Julia Jacklin - Crushing

Transgressive / [PIAS] Cooperative / Rough Trade
VÖ: 22.02.2019
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10

Immer mitten ins Herz hinein
Bumm, diese Fete geht nicht weiter: Witzelten wir 2016 noch, was für eine merkwürdige "Pool party" Julia Jacklin da im gleichnamigen Song ihres Debütalbums "Don't let the kids win" veranstaltete, werden die bunten Hütchen, Girlanden und Pappteller zumindest zu Beginn ihres neuen Werkes "Crushing" mit Karacho ins Wasser geworfen, bis der Anblick dieser durchgeweichten Masse jegliche Feierlaune absaufen lässt. "Body" ist nämlich nicht im Geringsten nach Späßen und Spielen zumute, trotz seiner düster-melancholischen Stimmung aber immerhin eine erste kleine Hymne auf das Selbstbewusstsein seiner Erzählerin. Die fragt sich kurz, ob der ehemalige Partner die einst voller Lust und Leidenschaft geschossenen Nacktfotos wohl noch besitzt und möglicherweise geneigt wäre, sie aus purem Frust zu veröffentlichen. Und erinnert sich daran, wie jener ehemalige Partner mal mit einer Kippe auf dem Klo dafür sorgte, dass das Paar aus einem Flugzeug entfernt wurde. "That's when the sound came in / I could finally see", singt Jacklin über das langsame Erwachen aus diesem Albtraum, und: "Well, I guess it's just my life / It's just my body."
Klanglich orientiert sich "Crushing" erneut mehr an Angel Olsen & Co. statt am stürmisch-schrammeligen Sound von Jacklins Nebenprojekt Phantastic Ferniture, findet aber Zeit und Raum zur Entfaltung ihrer eigenen Stärken. Das ausgelassene "Pressure to party" zwingt sich dann doch noch mal zum Feiern, auf die Tanzfläche und unter die nicht mehr ganz glitzernde Disco-Kugel, um so endlich über diese verflixte Beziehung hinwegzukommen, wenn es der Flugsicherheitsbegleiter offenbar schon nicht geschafft hat. Derweil schießt und trifft "Turn me down" mit charmanten Sechzigerjahre-Harmonien sowie geradezu beeindruckender und tatsächlich etwas überraschender Stimmgewalt zum Ende hin mitten ins Herz: Jacklin ist nicht Teil der so schön klingenden Zukunftspläne ihres Gegenübers und findet sich schließlich am Boden wieder. Kopf hoch – alleine liegt sie dort sicher nicht. Die Hörerschaft wird's richten.
Die steht und fällt auf "Crushing" mit Jacklin, die den Drang zur bedingungslosen Loyalität hier wahrlich einfach macht. Don't call it a Stimmungsschwankung: Das Album ist trotz seiner offen zur Schau getragenen Emotionalität ein echter Kraftprotz. Den Herzschmerz des countryesken "Don't know how to keep loving you" erträgt man nicht nur, sondern spürt ihn selbst, das Gefühl des Versagens, des Scheiterns in der Zweisamkeit und letzten Endes auch der Rückzug, die Flucht, der Auszug aus den gemeinsamen vier Wänden ist kein Märchen für besonders traurige Menschen, sondern für die allermeisten mindestens ein dunkles, unangenehmes Kapitel im Buch des Lebens. Und auch das sanft gezupfte, und doch bestimmt erzählte "Convention" strotzt nur so Authentizität, weil es eben keine Liebeskummer-Ballade ist, sondern vielmehr eine augenzwinkernde Anekdote über jene Form von Männern, die nicht nur immer alles besser wissen, sondern auch ziemlich laut, ziemlich viel, ziemlich unnötig darüber sprechen müssen.
Und so wird am Ende dann doch auch offensichtlich, wie sehr Jacklin seit der verkorksten "Pool party" und "Don't let the kids win" gereift ist. "Crushing" ist kein Zeugnis einer gerade in die Erwachsenen-Liga aufgestiegenen Sängerin, die noch auf der Suche nach ihrer Stimme ist, sondern die sowohl sachliche als auch intime Erzählung einer Frau, die sich hinter keinem riesigen Pool-Einhorn mehr verstecken muss oder will. Das kann sich manchmal in einem kleinen, zarten, tieftraurigen Gedicht wie "Good guy" widerspiegeln, in dem eine fast schon hauchende Jacklin von ihrem One-Night-Stand eine Liebeserklärung erhofft, so gelogen sie auch sein mag. Oder in einem versichernden Abschlusstrack wie "Comfort", der nicht nur dem Ex-Partner voller Liebe verspricht, dass sich die finsteren Wolken irgendwann verziehen, sondern auch sich selbst. Alles wird gut – im Falle von Julia Jacklin und ihrem zweiten Album ist es das schon längst.
Highlights
- Body
- Pressure to party
- Good guy
- Comfort
Tracklist
- Body
- Head alone
- Pressure to party
- Don't know how to keep loving you
- When the family flies in
- Convention
- Good guy
- You were right
- Turn me down
- Comfort
Gesamtspielzeit: 39:36 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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myx Postings: 5447 Registriert seit 16.10.2016 |
2024-09-13 23:29:19 Uhr
Das kann ich mir sehr gut vorstellen. :D |
Arne L. Postings: 1635 Registriert seit 27.09.2021 |
2024-09-13 22:53:46 Uhr
@mxy Na aber gerne doch! Übrigens finde ich auch, dass das Cover und auch das des Vorgängers mit dem Gummiball sich absolut großartig an der Wand machen! :D |
myx Postings: 5447 Registriert seit 16.10.2016 |
2024-09-13 18:37:37 Uhr
Freut mich, dass du das Album mal wieder hochholst, Arne. Liebe es auch sehr, und die beiden genannten Songs sind wirklich ganz besonders toll. :) |
Arne L. Postings: 1635 Registriert seit 27.09.2021 |
2024-09-13 17:42:29 Uhr
Liebe das Album sehr und "Body" und "Don't know how to keep loving you" sind nahezu perfekte Songs in meinen Ohren. |
myx Postings: 5447 Registriert seit 16.10.2016 |
2019-07-31 13:54:29 Uhr
"Body" war auch der Auftakt im Milla Club in München, und damit war ich natürlich von null auf hundert drin in Ihrem Konzert! ;) |
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Referenzen
Angel Olsen; Courtney Barnett; Waxahatchee; S; Jenn Champion; Sharon Van Etten; Wye Oak; Jessica Lee Mayfield; Cat Power; Mirel Wagner; Gemma Hayes; Grouper; Torres; Jessica Pratt; Julia Holter; Julianna Barwick; She Keeps Bees; Eleanor Friedberger; Laura Marling; Feist; Gabriella Cohen; Anna Calvi; Marissa Nadler; Rozi Plain; Fiona Apple; Emily Jane White; Karen O; Tara Jane O'Neil; Neko Case; Laura Gibson; Warpaint; Vivian Girls; Mazzy Star; Joni Mitchell; Stevie Nicks; Phantastic Ferniture; Willis Earl Beal; Cass McCombs; Alex G; Sandy Alex G; Amen Dunes; J Mascis; Kevin Morby; Chris Cohen; Whitney; Car Seat Headrest
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