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Die Kerzen - True love

Die Kerzen- True love

Staatsakt / H'Art
VÖ: 05.07.2019

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Stehblues statt Twerken

Liebe muss nicht glitschig sein, aber verbieten kann man es ihr auch nicht. Und irgendwie neigt sie ja von selbst dazu, rosarot zu schimmern. Selbst der härteste Hund auf Gottes schöner Erde wird bisweilen zum handzahmen Wauwau, wenn Amors Pfeil ihn trifft. Das kann man einerseits mit Spott quittieren, andererseits kann man sich auch voll hineinlegen in jenen sprudelnden Sud aus Körperflüssigkeiten, der immer dann hochzukochen droht, wenn mindestens zwei sich anschicken zu sagen: "Ich liebe Dich." Überzeichnung ist da ein gutes Stilmittel, siehe Bilderbuch. Immer noch ein Klecks Gleitmittel auf die Fingerspitzen, bevor man das nächste Gitarrensolo runterwedelt. Liebe ist halt immer auch Drama. Aber auch innerhalb dessen gibt es Unterscheidungsformen: Während die erwähnten Österreicher jederzeit ready to go sind und sich unumwunden die Kleider vom Leib reißen, bevorzugen Die Kerzen auf "True love" vorsichtig abtastenden Blümchensex.

"New Romantic" nannte sich eine Musikströmung der späten 70er und frühen 80er des letzten Jahrhunderts. Ultravox, Duran Duran, The Human League, Spandau Ballet – so hießen bekannte Vertreter. Als diese Bands ihre größten Erfolge feierten, waren Fizzy Blizz, Die Katze, Jelly Del Monaco und Super Luci von Die Kerzen noch gar nicht geboren, und doch greifen sie jenes Subgenre der New Wave auf. Als aktuelle deutschsprachige Referenz könnte man hier "Diamant (Love Hotel Band)" vom 2017er Yung-Hurn-Album "Love Hotel" anführen, nur dass Die Kerzen das alles viel ernster meinen als der Rapper. Deswegen findet sich auch nicht nur ein Song dieser Machart, sondern derer gleich zehn auf "True love". Der Vierer aus Ludwigslust in Mecklenburg-Vorpommern legt ein Debüt vor, das sich gewaschen hat. Da ist kein Track dabei, der kein Hit wäre, kein Song ohne Ohrwurm, kein Titel ohne große Melodie. Schon der Opener groovt sich mit seinem wabbelnden Synthie-Bass dermaßen smooth ins Hörerhirn, dass nach diesen 3:12 Minuten klar sein dürfte, dass man noch ganz viel mehr von "True love" haben möchte. Es folgt die Auskopplung "Saigon", die mit ihren rhythmischen Fingerschnipsern, ihrem funky Bass, ihrer anschiegsamen Gitarren-Line und ihren rattenfängerischen Synthies spätestens jetzt jeden Hörer in ihren Bann gezogen haben dürfte. "Japan, Indonesien, Saigon", heißt es da und es ist so fucking egal, wie wenig Sinn das ergibt, die rosarote Brille hat man da nämlich schon längst aufgesetzt.

Der Titeltrack nähert sich zunächst auf ganz leisen Sohlen, bis das Keyboard die Melodie präsentiert und das – über das gesamte Album hinweg – starke Schlagzeug beginnt, einen perfekten Beat zu trommeln. "Sprite, Moskovskaya / Mit der Straßenbahn, werd' ich zu Dir fahren / Zwei Schachteln Pall Mall können wir uns teilen / I want to make you mine", singen Die Kerzen und man ist so verliebt in diese Zeilen, wie man es vielleicht gar nicht in ein menschliches Gegenüber sein wollte. Ebenso spektakulär ist, wie das Stück zum Refrain den Drop sucht und findet, wie der Sänger immer wieder ins Falsett abgleitet und ergänzt: "Die Melancholie / Honey, c'est la vie." Herz-Emoji! Das anschließende "Desolé" hangelt sich an einem großartigen Gitarren-Thema entlang und spricht vom Schwanken zwischen Lust und Leid im Nichtwissen, zwischen Vielleicht und Vielleicht-auch-nicht, wie ein Liebesbrief, der seit Tagen nicht ankommt. "Karamba" orientiert sich mehr am Rhythmus als an der Melodie. Nach allerlei Getränken von Gin-Tonic bis Whiskey-Cola gipfelt der Song im Liebesakt, dessen Protokoll das Gitarrensolo am Ende des Tracks wunderbar rezitiert. Bei "In der Nacht hast Du geweint" sind es die Spannung aufbauenden Strophen, die in Beschlag nehmen und sich schließlich im Refrain entladen, um zu sagen: "Ich weiß es fühlt sich nicht so an, doch es tut mir Leid." Bock auf Club machen die Piano-Zeilen von "Mit Seide", "Solarium" hingegen singt der Tristesse im Großstadtdschungel Berlins ein Ständchen.

"Zu spät" lässt im Hintergrund ein paar Johnny-Marr-Gedächtnisgitarren wirbeln und überzeugt abermals mit einer dieser wahnsinnigen Melodien. Es geht hier um eine unerwiderte Liebe im Telenovela-Stil: Die Profisportkarriere des oder der Angebeten besiegelt das Ende der Beziehung. So etwas geht ja kaum ohne Augenzwinkern, aber wenn man es maximal ernsthaft vorträgt, wird es eben doch real. Genau das schaffen Die Kerzen hier, ohne mit der Wimper zu zucken. Wenn sie ihre musikalische Zuckerwatte verteilen, wird klar: "True love" ist eins mehr als einfach nur "Love". Und wenn das ganze Leben ohnehin nur aus Paarungstänzen besteht, dann doch lieber im Stehblues als beim Twerken. Dass die Truppe dieses großartige Debüt vollständig selbst produziert hat, setzt ihrer ganzen Performance die Krone auf. "Bei den Kerzen ist Pop keine hyperironische Selbstvermarktungstechnik, sondern immer noch ein großes Versprechen", heißt es treffend im Begleitschreiben – und Die Kerzen sind tatsächlich dabei, dieses Versprechen einzulösen.

(Pascal Bremmer)

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Highlights

  • Saigon
  • True love
  • Desolé
  • In der Nacht hast Du geweint

Tracklist

  1. Blue Jeans
  2. Saigon
  3. True love
  4. Desolé
  5. Karamba
  6. Al Pacino
  7. Mit Seide
  8. Zu spät
  9. In der Nacht hast Du geweint
  10. Solarium

Gesamtspielzeit: 34:13 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

AliBlaBla

Postings: 4788

Registriert seit 28.06.2020

2021-04-06 13:50:21 Uhr
Freue mich schon auf das nächste Album...

DominoRecords

Postings: 2

Registriert seit 13.06.2013

2021-04-05 22:02:39 Uhr

qwertz

Postings: 926

Registriert seit 15.05.2013

2020-10-31 14:19:07 Uhr
Höre es auch seit Erscheinen immer wieder gern. Diese Theatralik, diese gekonnte Cheesigkeit! Für mich wohl eines der nachhaltigsten deutschprachigen Alben der letzten Jahre. Lässt sich wunderbar am Stück durchhören, ist schön auf den Punkt produziert und hat kein Gramm Fett auf den Rippen.

AliBlaBla

Postings: 4788

Registriert seit 28.06.2020

2020-10-30 18:54:12 Uhr
Warum so zurückhaltend, Leute?
Also, ich find's urs gemütlich& so!
Schön.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2019-11-25 19:44:13 Uhr - Newsbeitrag

Liebe Musiclovers,

die bereits vierte Single aus dem Album „True Love“ von Die Kerzen trägt den Titel „In der Nacht hast du geweint“ - Im Video wird ein ikongraphisches Bilderspektakel abgefeuert. Ton in Ton posiert die Band von Set-Up zu Set Up: Mit weißem Schokokuss im Schaumbad, mit Pfeffi vor den Zimmerpflanzen, in Jeans zur blauen Stunde und beck'sflaschengrün im re-enacting ihres Album-Covers. Alles minutiös in Szene gesetzt von Marcus Wojatschke, dem Bruder des Kerzen-Schlagzeugers Lucas Wojatschke, und von Keyboarderin Jelly De Monoco mit dem passenden Look ausgestattet. Im Januar geht die Band auf Tour und wird sich hoffentlich zu jedem Song umziehen. Daten: siehe unten.
"In der Nacht hast du geweint" auf YouTube
Tour d'amour
präsentiert von Kulturnews, spex.de, musikblog.de, thepostie.de, ByteFM



22.01. Hamburg, Molotow
23.01. Köln, Gebäude 9
24.01. Karlsruhe, Kohi
25.01. CH-Rorschach, Treppenhaus
27.01. München, Milla
29.01. AT-Wien, B 72
30.01. Dresden, Scheune
31.01. Berlin, Berghain Kantine

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