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Cherry Glazerr - Stuffed & ready

Cherry Glazerr- Stuffed & ready

Secretly Canadian / Cargo
VÖ: 01.02.2019

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 8/10

Vieltönig

Alle wollen immer mehr starke Frauen sehen: Im Kino, in der Literatur, in der Musik. Ist das nicht etwas eintönig? Wie wäre es stattdessen einmal mit einer genialen, aber sozial untragbaren Künstlerin? Der hoffnungslosen Loserin, die ihr Leben nicht unter Kontrolle bekommt? Der Heuchlerin, die sich mit ihrer eigenen Mittelmäßigkeit nicht abfinden kann? Der, die ohne Hinterlist einfach nur bösartig ist? Frauen können auf genauso viele Arten kaputt sein wie Männer, soviel steht fest. Und in Anlehnung an Lev Tolstoj könnte man vielleicht sagen: Alle glücklichen Frauen gleichen einander, jede unglückliche Frau ist auf ihre eigene Weise unglücklich.

Clementine Creevy, Frontfrau von Cherry Glazerr, war es auch satt, ständig zu Stärke ermahnt zu werden; sie fühle sich vielmehr wütend. Und das sei etwas völlig anderes. Sei stark, das klingt so nach dem Bear-Grylls-Slogan "improvise. adapt. overcome". Manchmal ist man es aber einfach leid, sich zu verbiegen und an die Umstände anzupassen, wenn in Wahrheit das ganze System verdorben ist. Creevy hat freilich schon ein ordentliches Vorstrafenregister in Sachen Unangepasstheit. Als selbstbetitelter Weirdo begann sie mit 15, ihre eigenen launischen Punksongs auf Soundcloud zu stellen, und wurde von Burger Records entdeckt. Auf zwei Alben hat sie mitsamt Band einen krawalligen DIY-Gitarrenrock perfektioniert und fand nebenbei Spaß daran, durch kleine Provokationen wie dem freizügigen Umgang mit Brustwarzen, Körperbehaarung und ihrer Menstruation anzuecken. Mit gerade mal 21 glaubt Creevy nun aber, der Sturm-und-Drang-Phase bereits entwachsen zu sein. Statt lautstarker Stellungnahmen zum Weltgeschehen, die noch das Vorgängeralbum "Apocalipstick" dominierten, findet man auf dem jüngsten Werk "Stuffed & ready" vor allem eines: Introspektion. Und lernt eine junge Frau kennen, die mit der Welt und sich selbst hadert und von vielen Ängsten geplagt ist. Dieser Blick in die inneren Abgründe ist erlösend ehrlich und dabei alles andere als unpolitisch.

Der Sound klingt nicht ganz so unpoliert wie zuvor, die sorgsame Produktion fällt sofort auf. Laut und nachdrücklich ist das Trio Cherry Glazerr dennoch. Verzerrte Gitarren und nervöse Percussions sind allgegenwärtig, wie es sich für in kalifornischen Garagen sozialisierte Musiker gehört. In "Juicy socks" wechseln sich traumartige und handfeste Sequenzen ab, der Beat ist mal komplex, mal robuster. Creevys Stimme oszilliert in allen Songs zwischen fragil und hysterisch, sie will sich weder auf die Rolle des Opfers noch des Aggressors festnageln lassen. Besonders deutlich wird das in "Daddi". Darin adressiert Creevy all die namenlosen weißen Männer, die ihr vorschreiben, wie sie zu leben hat, und unterwirft sich zu zurückhaltenden Gitarrenriffs mit bitterem Sarkasmus deren Diktat: "Where should I go daddi? / What should I say? / Where should I go? / Is it okay with you?", nur um sich gleich darauf rebellisch aufzubäumen: "Don't hold my hand / Don't be my man."

In vielen Songs wird die Zerrissenheit zwischen Unsicherheit und Zorn auch musikalisch gespiegelt. Bei "Wasted nun" zeigt sich Creevy von den an sie gestellten Erwartungen überwältigt: "I'm so tired, weekend in / I'm an unproductive sin." Nach der fast schüchtern vorgetragenen Surfrock-Strophe folgt ein so energetischer Punk-Refrain, dass man an ihrer selbst diagnostizierten Lethargie zweifeln muss. Creevy gesteht offen, dass sie von widersprüchlichen Impulsen getrieben ist – hehren und weniger edlen. Könnte daran liegen, dass sie ein Mensch ist. Und Menschen sind von Natur aus nicht eintönig.

(Eva-Maria Walther)

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Highlights

  • Daddi
  • Juicy socks
  • Stupid fish

Tracklist

  1. Ohio
  2. Daddi
  3. Wasted nun
  4. That's not my real life (feat. Delicate Steve)
  5. Self explained
  6. Isolation
  7. Juicy socks
  8. Pieces
  9. Stupid fish
  10. Distressor

Gesamtspielzeit: 31:58 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Ed
2019-02-28 18:37:44 Uhr
Tolles Ding...sehr angenehmer 90er alternative/indie Vibe

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 27979

Registriert seit 08.01.2012

2019-01-24 21:20:13 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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