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Chris Cohen - Chris Cohen

Chris Cohen- Chris Cohen

Captured Tracks / Cargo
VÖ: 29.03.2019

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Durch die Ritzen

Manches braucht ein wenig Zeit. Da war der Erstkontakt des Rezensenten mit Chris Cohens selbstbetiteltem Album reichlich unspektakulär, angenehme Schluffi-Psychedelik mit niedrigem Spannungsfaktor war das erste Urteil. Doch da lag der Schreiber nicht ganz richtig. Denn der Amerikaner Cohen ist ein Meister darin, in vordergründig Unauffälliges raffinierte Widersprüche einzubauen. Zum Beispiel gleitet vieles auf dieser Platte angenehm ruhig dahin, auf textlicher Ebene steckt aber reichlich Sehnsucht, teils in verzweifelter Form. Jene Sehnsucht funktioniert in zwei Richtungen, da ist zum einen der Wunsch von etwas oder jemandem wegzukommen, auszubrechen, wenn man es dramatisch ausdrücken will. Das Verlangen, mit und bei jemandem zu sein, ist an anderer Stelle jedoch mindestens ebenbürtig und generell gilt: "I waited for such a long time." Grundlage für diese sehnsüchtigen Bekundungen ist die Scheidung von Cohens Eltern nach 53 Jahren Ehe, die für Cohens Vater unter anderem die Möglichkeit eröffnete, seine wahre sexuelle Identität zu leben.

Musikalisch lassen sich in dem gediegenen Gesamtgefüge ebenfalls Risse und Brüche finden. Das stoisch wabernde "House Carpenter" wird von einem entfernten Gewittergrollen des Beckens geführt, die Cymbals scheppern immer mal wieder ins haluzinogene Treiben hinein, und auch das Wah Wah der Gitarre entwickelt sich zu einer enervierenden Formation. Viel Leben also in einem vordergründig ruhigen Dahingleiten. In "Edit out", welches von einem tröpfelnden Pochen der Percussion ernährt wird, beansprucht der voluminöse Bass, rustikal und markant, einen ziemlich großen Geltungsbereich, den er sich aber mit einem lieblichen Saxophon teilen muss. Die Gewichtungen verschieben sich bei Cohens Songs jedoch immer mal wieder graduell, der genügsame Jangle-Pop von "Green eyes" löst sich am Ende des Refrains fast auf, der Gesang kondensiert förmlich in kaum noch greifbare Formen und man träumt diesen Song eher, als das man ihn hört.

In umgekehreter Form funktioniert "Sweet William", dessen jahrmarkthafter Orgel-Shuffle durch eine Zuspitzung der Rhythmik zum Schluss noch mal ordentlich Richtung und Fahrt aufnimmt, raus aus der psychedelischen Beliebigkeit, hin zu einem scheinbar konkreten Ziel. "Twice in a lifetime" schunkelt dann wieder scheinbar zufrieden dahin, die Gitarre äußert mit ihren Licks aber erneut jene unterdrückte Sehnsucht, die für dieses Album so wichtig ist. Das resignative "What can I do?" aus dem gleichnamigen Song steht einer musikalischen Harmlosigkeit gegenüber, die den Eindruck des Gefangen seins in einer Hölle aus Wohlstand und Häuslichkeit eindrucksvoll vermittelt. Die unruhig vibrierenden Bläser und der kastrierte Rhythmus von "The link" lassen jenes Ungemach im Folgenden klanglich ebenso greifbar werden, wie das Abdriften in sinisteres Terrain an den melodischen Rändern von "Heavy weather sailing". Die Fassade von Chris Cohens Songs vermittelt zwar immer den Eindruck von zufriedenstellenden Verhältnissen, im Inneren aber kocht unterdrückte Leidenschaft, die erst unscheinbar aber letztlich unaufhaltbar durch die Ritzen des häuslichen Idylls quillt.

(Martin Makolies)

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Highlights

  • Edit out
  • House Carpenter
  • The link

Tracklist

  1. Song they play
  2. Edit out
  3. Green eyes
  4. Sweet William
  5. House Carpenter
  6. Twice in a lifetime
  7. What can I do?
  8. The link
  9. Heavy weather sailing
  10. No time to say goodbye

Gesamtspielzeit: 34:41 min.

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Armin

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2019-03-21 20:25:32 Uhr - Newsbeitrag
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