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Tyler, The Creator - Igor

Tyler, The Creator- Igor

Columbia / Sony
VÖ: 17.05.2019

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Der größte gemeinsame Tyler

Seinem eigenen Schaffen steht Rap-Posterboy Tyler, The Creator einigermaßen kritisch gegenüber. Laut Eigenaussage findet er sein gefeiertes Durchbruchsalbum "Goblin" mittlerweile recht mau und ja, richtig toll gealtert ist das Teil wohl wirklich nicht. Gut hingegen: seine Hinwendung zum Soul und zu jazzigen Arrangements auf dem 2017er-Werk "Flower boy". Diesen eingeschlagenen Weg geht der ehemalige Aggressive Leader von Odd Future mit seinem fünften Album "Igor" konsequent weiter: Die Songs sind deutlich weniger minimalistisch angelegt als früher, Tyler, The Creator lässt an manchen Stellen Pop zu, öffnet sich für große Hooks und legt den – vermutlich aus Gründen der Unsicherheit und des Größenwahns – angelegten Schutzpanzer immer weiter ab. Dabei fokussiert er sich glücklicherweise auch aufs Wesentliche, denn zwölf Tracks in knapp unter vierzig Minuten sind für den Kalifornier eine echte Konzentrationsleistung.

Der Opener "Igor's theme" legt erst mal mit einem bratzigen Beat los, das Motiv der Platte wird bereits angeschnitten: Es geht hier ums Davonrennen, ums Flüchten, weg von den eigenen Ängsten, den fremden Ansprüchen und den alltäglichen Dämonen, die einem den letzten Rest Schlaf rauben. In "Earfquake" singt Tyler, The Creator als hätte er noch nie etwas anderes getan, seine Reibeisen-Rapstimme hat er gegen zarten Schmelz eingetauscht: Sicherlich schlagen zwei Herzen in seiner Brust, selten wurde dies klarer und offensichtlicher als in diesen drei Minuten. Durch "I think" weht der Spirit von Kanye West und Kid Cudi, Synthies sprühen bunte Achtziger-Graffitis auf den grauen Beatbeton, Tyler, The Creator brummelt die Lyrics in seinen nichtexistenten Bart, weibliche Background-Stimmen bringen den Song letztlich doch auf Kurs, halten ihn zusammen, damit die liebevoll zusammengeklebten Einzelteile nicht in alle Richtungen auseinanderfallen.

"Running out ouf time" ist dynamisch und hat die Coolness mit Löffeln (genauer: Suppenlöffeln) gefressen, auch wenn sich der einstige Raprüpel Tyler hier erstaunlich zurücknimmt, aber das ist wohl Teil der Selbsttherapie. Danach gibt es dann ohnehin auf die Zwölf: "New magic wand" ist ein derber, düsterer Industrial-HipHop-Track, der zwar keinem Angst einjagt, im Kontext des Albums aber dennoch etwas edgy daherkommt. Das folgende "A boy is a gun" gibt zunächst vor, ein souliger R'n'B-Song sein zu wollen, nur um am Ende wild um sich zu ballern. Ist Tyler, The Creator also nur ein "Wolf" im Schafspelz, ein homophobes Rap-Schlitzohr, das sich hier nur weich wäscht und einen auf nahbar macht? Oder ist der Wandel ernst gemeinter Ausdruck künstlerischer und persönlicher Weiterentwicklung?

Diese Frage wird hier und heute wohl nicht endgültig zu klären sein, doch tendenziell scheint es so, als würde Tyler, The Creator mittlerweile ein wenig anders ticken als noch in seinen Sturm-und-Drang-Zeiten. Die werten Kollegen vom Musikexpress schrieben unlängst ebenfalls, dass Tyler "endlich er selbst" sei. Wobei natürlich nicht auszuschließen ist, dass er früher tatsächlich einfach ein verhaltensauffälliger Krawallo war, der sich mit der Zeit von seinem jugendlichen Machismo emanzipiert hat und nun, 2019, über smoothen, fast schon kitschigen Funkpop relativ ironiefrei "Are we still friends?" singt. "Igor" funktioniert in diesem Sinne als Zeugnis einer fortwährenden Genese, sowohl in musikalischer als auch in persönlicher Hinsicht. Ein Album, von dem sich Tyler, The Creator in Zukunft wohl kaum distanzieren muss.

(Kevin Holtmann)

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Highlights

  • Earfquake
  • Running out of time
  • New magic wand

Tracklist

  1. Igor's theme
  2. Earfquake
  3. I think
  4. Exactly what you run from end up chasing
  5. Running out of time
  6. New magic wand
  7. A boy is a gun
  8. Puppet
  9. What's good
  10. Gone, gone / Thank you
  11. I don't love you anymore
  12. Are we still friends?

Gesamtspielzeit: 39:43 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Lateralis84skleinerBruder

Postings: 757

Registriert seit 03.03.2019

2021-03-07 22:11:06 Uhr
Freitag Nacht wieder einmal aufgelegt. In letzter Zeit war eher Flowerboy der pick. Hatte 2020 eine ganz intensive IGOR Phase. Möchte beide Alben nicht missen.
Und die Dinger haben mir den Zugang zu Wolf und vor allem Cherry Bomb ermöglicht

The MACHINA of God

User und Moderator

Postings: 31659

Registriert seit 07.06.2013

2021-03-07 13:27:04 Uhr
Der Grammy-Auftritt ist so mega. Hab ihn auch mal live erleben dürfen, hat ordentlich Spaß gemacht. in "IGOR" muss ich mich mal mehr reinhören, kenn ich bisher gar nicht.

saihttam

Postings: 2359

Registriert seit 15.06.2013

2020-02-11 02:30:05 Uhr
Da habe ich auch schon reingehört, allerdings noch nicht so intensiv. Ich fand es auch gut, aber es hat mich noch nicht in gleichem Maße gepackt. Vermutlich zum Teil auch einfach, weil es deutlich raplastiger ist. Igor ist ja eigentlich fast mehr Pop, Soul und Funk als Hip-Hop.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19947

Registriert seit 10.09.2013

2020-02-11 02:17:49 Uhr
Hör dir auf jeden Fall auch den Vorgänger an, falls du ihn noch nicht kennst. Geht in ne ähnliche Richtung und ist in meinen Ohren stärker als Igor.

saihttam

Postings: 2359

Registriert seit 15.06.2013

2020-02-11 01:26:24 Uhr
Schade, dass die Rezi so wenig auf das inhaltliche Konzept der Platte eingeht. Dabei zeichnet doch gerade diese Reise vom anfänglichen Verliebtsein über die ersten Krisen und den Trennungsschmerz bis zum versöhnlichen Ende dieses Album aus. Allein dafür würde ich schon mindestens einen Punkt mehr geben.
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