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Sam Fender - Hypersonic missiles

Sam Fender- Hypersonic missiles

Polydor / Universal
VÖ: 13.09.2019

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

The mighty Boss-Tones

Knapp zwei Jahre lang hätte Sam Fender auch gut als Spiegel für das musikalische Konsumverhalten der breiten Masse herhalten können. Wer braucht schon Alben, wenn der Künstler des Vertrauens reihenweise Songs raushaut, die sich hervorragend in die persönliche Playlist integrieren lassen? Die elf zwischen 2017 und dem Erscheinungstag von "Hypersonic missiles" veröffentlichten Songs waren aber vielmehr ein Appetizer-Festival und so etwas wie die Deluxe-Edition eines Spannungsbogens. Parallel zur Release-Strategie ließ sich eine immens wachsende Fanschar ausmachen, die Fender im Hyde Park auf die gleiche Bühne mit Bob Dylan und Neil Young spülte. Was summa summarum nach Hype riecht, mag auch einer sein. Aber wenn, dann ist es im Pop-Rock-Business einer berechtigtsten in den vergangenen Jahren.

Es reichen ein paar Töne zu Beginn des Albums, um Sam Fenders Vorliebe für Bruce Springsteen als ehrwürdig inszenierte Verbeugung im Soundbild zu identifizieren. Die Saxophon-Solos aus dem Titeltrack und "You're not the only one" fungieren als Hommage an Clarence Clemons – bis zu seinem Tod jahrzehntelang Springsteens wohl wichtigstes Puzzle-Stück in der E Street Band – und sind gerade im Dialog mit dem Glockenspiel und der leicht zeternden Gitarre ein untrügliches Zeichen für Boss-Content. Der straighte Beat mit Achtziger-Touch in "The borders" und die Geschichte über unglückliche, zerrüttete und zerissene Familien lässt sich als eine klangliche Addition von "Dancing in the dark", "Bobby Jean" und "No surrender" sehen und die Gedanken spätestens im ausgedehnten Outro zu The War On Drugs`"A deeper understanding" wandern. "Will we talk?" indes könnte auch New Jersey meets Newcastle heißen oder Springsteen meets The Strokes' "Last nite".

Samuel Thomas Fender hält dem Erwartungsdruck über den ersten Ohren-Eindruck hinaus problemlos Stand. Er ist nicht bloß ein Hansel mit Gitarre, dem ein interessanter Lebenslauf samt veritablem Referenzpunkt angedichtet wurde. Live ohnehin nicht. Wie er mit seinen Kumpels in der Band agiert, unachtsam seine Stimmbänder strapaziert und sich verdutzt fragt, warum sich plötzlich so viele Menschen für einen 23-Jährigen aus North Shields im Nordorsten Englands interessieren, das besitzt schon einen unaufgesetzten Charme. Die Live-Version von "Use" dient insofern als Beleg, als dass Fender, lediglich vom Keyboard begleitet, dem Hörer auf beeindruckende Weise Volumen und Bandbreite seine Stimmbänder um die Ohren pfeffert.

Viel mehr aber noch überzeugt der Brite auch textlich. Das sinistre "Play God" zeichnet autokratische Allmachtsfantasien, und seine ungefilterten Wahrnehmungen im beatlosen "White privilege" reichen von einer verdammten Generation über digitales Meinungszerfleischen hin zu "old cunts", die den (Br)Exit verbockt haben. "The patriarchy is real, the proof is here in my song / I'll sit and mansplain every detail of the things it does wrong / 'Cause I'm a white male, full of shame / My ancestry is evil and their evil is still not gone." Als zackiger Hit verpackt, thematisiert Fender in "Dead boys" die Ignoranz für die hohe Selbstmordrate junger Männer in seiner Heimat. Er, der selbst Freunde an den Suizid verlor, führt in der Herleitung mit "toxic masculinity" einen Begriff aus der Soziologie an, dem er 2018 schon auf "Friday figthing" Beachtung schenkte. "We close our eyes, learn our pain / Nobody ever could explain / All the dead boys in our hometown."

Sam Fender ist weder Problemlöser noch Analytiker, sondern aufgewühlter Beobachter und Zeichner von Verzweiflung. Irgendwo zwischen Herz, Hirn, Seele und Arschtritt treffen zwischenmenschliche Geflechte und Pub-Talk auf geo- sozio- und gesellschaftspolitische Themenkomplexe. So wohnt dem Namenspatron der Platte, "Hypersonic missiles", ein morbider Zauber inne. Während die Welt unter Raketenbeschuss zugrunde geht, blüht die Beziehung zweier Liebender auf. Fender selbst bezeichnet das Stück als eine verkappte Liebesgeschichte. "This world is gonna end but til' then I give you everything I have." Nach den rauschhaften Rocknummern und einem Paket Hits versteckt der 23-Jährige zum Ende des Debüts in "Leave fast" eine springsteen'sche Fluchtpunktperspektive. Was beim Vorbild "We gotta get out while we're young" heißt, bzw. "It's a death trap, it's a suicide rap", nennt Sam Fender mit Blick auf seine politisch vernachlässigte Kleinstadt und Heimat "Leave fast or stay forever." Entkontextualisiert bitte letzteres. Denn Sam Fender ist ein Geschenk.

(Stephan Müller)

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Highlights

  • Hypersonic missiles
  • The borders
  • White privilege
  • You're not the only one
  • Leave fast

Tracklist

  1. Hypersonic missiles
  2. The borders
  3. White privilege
  4. Dead boys
  5. You're not the only one
  6. Play God
  7. That sound
  8. Saturday
  9. Will we talk
  10. Two people
  11. Call me lover
  12. Leave fast
  13. Use (Live from London)

Gesamtspielzeit: 48:26 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

kingsuede

Postings: 4072

Registriert seit 15.05.2013

2020-05-23 12:42:15 Uhr
Will we talk?, The borders und vor allem White privilege sind weiterhin ganz groß. War auch mein letztes Konzert vor dem Lockdown.

Hier stand Ihre Werbung

Postings: 1896

Registriert seit 25.09.2014

2020-04-25 15:32:48 Uhr
@BadaBing: Sag ich doch!

Gordon Fraser

Postings: 2537

Registriert seit 14.06.2013

2020-04-25 15:14:03 Uhr
Ich habe den Typen immer ignoriert, weil ich ihn mit Sam Smith verwechselt habe. ^^

"Will We Talk" ist in der Tat fantastisch.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19947

Registriert seit 10.09.2013

2020-04-25 14:32:01 Uhr
Ich mag "Will we talk?" immer noch sehr.

BadaBing

Postings: 134

Registriert seit 27.06.2013

2020-04-25 13:56:51 Uhr
Wie groß ist denn eigentlich bitteschön "The Borders"?!

Die Dauerschleife ist fest geschnürt.
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