Lana Del Rey - Norman fucking Rockwell!

Vertigo / Universal
VÖ: 30.08.2019
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10

Baby blue
Love, fuck, chilling, beach, lit, killing: Lana Del Reys Songs sind so liebestoll wie zweifelnd, so euphemistisch wie bedrückend. An der Lebenslust knapst die Wehmut, an der Freude die Niedergeschlagenheit, Alkohol und Drogen vernebeln das Sonnenlicht und die Kratzer und Makel eines einst idealisierten Lebensentwurfs sind Ausdruck von Stärke und Schwäche zugleich. Wer der gebürtigen New Yorkerin vertonte Langsamkeit attestiert, verpasst auf "Norman fucking Rockwell!" die angeknackste, teils kaputte Nostalgie mit ihrer vagen Spiegelbildfunktion für die USA anno 2019. "You're beautiful and I'm insane / We're American made", singt sie an einer Stelle auf ihrem bislang besten Album. Norman Rockwell, berühmter amerikanischer Maler und Illustrator, klammerte im Gros seiner Bilder die Probleme, Ängste und Sorgen der Amerikaner aus, fokussierte und bestärkte lieber den Positivismus. Das wirkt heutzutage vielleicht für manch einen erholsam, ist seit jeher jedoch bewusst verklärend und doch auch uramerikanisch.
Wenn Lana Del Rey ihr neues Album also "Norman fucking Rockwell!" tauft, dann spielen die Facetten des schönen Lebens eine große Rolle – aber man muss eben an mancher Fassade auch mit bohrenden Widerhaken rechnen. Nicht umsonst verschwimmen Gemälde, Porträt und Collage auf dem Coverbild. Das Rot des Horizonts? Die verheerenden Waldbrände in Kalifornien. Und Lana Del Rey? Steht umgeben von Pop-Art-Comic-Blasen mit Schauspieler Duke Nicholson auf einem Boot, einträchtig und doch distanziert, Hilfe anbietend und suchend, klammernd und lösend. Mit Glanz in den Abgrund. Für den lyrischen Inhalt bedeutet das zu Beginn: Im Titeltrack projiziert ein sexuell potenter aber beruflich schlechter Dichter voller Selbsthass negative Energie und Traurigkeit auf sein weibliches Gegenüber. Und dieses scheint sich zu fragen, ob die Beziehung denn alles sein soll. Der Name des Illustrators Rockwell wird eher zum Spielball der Deutungshoheit. In den sequenzartigen Einblicken einer langsam verblassenden, wilden Liebe in "Venice bitch" bittet Lana Del Rey: "Paint me happy in blue / Norman Rockwell."
Wenn Albtraumwelt und Traumwelt sich treffen, nennt man das wohl: Welt. Und doch ist diese Welt bei Lana Del Rey eine ureigene geworden, die manchmal so verträumt und banal erscheint und deren Anziehungskraft oft nur schwer zu greifen ist. Sobald die Streicher den Vorhang öffnen, kann sie mit ihrem "Bartender" im Auto in die Nacht fahren, das totale Verknalltsein in "Love song" durchspielen und mit dem triphoppigen Sublime-Cover "Doin' time" einfach die kalifornische Sonne genießen. Dem Gegenüber steht eine Geschichte voller Bereuen und schöngefärbter Hoffnung auf ein Happy End im idealisierten "California". In "Fuck it I love you" verleiht Lana Del Reys phasenweise nuschelige Vortragsweise den Drogen im Blut des lyrischen Ichs stimmlichen Nachdruck. "And if I wasn't so fucked up, I think I'd fuck you all the time." Und in "Happiness is a butterfly" heißt es: "If he's a serial killer, then what's the worst that can happen to a girl who's already hurt? / I'm already hurt."
"Norman fucking Rockwell!" besitzt die innere Stringenz des schwül-stickigen "Honeymoon" und die E-Gitarren aus der "Ultraviolence"-Phase. Der große Zugewinn aber nennt sich Jack Antonoff. Als Produzent von Lorde und Taylor Swift für guten Pop bekannt, hebt er Lana Del Reys Fähigkeiten auf ein neues Level, indem er ihr noch mehr Raum zugesteht und sie mit Gitarren, Drums und verschiedenen Tasteninstrumenten umspielt. Hier entspinnt sich eine ganz wunderbare Atmosphäre. In "The greatest" würzen beide das Tagesgeschehen mit ein wenig Zynismus, Humor und dezentem Surf-Rock. "The culture is lit and I had ball / I guess I'm signing off after all." In "Mariners apartment complex" perlt das Piano balladesk und am Ende zetern die Saiten. "Who I've been is with you at the beaches / Your venice bitch, your die-hard, your weakness", singt sie in dem Stück. Ein Song wider die Eindimensionalität und die Fehleinschätzung ihres Wesens und Charakters: "They mistook my kindness for weakness."
Der Track bildete den Auftakt von gnadenlos guten Vorabsongs. Wobei dieses Attribut bei "Venice bitch" zu kurz greift. Als wäre es eine Selbstverständlichkeit, hält Lana Del Rey diese neuneinhalb Minuten aus Folk-Rock-, Kraut- und Psychedelic-Pop-Elementen mit Beziehungssnippets zusammen und tackert diesen experimentellen Hybrid dennoch als melodiöses Highlight im Ohr des Hörers fest. Wahnsinn. "Hope is a dangerous thing for a woman like me to have – but I have it" findet seine Superlative-Lobhudelei in der Schlichtheit aus Gesang und Piano begründet und obendrein im emotional packenden Vortrag eines mitunter fragmentarischen aber ungleich starken, höchstpersönlichen Textes.
Die spartanischen Pianotöne, nur ergänzt um minimalistisches Retro-Design, machen auch "Love song" so einladend und bieten eine charmante Überleitung zu "Cinnamon girl" an, das diese Atmosphäre aufgreift, weiterentwickelt und mit der elektronischen Background-Begleitung wiederum eine Brücke zu "Born to die"-Zeiten schlägt, wo in "Radio" das Leben auch "sweet like cinnamon" war. Die Süße vergeht mit Blick auf die dargestellte und offenkundig ungesunde Beziehung in "Cinnamon girl": "If you hold me without hurting me / You'll be the first who ever did." Mit Reminiszenzen an die freie und künstlerische Seite der Sechzigerjahre verpackt, mit Verweisen auf Poeten, Schriftsteller und Maler ausgestattet, sind Lana Del Reys zwischenmenschliche Konstrukte noch nie so glanzvoll am Grenzzaun von Realität, Nostalgie und Fantasie in Szene gesetzt worden. Ein bares, elegantes Schauspiel für das Hier und Jetzt und ein Spektakel der leisen Töne.
Highlights
- Mariners apartment complex
- Venice bitch
- Cinnamon girl
- The greatest
- Hope is a dangerous thing for a woman like me to have – but I have it
Tracklist
- Norman fucking Rockwell
- Mariners apartment complex
- Venice bitch
- Fuck it I love you
- Doin' time
- Love song
- Cinnamon girl
- How to disappear
- California
- The next best American Record
- The greatest
- Bartender
- Happiness is a butterfly
- Hope is a dangerous thing for a woman like me to have – but I have it
Gesamtspielzeit: 67:42 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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nagolny Postings: 292 Registriert seit 06.11.2022 |
2022-12-14 21:16:58 Uhr
Nee, zwingend natürlich nicht. "Hope..." ist auch so ein großartiger Song, der mich jedesmal catcht, genau wie "Mariners Apartment Complex". |
nörtz User und News-Scout Postings: 12097 Registriert seit 13.06.2013 |
2022-12-14 20:55:03 Uhr
Das muss nicht zwingend etwas mit Misogynie zu tun haben. In den Lesercharts werden schon seit Jahren bekannte Künstler runtergevotet oder Trashalben nach oben befördert. Auch manche Hypealben werden dort bestraft. |
nagolny Postings: 292 Registriert seit 06.11.2022 |
2022-12-14 20:25:07 Uhr
@ Z4: Misogyne Kackvögel scheinen tatsächlich nichts besseres zu tun zu haben als 24/7 ihre Galle ins Internet zu kotzen anstatt mal an sich selber zu arbeiten. Von daher muss das nicht unbedingt eine abwegige Verschwörungstheorie sein. |
Darno Übel Postings: 868 Registriert seit 02.06.2022 |
2022-12-14 20:01:13 Uhr
Die Losercharts sind eh seit Jahren ein Witz. |
Z4 Postings: 3669 Registriert seit 28.10.2021 |
2022-12-14 19:55:46 Uhr
Misogyne Trolls am Werk. |
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Referenzen
May Jailer; Lizzy Grant; Cloves; Silverbird; London Grammar; Lykke Li; All Saints; Stevie Nicks; Sinéad O'Connor; Annie Lennox; Sky Ferreira; Molly Burch; Judy Garland; Hope Sandoval & The Warm Inventions; Hannah Cohen; Cat Power; Lorde; Goldfrapp; Death In June; Clare & The Reasons; God Help The Girl; Magic Island; Emile Haynie; Birdy; Doe Paoro; Helen Forrest; Jolie Holland; Christine & The Queens; Marina; Marina & The Diamonds; Banks; Aurora; Charli XCX; Dido; Billie Eilish; The xx; Elton John; John Lennon
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