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Sharon Van Etten - Remind me tomorrow

Sharon Van Etten- Remind me tomorrow

Jagjaguwar / Cargo
VÖ: 18.01.2019

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 9/10

Wie gesagt

Ein durch Mark und Bein gehender Tastenanschlag des Pianos – Moment, waren wir an dieser Stelle schon? So begann nicht nur die Rezension zu Sharon Van Ettens letzten Studioalbum "Are we there" von 2014, sondern auch das Werk selbst. Etwas mehr als fünfeinhalb Jahre später wiederholt sich der Tastenanschlag zu Beginn des Fünftlings "Remind me tomorrow", ansonsten scheint alles etwas anders.Nach der Veröffentlichung des Vorgängers habe sie eine Art Leere verspürt, dazu der Druck der Musikindustrie sowie die emotionale Stärke, die ihr Abend für Abend vom Publikum abverlangt wurde, das nicht nur Schutz, sondern auch Antworten in ihrer Musik suchte – da darf man schon mal einknicken. Van Etten zog sich zurück, schrieb sich am Brooklyn College für den Psychologie-Kurs ein und wurde von Rostam Batmanglijs älterem Bruder Zal für dessen Netflix-Serie "The OA" als Schauspielerin engagiert. Nebenher erarbeitete sie die musikalische Untermalung für den Film "Strange weather" mit Holly Hunter, und auch privat lief es gut: Van Etten und ihr Partner wurden im Frühjahr 2017 Eltern eines Jungen.

Sängerin, Schauspielerin, Score-Komponistin, Mutter. Eine Zusammenfassung, die sich so liest, als habe die Frau aus New Jersey in den letzten Jahren glatt mehrere Leben geführt. Umso besser für ihre Hörerschaft, die nun in den Genuss des neuen Albums kommt, das vor Leidenschaft und Energie nur so strotzt und auf dem Van Etten einmal mehr ihre Geschichten in wohlklingende, kleine Perlen verpackt. Der bereits angesprochene Tastenanschlag macht den Anfang und der Opener "I told you everything" dort weiter, wo "Every time the sun comes up" einst aufhörte. Van Etten hat den zu Boden gefallenen Kopfhörer wieder aufgesetzt, entspannt startet sie den Tag, es ist warm, es riecht nach Kaffee, im Wohnzimmer spielt das Kind auf dem Boden und es könnte kaum noch sicherer in diesen eigenen vier Wänden sein. Die Liebesgeschichte zu ihrem ehemaligen Drummer Zeke Hutchins, mittlerweile ihr Manager und Vater ihres Sohnes, ist keine für Hollywood, keine für den Broadway, keine für Netflix und gerade in ihrer Einfachheit und Ehrlichkeit so schön wie besonders. "I had no idea", wiederholt sie am Ende immer wieder und man kann ihr Kopfschütteln fast spüren.

Einen Grund genau dafür bietet "Remind me tomorrow" freilich nicht: Van Etten ist längst am Ziel angekommen und weiß genau, wer sie ist und was sie kann. Das wiederum ist eine Menge – die gespenstische Verhuschtheit von "Memorial Day" verursacht Gänsehaut und der lupenreine Alternative-Popper "Seventeen" den einen oder anderen Nostalgie-Anflug in die eigenen Teenie-Jahre, während es den Hörer dank "Malibu" mit seinen leicht verschrobenene Americana-Anleihen in die Ferne zieht. "Remind me tomorrow" verschiebt nur das Unwichtige auf morgen, um die elementaren Dinge kümmert es sich sofort, und es lässt daran vollumfänglich teilhaben. Das hört sich mal an wie ein kleines vertontes Fotoalbum, mal wie wunderbares Gespräch unter Freunden, bei dem es immer wieder Neues zu berichten gibt.

Neu und anders, weiterentwickelt, auf dem Weg nach vorne – es ist das durchgängige Thema des Albums. Dass Van Etten zu keinem Zeitpunkt in ihrer Karriere auf der Stelle geblieben ist, ist wohl unwichtig zu erwähnen, wird beim Lauschen der Single "Comeback kid" aber umso deutlicher. Mithilfe ihres Produzenten John Congleton (The Paper Chase, St. Vincent) schafft die 37-Jährige einen von Synthies und Drum-Machine durchzogenen New-Wave-Giganten, der nach kurzer Pause den derzeitigen Champion im Ring herausfordert. Es ist auch dieses mit den Jahren gewachsene Selbstbewusstsein, das "Remind me tomorrow" vielleicht nicht unbedingt zu Van Ettens bestem, aber spannendsten Album macht. Wenn die beiden Abschluss-Faustschläge, das stürmisch-stoische "Hands" und das vergleichsweise zarte "Stay", ein letztes Mal nicht nur das schier unerschöpflich scheinende Talent, sondern vor allem auch die Vielseitigkeit Van Ettens offenbaren, ach, mit Wucht und Nachdruck aufzeigen, ist das ganz große Kunst. Auch an dieser Stelle waren wir schon, und gewiss werden wir es noch das eine oder andere Mal feststellen: Egal, auf welchen Weg es die Gute als nächstes ziehen wird, sie wird ihn – wie eben alles – schon meistern.

(Jennifer Depner)

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Highlights

  • I told you everything
  • Memorial Day
  • Seventeen
  • Hands

Tracklist

  1. I told you everything
  2. No one's easy to love
  3. Memorial Day
  4. Comeback kid
  5. Jupiter 4
  6. Seventeen
  7. Malibu
  8. You shadow
  9. Hands
  10. Stay

Gesamtspielzeit: 37:17 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

saihttam

Postings: 2359

Registriert seit 15.06.2013

2019-11-16 15:47:46 Uhr
Das sehe ich auch hier sehr ähnlich.

MopedTobias (Marvin)

Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion

Postings: 19947

Registriert seit 10.09.2013

2019-11-15 20:52:23 Uhr
Jahresendbetrachtungen? Find's immer noch sehr schön, aber klar schwächer als "Are we there". Ähnliches Problem wie bei Angel Olsen: Den neuen Sound find ich spannend (bei Olsen noch spannender), aber die Songs ziehen nicht konstant mit. Aber auch hier Meckern auf hohem Niveau. Ich sag mal so 7,5.

hallogallo

Postings: 197

Registriert seit 03.09.2018

2019-08-17 12:20:32 Uhr
Habe mir das Album mit etwas Abstand mal wieder angehört. Es ist schon richtig stark und hat Potential, langfristig spannend zu bleiben.

saihttam

Postings: 2359

Registriert seit 15.06.2013

2019-03-12 13:34:49 Uhr
Tatsächlich, eine gewisse Gemeinsamkeit ist zu erkennen. Aber Humiliation ist auch einer meiner liebsten Songs von The National. Daher passt das schon.
Ach was
2019-03-12 12:45:53 Uhr
Seventeen ist doch nur von National - humiliation geklaut mit ner Priese Springsteen.
Zum kompletten Thread

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