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Kate Tempest - The book of traps and lessons

Kate Tempest- The book of traps and lessons

Caroline / Universal
VÖ: 14.06.2019

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Zwischen den Menschen

Kate Tempests letztes Album "Let them eat chaos" war ein Dokument der Wut. Der qualmende Planet auf dem Cover stand sinnbildlich für Tempests Grundhaltung. Es ging um alles: ums Leben, den Tod und den Kampf dazwischen. Songs wie "Europe is lost" setzten das Skalpell dort an, wo es schmerzte. Indem die Dichterin und Songwriterin Hybris und moralischen Verfall kontrastierte, traf sie genau ins Schwarze. Die Verbindung des Politischen mit dem Privaten prägt auch den Nachfolger, doch auf eine Art und Weise, die so nicht zu erwarten war. Das Cover zeigt einen britischen Reisepass. Wie man das interpretieren soll, verrät sie nicht. Zum Glück. Für ihr drittes Album "The book of traps and lessons" hat sich die Britin drei Jahre Zeit gelassen, wobei sie laut Eigenaussage fast fünf Jahre an ihm gearbeitet hat. Denn manchmal ist es schlauer, die Dinge sacken zu lassen.

Vorbei sind die Tage der brachialen Electrobeats, es dominieren Mollakkorde und minimalistische Percussion-Arrangements. Dass Rick Rubin an der Produktion beteiligt war, hört man kaum, was als Kompliment zu verstehen ist. Kein "Loudness war", keine peinlichen Oldschool-Beats. Stattdessen überzeugt die musikalische Begleitung durch Feinsinnigkeit. Immer wieder steht Tempests Stimme ganz alleine da, etwa im ergreifenden "All humans too late". Womit auch ein erster Zugang zu "The book of traps and lessons" gefunden wäre. Die Rapperin Kate Tempest macht nämlich größtenteils Pause. Ihre Darbietungen erinnern mehr denn je an poetry slams – mit allen damit verbundenen Stärken und Schwächen. Als Hörer muss man sich versenken wollen. Jedes Wort zählt, jedes Wort ist wohlüberlegt. Und wieder gibt es sie, diese Momente, in denen Tempest Fahrt aufnimmt, wie ein Derwisch durch die Verse hetzt und dabei Assonanzen und Vokalharmonien erklingen lässt, die sprachlos machen. Sie mag keine begabte Sängerin sein, doch ihre Sprache ist ihr Instrument. Und dieses beherrscht sie virtuos.

Kritiker werfen der Engländerin vor, gerne ins Predigen zu verfallen. Eine Kritik, die durchaus nachvollziehbar ist, aber am Kern der Sache vorbeizielt. Kate Tempests Selbstverständnis ist das einer von höheren Mächten inspirierten "poeta vates". Fließend erzählt sie ihre Geschichten, diesmal jedoch nicht aus der Beobachterperspektive. Es gibt viel "I", viel "you". Mehr als früher geht es um die Liebe. So berichtet das lyrische Ich in "I trap you" vom ganz alltäglichen Ringen mit dem Zweifel an den eigenen Gefühlen. Gleichzeitig findet es den Weg zu Versöhnlichem. Auch "Firesmoke" widmet sich dem Frieden, der aus Zwischenmenschlichkeit erwachsen kann. Fast unmerklich verschieben sich im Hintergrund die Akkorde, während Tempest ihre Zeilen ins Mikrofon raunt. Unter der Haube schlummert jedoch stets mehr. In "Holy elixir" widmet sich die Autorin der Kritik am Nihilismus der individualisierten Leistungsgesellschaft und kommt zu einem kaffeetassentauglichen Schluss: "Your loneliness is the symptom / Not the sickness." Dieser Ironie ist sie sich bewusst.

Letzten Endes sind es die "People's faces", die ein Leben lebenswert machen. Keine neue, aber eine vernünftige Lösung. Denn Schicksale, wie sie in "Brown eyed man" geschildert werden, sind keine Ausnahme. Menschen stranden, gehen verloren. Manche tauchen wieder auf, andere verschwinden. Das "Wir", das über das Persönliche hinausgeht, ist gefährlich. In ihm schlummert ein Verderben, das schon oft ganze Zivilisationen in den Abgrund gerissen hat. "And now I don't have the answers", konstatiert Tempest. Aber sie kämpft weiter um jedes Wort, denn Schweigen ist keine Alternative. Hoffnung mag manchmal widersinnig erscheinen, aber nur aus ihr entsteht Zukunft. "And I can feel things changing / Even if I'm weak and I'm breaking / And I start weeping at the train station / 'Cause I can see your faces / I love people's faces", lauten die letzten Verse des Albums. Verdammt pathetisch ist das. Aber auch verdammt schön.

(Christopher Sennfelder)

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Highlights

  • Brown eyed man
  • I trap you
  • Holy elixir
  • People's faces

Tracklist

  1. Thirsty
  2. Keep moving don't move
  3. Brown eyed man
  4. Three sided coin
  5. I trap you
  6. All humans too late
  7. Hold your own
  8. Lessons
  9. Firesmoke
  10. Holy elixir
  11. People's faces

Gesamtspielzeit: 45:00 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19947

Registriert seit 10.09.2013

2019-06-18 10:42:12 Uhr
Bei europäischen Sachen ist Pitchie gelegentlich unvollständig, das muss kein bewusster Boykott o.ä. sein (kann aber natürlich auch).
Verschwörung?
2019-06-18 08:39:17 Uhr
Hat Pitchfork wirklich noch nie ein Kate Tempest-Album rezensiert?
una pregunta
2019-06-18 08:28:56 Uhr
Was hat es mit der Limited Edition (auf CD) auf sich? Welchen Unterschied gibt es zur regulären CD?

peppermint patty

Postings: 1904

Registriert seit 07.05.2019

2019-06-17 23:54:12 Uhr
Geil, endlich Sommerferien. Ich reise in die besetzten Gebiete und werde im Hotel Ramallah sbsteigen. Lass euch auf Insta natürlich an meiner spassigen Reise teilhaben. Bis dann!
Mike
2019-06-17 22:05:19 Uhr
Unterschicht halt, so wird aus BDS auch schon mal..
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