The Felice Brothers - Undress
Yep Roc / H'Art
VÖ: 03.05.2019
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10
America the beautiful
Ian und James, The Felice Brothers, hatten mit ihrem neuen Album "Undress" ein gewichtiges Ziel: "Wenn wir wirklich in einem völlig totalitären Staat leben würden, sollten wir für dieses Album hingerichtet werden." Und tatsächlich hat diese im Spätsommer 2018 aufgenommene Platte einiges an ätzender Kritik zu bieten, hält der amerikanischen Heimat mit Witz und beißender Satire den Spiegel vor. Der eröfnnende Titelsong ist eine einzige Forderung, ein einziges Mal echt und aufrichtig zu sein, "Republicans and democrats / undress." Die Kanditaten beim Familienduell sind nackt, schießfreudige Deputies legen ihren Hass offen, und auch das: "Vice president and president / French kiss." Dazu steigert sich der Song nach und nach zu einer vergnügungswilligen Erweckerhymne, grotesk und gegen den Willen des Hörers mitreißend, trotz des Zynismus. Die eiskalt abgekochte Westernmediation "Holy weight champ" trägt da schon eher den Ernst der Lage in sich, eine Moritat zwischen der Fatalität des menschlichen Schicksals und weitschweifenden Piano- und Gitarrenklängen.
Die Felice-Brüder waren ja eigentlich nie unpolitisch, eine derart schlüssige Verknüpfung von Privatem und Gesellschaftlichem ist ihnen aber selten gelungen, der Präsidentschaftskanditat in "Special announcement" verspricht aberwitzige Dinge, mehr Beeren auf dem "Blueberry Hill", und lullt den Hörer und das Wählervolk mit seinem vergnüglichen Country-Shuffle genüsslich ein. Das "Salvation Army girl" wird dagegen eher mit stürmischen Rock'n'Roll gefeiert, "All of the junkies here agree / She looks a lot like Jackie Kennedy." Dieses Album ist eine Parade der handgemachten Populärmusik der letzten sechzig Jahre, Country, Folk-Rock, Klavierballaden, alles kommt da zum Einsatz, wo es am besten seinen Zweck erfüllt. Das gemütliche Orgel-Spiel in "Poor blind birds" verkörpert ein bescheidenes Schicksal und gleichzeitig die Unmöglichkeit, selbigem zu entfliehen, der schunkelige Refrain besänftigt und sorgt für eine abgehalfterte Zufriedenheit. Da heißt es "We were left out of Eden / In the wake of our first mistake", und diese Unnachgiebigkeit einer religiösen Obrigkeit bleibt dann auch das Maßgebliche für die armen, blinden Vögelchen, die sich vom Reigen friedlicher Musik in einen oberflächlichen Schlaf schunkeln lassen.
Deutlich sinisterer ist der mit grummelndem Bass ausgestattete Anfang von "TV mama", wobei auch dieser Song schnell seinen Frieden in der einen aufgehübschten Begriff von Freiheit symbolisierenden Pedal-Steel-Gitarre findet. Diese Musik besänftigt und ruft eine Zufriedenheit aus, auf der textlichen Ebene zeigt sich jedoch, dass es sich um ein trügerisches Idyll handelt. Das ikonische "The kid" kommt direkt aus dem musikalischen Zentrum des weißen Amerikas, zeigt aber die Abgründe der White Supremacy mit genügsamem Country-Firlefanz ätzend auf. Dass man den gebrochenen "Hometown hero" dann im Stile von Bruce Springsteen besingt, überrascht da auch wenig. Auch "Jack reminiscing" wendet das scherzend lebhafte Bar-Piano gegen den typischen, wohlsituierten Bürger, während die Brüder aus dem Staate New York groteske und zynische Heldenlegenden spinnen, "He died on a fourth of july / In a firework display." Es sind solche Momente, die durch spotthafte Übersteigerung das Selbstbild der amerikanischen Eliten ins Lächerliche ziehen und es zum Wanken bringen. In einer anderen Zeit und bei anderen Gegebenheiten wurden Künstler schon für deutlich weniger aufgeknüpft, The Felice Brothers haben ihr Ziel also erreicht.
Highlights
- Undress
- Salvation Army girl
- Hometown hero
Tracklist
- Undress
- Holy weight champ
- Special announcement
- Nail it on the first try
- Salvation Army girl
- Poor blind birds
- TV mama
- The kid
- Hometown hero
- Jack reminiscing
- Days of the years
- Socrates
Gesamtspielzeit: 47:04 min.
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Referenzen
Drive-By Truckers; Simon Felice; The Band; The Avett Brothers; Whiskeytown; Justin Townes Earle; The Low Anthem; Wilco; Deer Tick; Bob Dylan; Ryan Adams; Bruce Springsteen; Joe Pug; Howe Gelb; Giant Sand; Jason Isbell; Monsters Of Folk; M. Ward; Blitzen Trapper; Horse Feathers; Clem Snide; Two Gallants; Bowerbirds; Josh Ritter; Langhorne Slim; Middle Brother; Conor Oberst; The Jayhawks; Pete Seeger; Patterson Hood; Vetiver; Willy Mason; Great Lake Swimmers
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