Elliott Smith - Figure 8
Dreamworks / Motor
VÖ: 25.04.2000
Unsere Bewertung: 10/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
Ein verschlurftes Meisterwerk
Was ist eigentlich eine Gänsehaut? Bevor jetzt jeder zum Lexikon rennt, um nachzuschlagen, sei empfohlen, einfach diese CD einzulegen, die Augen zu schließen und die Musik ihre Wirkung tun zu lassen. Elliott Smith ist zurück, dieser leicht verschroben wirkende junge Mann mit Gitarre und Mundharmonika. Damals, bei der Oscar-Verleihung, als er leicht verschlurft in etwas, was wohl ein Frack sein sollte, auftrat, sorgte er mit "Miss Misery" erst für rätselnde Gesichter und dann für Begeisterung. Für den Oscar hat es damals nicht gereicht, aber wenn man sich anschaut, wer die Trophäe für den besten Filmsong in den letzten Jahren abgestaubt hat, brauchte Smith darüber den Kopf nicht hängen zu lassen.
Ganz unbeeindruckt vom Hype um sich und seine Musik, der nach dem "Good Will Hunting"-Soundtrack und seinem Album "XO" ausbrach, hat sich der Singer/Songwriter im besten Wortsinn einfach hingesetzt, um weitere Songs zu schreiben. Und was für welche! Gleich der Opener "Son of Sam" wippt uns aus den Boxen entgegen, daß es nur so eine Freude ist. "I'm not uncomfortable feeling weird" klärt Smith auf. Genauso erscheinen manchmal seine musikalischen Kleinode auch: leicht neben der Schnur, aber dennoch anschmiegsam. Auch wenn es zunächst unspektakulär wirkt, was musikalisch zwischen Wanderklampfe und Schepperdrums vonstatten geht, handelt es sich trotzdem bei den Songs allesamt um Ohrwürmer mit Widerhaken.
Ob Smith seiner Melodieseligkeit zu verspielten Pianoklängen ("In the lost and found (Hanky Bach)"), zu schwebendem Hammondgeorgel ("Wouldn't Mama be proud?") oder zu streichergestütztem Folkgeklampfe ("Easy way out") frönt, ist gleichgültig. Niemals lassen jedoch die Lieder den Zuhörer gleichgültig. Erscheinen auch die gesungenen Geschichten oft unzugänglich, steckt doch genug Gefühl in ihnen, daß man diese Musik allein dadurch versteht, daß man sie fühlt. "Talking out the trash to the man / Give the people something they understand" heißt es so auch in "Junk bond trader". Wichtiger als ausgeklügelte Arrangements sind Smith aber immer noch die ruhigen, fast zerbrechlich erscheinenden Zwischentöne, auch wenn die Produktion zuweilen schon mal aus dem Vollen schöpfen darf.
Fingerspitzengefühl ist eine Sache, die leider oft im modernen Musikbusiness verloren zu gehen scheint. Sowohl mit den behutsam gespielten Songs als auch mit der liebevollen Songauswahl beweist Smith einmal mehr seine Ausnahmestellung auch in diesem Bereich. Zwischen Lennon und Dylan in der Praxis sowie zwischen Debussy und Bach in der Theorie bewegen sich seine Songs und lassen doch niemals eine verkopfte Anspruchshaltung entstehen. Zu süß sind selbst die melancholischen, manchmal gar depressiven Hymnen. Zu universal ist die musikalische Ausdrucksweise, derer Smith sich hier bedient. Dem sanft hingehauchten Timbre seiner Stimme vermögen sich wohl nur Hörgeschädigte zu entziehen. Wenn schließlich die letzten, sanften Töne von "Bye" verklungen sind, ist die Frage, was denn eigentlich eine Gänsehaut sei, beantwortet.
Highlights
- Son of Sam
- Junk bond trader
- I better be quiet now
Tracklist
- Son of Sam
- Somebody that I used to know
- Junk bond trader
- Everything reminds me of her
- Everything means nothing to me
- LA
- In the lost and found (Hanky Bach)
- Stupidity tries
- Easy way out
- Wouldn't Mama be proud?
- Color bars
- Happiness
- Pretty Mary K
- I better be quiet now
- Can't make a sound
- Bye
Gesamtspielzeit: 52:15 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Enrico Palazzo Postings: 4646 Registriert seit 22.08.2019 |
2022-03-16 09:02:30 Uhr
Schade :) aber trotzdem danke |
Takenot.tk Postings: 2161 Registriert seit 13.06.2013 |
2022-03-16 08:50:25 Uhr
Hättest du ne Woche früher etwas gesagt, ich habe die Platte erst vor ein paar Tagen über Discogs verkauft (hatte die doppelt).Immerhin nur für 50€ plus Versand (ich weiß, ist schon etwas frech, aber der Markt und so)...hätte mich sicher noch zu nem kleinen Plattentests-Rabatt hinreißen lassen. |
Enrico Palazzo Postings: 4646 Registriert seit 22.08.2019 |
2022-03-16 08:43:05 Uhr
Hat hier zufällig jemand eine Idee, wo ich die Platte auf Vinyl bekommen kann, ohne 100€ zu bezahlen? Also im normalen Rahmen meine ich? |
Zappyesque Postings: 1009 Registriert seit 22.01.2014 |
2021-09-02 07:34:49 Uhr
"Zu lange" kann ich schon nachvollziehen, hinten raus zieht es sich dann so ein bisschen - das liegt für mich aber fast eher am Sequencing als an der Länge. Füller erkenne ich hier nicht wirklich - dennoch hätte man für den Fluss 1-2 Dinger weglassen können."Also finde alles vor F8 iwie eindimensional...gleichförmig, auch "dank" seines beschränkten Stimmumfangs." Das kann ich allerdings nicht ganz nachvollziehen. Smith hat sich sehr logisch, von Album zu Album, zu Figure 8 hingearbeitet. Das Facettenreichtum im Songwriting ist vom ersten Moment an gegeben, klanglich spannend und produktionstechnisch holistischer/konzeptueller wird's bereits ab Either/Or. Zwischen "XO" und "Figure 8" liegt dann für mich nicht mehr viel. |
VelvetCell Postings: 7302 Registriert seit 14.06.2013 |
2021-09-02 07:23:15 Uhr
No fucking fillers here! |
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Referenzen
Bonnie 'Prince' Billy; M. Ward; Sparklehorse; Jeff Buckley; John Lennon; Ben Folds Five; Ben Lee; American Music Club; Sophia; Spain; Turin Brakes; Bob Dylan; The Beatles; Simon & Garfunkel; Jim Croce; Eagle-Eye Cherry; Michael Penn; Elvis Costello; Built To Spill; Grandaddy; The Lemonheads; Evan Dando; The Silver Jews; Cat Power; Jack Johnson; Ben Harper; Wheat; Gomez; R.E.M.
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