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Gang Of Four - Happy now

Gang Of Four- Happy now

Gang Of Four / Rough Trade
VÖ: 26.04.2019

Unsere Bewertung: 5/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Theseus' Rockband

"Bizarr", schreibt der User "fakeboy" im Plattentests.de-Forum zum aktuellen Stand von Gang Of Four. "Die Band klingt jetzt nach Depeche Mode und besteht zu 3/4 aus Jünglingen." Er hat recht, im Grunde mit allem. Schon seit "What happens next" ist Gitarrist Andy Gill das letzte verbliebene Ursprungsmitglied, und seine neuen Kollegen John Sterry, Thomas McNeice und Tobias Humble können die Pioniertage des Post-Punk, deren Erben sie nun sind, unmöglich selbst miterlebt haben. Vom Sound dieser Zeit haben sie sich auch weitgehend wegbewegt, mit Synthies und Industrial-Beats liegen Dave Gahan und Co. als eine der Inspirationsquellen tatsächlich nahe. Und ja, "bizarr" taugt als Beschreibung für die neuen Gang Of Four besser, als es ihnen je zu wünschen war. Wie beim Schiff des Theseus steht die Frage im Raum, wie viel Identität übrig bleibt, wenn nicht nur die Einzelteile, sondern auch das Gesamtbild nur noch wenig mit dem Original gemein haben.

Dabei steht das Grundgerüst von "Happy now" auf solidem Boden, Gills charakteristische Gitarre hat wenig an Schärfe eingebüßt, und auch McNeice gibt als neuer Bassist eine gute Figur ab – vor allem im Opener "Toreador", der sich als Millennial-Update der alten Gang Of Four noch anerkennend abnicken lässt. Obwohl es wieder Unterstützung durch Frauenstimmen und in "Ivanka. My name's on it" sogar einen Mini-Chor gibt, bleibt die Liste namhafter Gäste recht leer. Das ist mehr Fluch als Segen: Die von Alison Mosshart oder Herbert Grönemeyer auf "What happens next" gesetzten Reizpunkte fehlen, und die Band kann deren Abwesenheit auch nicht zur Gestaltung ihres eigenen Charakters nutzen. Stattdessen wirken Gang Of Four eher wie Abziehbilder eines ergiebigen Pools von Referenzen. Die Einflüsse von Mossharts The Kills können sie in "Don't ask me" noch ganz ordentlich verarbeiten, doch das viel zu lange "Alpha male" klingt wie ein blutleerer Hybrid aus Garbage und Nine Inch Nails.

So bleibt das Hauptproblem von Gang Of Four, dass sie nicht mehr so recht wissen, was sie sein wollen. Dass sie ihre Identitätskrise dieses Mal in ein homogeneres Album verpacken, mag man ihnen anrechnen, die akustische Realität erweist sich aber zu oft als eintönige Midtempo-Langeweile. Zwar würde man Gill den hibbeligen Disco-Punker eh nicht mehr so ganz abkaufen, doch auch in der altersgemäßen Gesetztheit bleiben gute Ansätze ungenutzt – "I'm a liar" etwa ersäuft seine wirklich schöne Melodie unter einer völlig unnötigen Flut von Effekten. "White lies" macht es als stimmungsvolle Electro-Ballade merklich besser, ebenso wie die in ihrer Cheesiness launige Synthpop-Single "Paper thin", doch die Irritation lässt sich auch in den positiven Momenten der Platte nie abschütteln. Dass die Produktion das am ehesten in der Ursprungszeit zu verortende Element, die Gitarre, meistens in den Hintergrund rückt, trägt auch nicht gerade zur Erhellung bei.

Was Gang Of Four neben ihrer schnörkellosen Musik immer auszeichnete, waren ihr politisches Bewusstsein und das sozialkritische Auge, geboren aus einer von Thatcher und Nixon geprägten Ära der Unruhe. Zumindest hier machen sie auch im Jahr 2019 keine Abstriche – Trump ist nicht nur deshalb auf "Happy now" allgegenwärtig, weil er ein Viertel des Coverbilds ziert. Stellenweise macht sich das Feuer auch hörbar, im wuchtigen "Locks" oder im bedrohlich brodelnden "One true friend" mit seinem eingängigen Refrain, doch das passiert einfach zu selten. Gill und seine Buben haben immer noch genug zu sagen, schaffen es allerdings nicht, eine eigene musikalische Vision mit Charakterstärke und Selbstbewusstsein zu entwickeln. "Komplett in der Belanglosigkeit versandet", wie "King Dude", ein anderer Forumsnutzer, schreibt, ist die Band noch nicht, doch wenn das so bleiben soll, muss die eine oder andere Kursänderung her.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • Toreador
  • One true friend

Tracklist

  1. Toreador
  2. Alpha male
  3. One true friend
  4. Ivanka. My name's on it
  5. Don't ask me
  6. Locks
  7. I'm a liar
  8. White lies
  9. Paper thin
  10. Lucky (Bonus track)

Gesamtspielzeit: 41:29 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Live
2019-05-20 12:57:14 Uhr
Habe die Band auf den NewWavesDay live gesehen. Sehr merkwürdige Performance. Es wirkte, als stände ein Daddy mit seinen drei zugedröhnten Buben auf der Bühne, die total ausser Rand und Band sind und schon mal minutenlang auf die Instrumente einkloppen. Andy Gill scheint dies alles sehr lustig zu finden. Oder macht ein in die Jahre gekommener Herr nur auf Berufsjugendlicher?
@slowmo
2019-05-01 18:16:23 Uhr
Gill ist der Gitarrist, nicht Bassist. Sonst hast du recht mit allem.

slowmo

Postings: 1128

Registriert seit 15.06.2013

2019-05-01 18:12:53 Uhr
Wenn man wirklich nur das Album für sich hört, dann ist das ganze recht wohlwollend betrachtet evtl. eine halbwegs solide Wave Pop Platte geworden.

Dadurch das Andy Gill scheinbar allerdings gerade eine Art von "Latelifecrisis" durchmacht und seine alten Bandkollegen kein Bock mehr darauf haben, aber er eben irgendwie krampfthaft versucht etwas totes wieder zum Leben zu erwecken, muss sich nun dieses Album auch an GoF messen.

Dann stellt sich die Frage, was ist noch übrig geblieben, wenn man außer der Bandnanme und der Bassist, alles andere ausgetauscht und die restlichen Bandmembers durch vollgekokste Teenies ersetzt wurden? Eigentlich nichts, außer eine Mogelpackung.

Unter anderem Namen vllt. mit einem zugekniffenen Auge noch eine 6/10, aber so eben eher eine Verschändelung des Gesamtwerks.

Petra Pau
2019-04-26 15:50:51 Uhr
Die Größe einer Band zeigt sich auch daran, ob sie rechtzeitig abtritt
King Dude
2019-04-26 15:10:38 Uhr
Go4 kann niemals ohne Andy Gill existieren.
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