Nilüfer Yanya - Miss Universe
ATO / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 22.03.2019
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Besser ist das
Heute schon Gedanken um die Gesundheit gemacht? Nein? Keine Sorge: Nilüfer Yanya regelt das für Sie. Als fürsorgliche Stimme der Firma WWAY HEALTH, die den Kunden respektive Hörer auf diesem Album zuvorkommend durch Interludes zu Paranoia-Prävention, Online-Kampagnen und bizarren Umfragen geleitet. Als würde Janelle Monáes "Electric lady" einem sofort verräterische Kontroll-Apps und teure Zusatzleistungen aufschwatzen, wenn man mal kurz bei seiner Krankenkasse anruft. Ein so scharfsinniger wie humorvoller Kommentar zu gläsernem Patienten und Selbstoptimierungs-Wahn, den die Londonerin mit türkischen und irischen Wurzeln argwöhnisch beäugt – denn was, so möchte man meinen, gibt es an einer "Miss Universe", die sich zudem als "Heavyweight champion of the year" präsentiert, überhaupt noch zu verbessern?
Geht man nach den exquisiten Vorboten dieses Debüts, nicht allzu viel. Vor allem die bittere, aber stolze Beziehungsabrechnung "Thanks 4 nothing" war dank pointierten Licks und sparsamem Rhythmusgerüst zwischen Neo-R'n'B und TripHop so gut, dass die Britin Einzug in die "Sound of 2018"-Liste der BBC hielt. Dass "Miss Universe" mit gelinder Verspätung erscheint, hat die Erwartungen dabei nicht gerade nach unten geschraubt, und der Opener "In your head" wirkt wie ein Befreiungsschlag ob der Vorschusslorbeeren. Die Drums gehen rabiat auf die Zwölf, die Riffs beißen aggressiv um sich und sind vom dunklen Timbre der 23-Jährigen nur mühsam zu besänftigen – ein tosender Rocksong ohne Netz und doppelten Boden, der ständig mit der eigenen Unzulänglichkeit zu ringen scheint, obwohl er das eigentlich gar nicht nötig hat.
Und je weiter "Miss Universe" fortschreitet, desto klarer wird: Die Britin ist von unbändigem Machenwollen beseelt und entschlossen, auf ihrem ersten Album möglichst viel von dem unterzubringen, was ihre musikalische Sozialisation von Singer-Songwriter über Soul und Jazz bis hin zu New Wave so hergibt. Stellenweise liest sich die Trackliste gar wie ein Wegweiser durch Yanyas mannigfaltige Support-Slots für andere Künstler: Das mit glucksendem Breakbeat ausgestattete "Paradise" verweist mehr oder weniger auf The xx, während "Monsters under the bed" in seiner luftigen Halbakustik auch Sharon Van Etten gut zu Gesicht stehen würde und die maschinelle, "A forest" beleihende Post-Punk-Anmutung des fiebrigen Prachtstücks "Heat rises" der Fahndungsliste von Interpol entnommen sein könnte. Mit anderen Worten: Nilüfer Yanya passt überall am besten hin.
Bei aller stilistischer Flexibilität leidet dieses Album jedoch zuweilen an latenter Richtunglosigkeit: Wer wie Yanya zu den jazzigen Saxofon-Ad-Libs von "Melt" den Müll runterbringt, den kann man für den Rest des Tages genauso abschreiben wie alle, die sich bei "Safety net" im diffusen Schönklang einer fast an Blue Eyed Soul grenzenden Ballade zu verfangen drohen. Schon macht "Miss Universe" Anstalten, sich gen Belanglosigkeit auszuschleichen – ehe "Heavyweight champion of the year" diese Schwachheiten ausräumt, minimalistisch eine gereizte Spannung aufbaut und dann triumphal dicke Stromgitarren abfeuert. Das große Finale eines vielversprechenden Erstlings, auf dem noch nicht alles auf Anhieb funktioniert – wie wäre es also mit etwas Selbstoptimierung? Man muss ja nicht gleich obskure Gesundheits-Hotlines anrufen.
Highlights
- In your head
- Heat rises
- Heavyweight champion of the year
Tracklist
- WWAY HEALTH™
- In your head
- Paralysed
- Angels
- Experience?
- Paradise
- Baby blu
- Warning
- Heat rises
- Melt
- "Sparkle" God help me
- Safety net
- Tears
- Monsters under the bed
- The unordained
- Give up function
- Heavyweight champion of the year
Gesamtspielzeit: 53:05 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 9300 Registriert seit 26.02.2016 |
2019-10-09 10:20:44 Uhr - Newsbeitrag
"Heat Rises" hat einen Rework bekommen: |
saihttam Postings: 2359 Registriert seit 15.06.2013 |
2019-07-31 01:33:38 Uhr
Top 3 weiß ich nicht, aber die Top 10 sinds bei mir auf jeden Fall. Auch sonst pflichte ich dir bei. |
80ty |
2019-07-21 10:08:59 Uhr
Nachtrag: definitiv in der Top3 der besten Alben 2019 bisher! Ganz eigenes Flair, sehr schöne Produktion und zum Großteil richtig starke Songs. Ein paar kleinere Ausreisser sind noch dabei, aber so what ... |
saihttam Postings: 2359 Registriert seit 15.06.2013 |
2019-04-30 13:26:16 Uhr
Nee, ist schon größtenteils ein starkes Ding. Nach hinten raus fällt es vielleicht ein wenig ab. Die Interludes hätten auch nicht unbedingt sein müssen, aber eine 7/10 ist es für mich schon mindestens.Schade, dass einige ihrer früheren richtig tollen Singles nicht mit drauf sind. Die hätten die Qualität sicher noch ein wenig gesteigert. Andererseits gibt es so mehr neues zu entdecken. |
Thom Giesinger |
2019-04-25 07:30:51 Uhr
Ein sehr abwechslungsreiches Album mit einer ganzen Reihe völlig egaler Songs. Gefällig, tut nicht weh und ist vermutlich so schnell vergessen wie entdeckt. Wenn man denn solche Wertungen mag, ist 6/10 absolut nachvollziehbar, ich würde noch einen Punkt abziehen. |
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Referenzen
Daughter; Ex:Re; Anna Calvi; Bat For Lashes; London Grammar; Imogen Heap; Låpsley; Aldous Harding; Lucy Rose; Mazzy Star; Nabihah Iqbal; Poliça; The xx; Warpaint; TT; Jennylee; Girlpool; Julia Stone; Angel Olsen; Sharon Van Etten; Soak; Snail Mail; Wolf Alice; Torres; Regina Spektor; Julien Baker; Lucy Dacus; Phoebe Bridgers; Boygenius; Mitski; Haley Heynderickx; PJ Harvey; Hurray For The Riff Raff; Joan As Police Woman; Mirel Wagner; Loma; Ibeyi; Cold Specks; Ambrose Akinmusire; Alice Coltrane; Kamasi Washington; King Krule; Archy Marshall; Janelle Monáe; Erykah Badu; FKA Twigs; Banks; Kelela; SZA; Jessie Ware; Sade; Rah Band; The Invisible
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