Martha - Love keeps kicking

Big Scary Monsters / Al!ve / The Orchard
VÖ: 05.04.2019
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Mit Leid
Heute mal unnützes Wissen zum Thema Vornamen: "Der SmartGenius Bürgerlichkeitsindex für den Vornamen Martha beträgt 110 (der Wert 100 entspricht dem Durchschnitt der Bevölkerung). Andere Mädchennamen, die gemäß dem Bürgerlichkeitsindex ein ähnlich hohes Sozialprestige aufweisen, sind zum Beispiel Luzie, Else und Heike." Werden sich die hier besprochenen britischen Punks jetzt Sorgen um ihre Kredibilität machen, weil ihr Bandname eher in bürgerlichen Kreisen Verwendung findet? Wahrscheinlich nicht, mit dem angestaubten Genre-Knigge konnten sie eh nie wirklich was anfangen. Marthas Musik war schon immer eher fröhlich als wütend, sie rebellierten in gleichem Maße gegen sich wie gegen die anderen und ließen Herzschmerz und andere persönliche Krisen in ihren Texten zu. Es erscheint gar nicht so unpassend, dass die vier tatsächlich aus einer Ortschaft namens Pity Me kommen, auch wenn sie von selbstmitleidigen Befindlichkeits-Gesuhle weiterhin ganz weit entfernt sind.
Nicht, dass sich Martha einfach als unpolitisch abschreiben lassen, immerhin singen sie von minderjährigen Brandstiftern oder feministischen Sci-Fi-Autorinnen und sind ihre Anti-Mainstream-Lebensentwürfe schon für sich genommen ein Politikum. Doch es hat seinen Grund, warum bei "Love keeps kicking" das große Four-Letter-Word ganz am Anfang steht. Die dritte Platte des Quartetts versteht sich als Trennungsalbum, begreift die Liebe allerdings nicht nur als Auslöser von Schmerz, sondern auch als dessen wirkungsvollstes Heilmittel. Gleich der Opener "Heart is healing" trägt diese Dialektik mit, Daniel Ellis' "This year blew my world apart" wirkt hier eher aus dem Trotz als aus der Wehleidigkeit heraus geboren. Passend dazu spielen Martha ihren üblichen, stürmischen Power-Pop-Punk, der mit Mehrstimmigkeit und eingängiger Gitarren-Hook keinen Muskel unbewegt lässt – der erste große Hit auf einem Album, das aus nichts anderem besteht.
Schnörkellos und mit durchweg hohem Tempo jagt der Vierer hier durch, allerdings mit einem so griffigen Songwriting, das man trotz des Drehwurms nie die Orientierung verliert. Da landen sie etwa bei "Sight for sore eyes", dem besten Song der Platte, der die perfekte Balance zwischen Melancholie und Euphorie findet. Oder auch beim luftigen Titelstück, nur echt mit beklopptem B-Movie-Video samt riesigem Monsterfuß. In der zweiten Hälfte beweisen Martha indes, dass ihre Philosophie auch ein paar stilistische Ambitionen zulässt. Zwar gibt es hier keinen Siebenminüter à la "Do nothing", dafür aber "Brutalism by the river (Arrhythmia)", das nach anderthalb Minuten plötzlich in einen Shoegaze-Part kippt und zu einer großartigen Klimax zusammenläuft. "Orange juice" erinnert mit seiner sehnsuchtsvollen Epik sogar an Indie-Emo-Größen wie The Weakerthans oder Jimmy Eat World – dass eine nordenglische Provinz-Band je so amerikanisch klang, darf bezweifelt werden.
Schon in der Rezension zum Vorgänger "Blisters in the pit of my heart" bedauerte Kollege Heinecker, wie unter all dem Hochleistungsbetrieb die wirklich tollen Texte manchmal etwas untergehen. Daran ändert sich auch auf "Love keeps kicking" nichts – gerade "Mini was a preteen arsonist" ist mit seiner süßen, aber auch bestimmten Geschichte von kindlicher Rebellion ein aufmerksames Ohr wert. Selbst allereinfachste Zeilen wie "I don't know what to do now" können dann tief ins Fleisch drücken, gipfelnd in "The only letter that you kept", dem herzzerreißendsten Song der Band. Bassistin Naomi Griffin singt nur von ein paar Gitarren begleitet von früher Heirat und falscher Liebe, bis ihre Kollegen im finalen Chor den Haken hinter die Vergangenheit setzen. Martha gehören nicht nur deshalb zur Genre-Spitze ihres Landes, weil sie so großartige, mitreißende Musik machen, sondern weil sie jeden Ton und jedes Wort absolut aufrichtig rüberbringen. Da müssen die nächsten deutschen Kaff-Punker namens Heike oder Else erst einmal rankommen.
Highlights
- Sight for sore eyes
- Mini was a preteen arsonist
- Brutalism by the river (Arrhythmia)
- The only letter that you kept
Tracklist
- Heart is healing
- Sight for sore eyes
- Into this
- Wrestlemania VIII
- Mini was a preteen arsonist
- Love keeps kicking
- Brutalism by the river (Arrhythmia)
- Orange juice
- The void
- Lucy shone a light on you
- The only letter that you kept
Gesamtspielzeit: 37:08 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Obrac Postings: 2593 Registriert seit 13.06.2013 |
2019-04-26 17:32:25 Uhr
"Orange juice" ist geil. |
Gordon Fraser Postings: 2764 Registriert seit 14.06.2013 |
2019-04-26 16:45:21 Uhr
Großartig, gerade der geschlechtsübergreifende Wechselgesang. So viel Sonne in den Songs, trotz der oft morbiden Themen. |
eric Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 2878 Registriert seit 14.06.2013 |
2019-04-05 17:24:37 Uhr
Ganz tolle Platte fürs Frühjahr. Bisher hab ich aber komplett andere Highlights :D |
zzZZZZzzzzZZZZzzzzZZZ... |
2019-03-29 13:37:26 Uhr
...zzzZZZZZZzzzzzZZZZZzzzzzZZZZzzz |
slowmo Postings: 1405 Registriert seit 15.06.2013 |
2019-03-29 12:46:56 Uhr
Sehr sympahische Band, die mich phasenweise mit ihren garagig poppigen Powerpunk und ihren zuckrigen Texten etwas an die guten alten Sarah Records Zeiten erinnert. Besonders ihr 2014er Debüt Courting Strong war für mich nicht nur ein echtes Jahreshighlight damals, sondern funktioniert auch als wunderschöne Frühling im Park Platte. Denke/hoffe die neue wird wohl daran anknüpfen. Into This gefällt schonmal. |
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Referenzen
Ted Leo And The Pharmacists; Cloud Nothings; Guided By Voices; The Moldy Peaches; Weezer; The Hold Steady; The Thermals; The Weakerthans; Jimmy Eat World; Best Coast; Veronica Falls; Alvvays; Wavves; The Pains Of Being Pure At Heart; Joanna Gruesome; Tunabunny; Tacocat; Shrag; DIIV; Allah-Las; Mikal Cronin; The New Pornographers; Los Campesinos!; The Spook School; Pixies; The White Stripes; Kaiser Chiefs; The Get Up Kids; The Subways; Blondie; The Pretenders; Sleater-Kinney; Garbage; The Gaslight Anthem; Girls In Hawaii; The Carpenters; Joyce Manor; Chorusgirl; Swearin'; Radiator Hospital; Paramore
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