Deerhunter - Why hasn't everything already disappeared?
4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 18.01.2019
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Kurz vor dem Untergang
Let's call it Übergangsalbum: Nach für ihren Verhältnissen langen dreieinhalb Jahren Pause melden sich Deerhunter mit "Why hasn't everything already disappeared?" zurück und liefern in ihren zehn neuen Songs – auf konsequente Weise – mehr Fragen als Antworten. Denn im direkten Vergleich zu den meist recht kohärenten und stilistisch ausgefuchsten Vorgängern präsentiert die Band um Frontmann Bradford Cox nun einen weniger eindeutigen Sound, den man eher den mehr als nur respektablen Nebenprojekten Atlas Sound oder Lotus Plaza zuordnen würde. Am ehesten könnte man sagen, dass die neuen Kompositionen der Band aus Atlanta luftig, leicht, manchmal gar sonnendurchflutet klingen. Thematisch darf es hingegen oftmals düster zur Sache gehen. Aber das versteht sich ja von selbst.
Die zentrale Frage dieses Albums steckt schon im Titel: Warum ist noch nicht alles Wahre, Schöne, Gute verschwunden? Weshalb gibt es überhaupt noch Musik beziehungsweise Musikschaffende, wenn diese doch kaum von ihrer Kunst leben können? Wieso schreiben Menschen noch Bücher, wenn die Aufmerksamkeitsspanne vieler doch nur noch maximal für einen Tweet oder eine Überschrift reicht. Und nach dem Ende von NME, Intro, Groove und Spex darf und muss man natürlich auch die Frage nach dem Musikjournalismus stellen, der langsam vor die Hunde geht. Zumindest in gedruckter Form. Deerhunter verfallen dabei nicht in moralinsauren Kulturpessimismus, sondern bearbeiten das Sujet mit einer verschlafenen Lockerheit, die man sich so nicht antrainieren kann. "Why hasn't everything already disappeared?" ist musikalisch sicherlich ihr weichstes, ihr sanftestes Album und das ist durchaus bemerkenswert bei dieser Thematik.
Eine gewisse Verspieltheit kommt jedoch nicht zu kurz: Immer wieder experimentieren Deerhunter, lösen sich von klassischen Pop- und Rock-Schemata und setzen dann auf allerlei spinnerte Ideen. Während das hell gleißende "Greenpoint gothic" beispielsweise noch als synthiegetränktes Instrumental-Interlude durchgeht, sorgt das außerweltliche "Détournement" für Verwirrung. Mit reichlich verzerrter Stimme und minimalen Ambient-Arrangements wirkt das Stück fremdartig, wenngleich davon durchaus eine gewisse Spannung ausgeht. Deerhunter brechen damit freilich den Fluss des Albums, die Stimmungen ändern ohnehin öfter ihre Richtung. Der Hörer folgt dem entrückten Schauspiel entweder mit Neugierde und eventueller Begeisterung oder wird sich überfordert und desinteressiert abwenden. Ein Dazwischen kann es hier kaum geben.
Und das, obwohl der bereits als Single veröffentlichte Opener "Death in midsummer" zunächst zutraulich die Pforten öffnet: Cembalo und Klavier spielen einladende Melodiebögen, Cox klingt beinahe gutgelaunt, man denkt für einen kurzen Augenblick sogar an Death Cab For Cutie als soundästhetische Referenz. Ein Vergleich, der einstmals gewagt gewirkt hätte, hier aber erstaunlich gut passt. Im folgenden "No one's sleeping" manifestiert sich der thematische Kern der Platte, sinniert Cox hier doch von der alles einnehmenden Gewalt und der generellen Verrohung der Sitten. Gute Miene zum bösen Spiel, schöne Melodien zum präapokalyptischen Bauchgrummeln. Später gesellen sich schräge Bläser dazu, die dem Song eine angenehme Schieflage verpassen.
Schief ist auf "Why hasn't everything already disappeared?" sicherlich so einiges, weswegen man letztlich das eingangs beschriebene Gefühl nicht los wird, dass Deerhunter hier eher ein Übergangsalbum als das nächste Meisterwerk veröffentlichen. Gerade die zweite Albumhälfte wirkt oft eher skizzenhaft, die einzelnen Kompositionen deuten ihr Potential in der Regel eher vage an, als es in vollem Umfang auszuschöpfen. Dies ist mitunter etwas schade, die Erwartungen waren aber auch immens. Einer Band, die mit mehreren Alben, mindestens aber mit "Halcyon digest", den Sound des Indie-Jahrzehnts so nachhaltig beeinflusste und wesentlich mitprägte, darf man auch mal eine lediglich sehr gelungene Platte zugestehen. Solange sie weiterhin im Namen der Kunst kämpfen, bleiben wir an ihrer Seite.
Highlights
- Death in midsummer
- No one's sleeping
- Futurism
Tracklist
- Death in midsummer
- No one's sleeping
- Greenpoint gothic
- Element
- What happens to people?
- Détournement
- Futurism
- Tarnung
- Plains
- Nocturne
Gesamtspielzeit: 36:10 min.
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Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27172 Registriert seit 08.01.2012 |
2019-11-01 19:18:06 Uhr
DEERHUNTERTIMEBENDS VÖ: 01.11.2019 LABEL: 4AD ISRC: GB-AFL-19-00478 On 12th September this year, Deerhunter of Atlanta, Georgia spent a night in New York recording ‘Timebends’, a 12-minute opus that is released digitally today. A separate entity to their eighth studio album Why Hasn’t Everything Already Disappeared? ‘Timebends’ is a partly improvised stream-of-consciousness outpouring. Recorded live direct to tape and in one take with minimal overdubs and mastered using a completely analogue signal chain, ‘Timebends’ recalls Deerhunter’s early avant-garde recordings and reaffirms their position as one of this generation’s most dynamic live acts. Deerhunter ‘Timebends’ [12.38] Bradford Cox – Guitar, Clavinet, Vocals Lockett Pundt – Guitar, Poly Ensemble Synth Josh McKay – Bass, Omni Synth Javier Morales – Piano, Celeste Moses Archuleta – Drums Emilio Zef China – Violin Composed by Bradford Cox Produced and mixed by Dana Wachs Mastered by Heba Kadry Engineered by Nolan Theis Recorded at Bunker Studio, Brooklyn, NY on 12th September 2019 Deerhunter Tour: 16.11. Technikum, München 17.11. Synästhesie Festival, Berlin Die PM dazu. |
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 9975 Registriert seit 26.02.2016 |
2019-11-01 14:07:33 Uhr - Newsbeitrag
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Plattenbeau Postings: 976 Registriert seit 10.02.2014 |
2019-11-01 08:16:57 Uhr
"Timebends" ist ganz nett. Der Song könnte allerdings auch von irgendeinem Rockalbum der 70er stammen. Das wirkt ein bisschen beliebig und hat wenig Wiedererkennungswert. |
saihttam Postings: 2454 Registriert seit 15.06.2013 |
2019-11-01 01:51:33 Uhr
Oh cool! Die neue Platte von Bradford Cox zusammen mit Cate Le Bon, von der ja eh dieses Jahr das bessere Deerhunter-Album stammt, ist auch seit heute draußen. Hör gerade rein. |
Zu faul zum einloggen Postings: 114 Registriert seit 13.07.2017 |
2019-10-31 19:46:34 Uhr
Neuer 12-minütiger Song:Deerhunter - Timebends: https://www.youtube.com/watch?v=O5WpcvWxw0I Piano-Part hat was von "Radiohead - Hail to the Thief"-Phase? |
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Referenzen
Atlas Sound; Lotus Plaza; No Age; Women; Panda Bear; Liars; Wavves; Animal Collective; Abe Vigoda; Crystal Stilts; My Bloody Valentine; Grizzly Bear; Vivian Girls; Real Estate; Pavement; HEALTH; Times New Viking; Kurt Vile; Beach House; Here We Go Magic; High Places; Bear In Heaven; Wild Nothing; Gang Gang Dance; Beach Fossils; Washed Out; Woods; Julian Lynch; Jay Reatard; Tame Impala; Caribou; Department Of Eagles; Ariel Pink's Haunted Graffiti; Toro Y Moi; Girls; A Place To Bury Strangers; Fuck Buttons; Autolux; Dirty Projectors; Broken Social Scene; Sonic Youth; Neon Indian; Galaxie 500; Yo La Tengo; Deerhoof; Dan Deacon; Wolf Parade; The Pains Of Being Pure At Heart; Twin Sister; Spacemen 3; Menomena; The Flaming Lips; Holy Fuck; Sunset Rubdown; Akron/Family; The Depreciation Guild; The Dodos; School Of Seven Bells; Frog Eyes; The Besnard Lakes; Neu!; The Antlers; Stereolab; The Jesus & Mary Chain; Gold Panda; Arcade Fire; Ride; The Morning Benders; Volcano Choir; The Velvet Underground; Neutral Milk Hotel; Silver Jews; Stephen Malkmus; Wild Beasts; M83; Radiohead
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