. "Bude voll People" mag zwar durch seinen an Culcha Candela erinnernden Titel erschrecken, wenn man den Witz dahinter aber beim Hören rafft, muss man unweigerlich grinsen. Am Mikro wird derweil so hektisch gesabbelt, dass es eine Freude ist. Das wummernde Trap-Ungetüm "Gewinne Gewinne" probiert erst gar nicht, irgendeine Spur zu finden. "Endlich autonom" beschäftigt sich derweil mit Zukunftsvisionen von selbstfahrenden Autos und einer glatt von Kraftwerk abgeguckten instrumentalen Coda. "Mein Maserati fuhr 210 / Doch das Tempolimit ist jetzt nicht mehr mein Problem." Das sind die abseitigen Momente neben den Hits, die Deichkind ausmachen. Nachdem gegen Ende die "Sonate in f-Doll" dem Beat von "Keine Party" noch mindestens zwei bis drei draufsetzt und mit der Live-Show im Visier alles formidabel abgerissen hat, klauen "Alles außer Sunshine" und "Wo's das Feuer?" am Schluss doch glatt alte Bassläufe von Röyksopp und Air. Die Überraschungen stecken häufig im Detail.

"Wo ist Dein Feuer hin? / Du musst da dringend raus", lauten die letzten, von Autotune verheulten Zeilen, die einen in unschönster Montagmorgen-Manier aus dieser Stunde wieder rauskicken in die Realität. In dieser Zeitspanne hat man diese nur durch den bandtypisch eskapistischen Zerrspiegel betrachtet. Kein Alltagsthema ist sicher, kein Genre zu abseitig. "Wer sagt denn das?" hätte natürlich auch kürzer und vielleicht besser sein können, sich dadurch an seinen Vorgängern sogar vorbeidrängen können. Andererseits ist das oben erwähnte, zu platte "Dinge" der einzige Track, der wirklich stört, andere WTF-Momente wie das einmütige "Ich bin ein Geist" gehen ansonsten voll im Wechsel zwischen auf maximalen Effekt getrimmten Knallern für kommende Konzerte und versponnenen Schnapsideen. Die Weitläufigkeit der ganzen Chose macht ein Stück weit den Charme von "Wer sagt denn das?" aus. Sie haben es ja ohnehin selbst schon erkannt: "Hat er richtig gut drauf / Das kriegste nirgendswo sonst." Bei Ben Zucker schon mal gar nicht.

(Felix Heinecker)

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Highlights

  • Wer sagt denn das?
  • Bude voll People
  • Richtig gutes Zeug
  • Powerbank
  • Sonate in f-Doll

Tracklist

  1. #wsdd
  2. Wer sagt denn das?
  3. 1000 Jahre Bier
  4. Dinge
  5. Cliffhänger
  6. Keine Party
  7. Knallbonbon
  8. Bude voll People
  9. Endlich autonom
  10. Gewinne Gewinne
  11. Party 2
  12. Richtig gutes Zeug
  13. Quasi
  14. Powerbank
  15. Ich bin ein Geist
  16. Sonate in f-Doll
  17. Alles außer Sunshine
  18. Wo's das Feuer?

Gesamtspielzeit: 60:21 min.

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User Beitrag

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 9300

Registriert seit 26.02.2016

2023-03-15 15:37:25 Uhr
Fehlt noch das in der Riege. Ähnlich wie "Niveau" eine qualitativ angenehm ausgeglichene Tracklist, eine ganze Stunde am Stück ist halt schon ne Ansage.
Man merkt schon, dass Ferris weg ist, die Grundstimmung ist entspannter, gleichzeitig ist es stlistisch gefühlt wieder offener und weirder geworden (der Trend setzt sich danach fort).

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 31659

Registriert seit 07.06.2013

2023-03-02 23:45:17 Uhr
Titeltrack und "Dinge" halten sich bei mir als absolute Karriere-Highlights. Wie das groovt. Auch sonst mit "Zeug"oder "Quasi" paar ordentliche Highlights, aber auhc etwas viel "Kleinkram".. Die neue ist da straffer. Egal. Grad macht auch "1000 Jahre Bier" Spaß... dank Bier. :)

sizeofanocean

Postings: 1353

Registriert seit 27.01.2020

2021-05-04 20:48:57 Uhr
klingt eher nach Pandemie-Langeweile-Zeitgeist-Kommentar-Track, Sound ist erstaunlich oldschoolig...

Felix H

Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion

Postings: 9300

Registriert seit 26.02.2016

2021-05-04 18:59:10 Uhr - Newsbeitrag


Scheint eher Nachklapp zur letzten Platte zu sein als was Neues anzukündigen.

AndreasM

Plattentests.de-Mitarbeiter

Postings: 705

Registriert seit 15.05.2013

2020-04-21 09:20:01 Uhr
und natürlich als Familienvater ein überzeugter Frühaufsteher ist. Gibt aus meiner Sicht dem gesamten Deichkind-Zirkus immer gleich noch zwei Ebenen mehr! ;)
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