Earl Sweatshirt - Some rap songs
Tan Cressida / Columbia / Sony
VÖ: 14.12.2018
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
The drowning man
Am 3. Januar 2018 starb der südafrikanische Poet Keorapetse Kgositsile. Sein Sohn Thebe pflegte ein, wie er es selbst beschreibt, "nicht perfektes" Verhältnis zu ihm, doch plante er bereits die Aussöhnung mittels seines neuen Albums. Thebes Künstlername lautet Earl Sweatshirt und "Some rap songs" ist der akustische Handschlag, den sein Vater leider nicht mehr erwidern kann. Zur gänzlich unkommerziellen Ausrichtung dieser mehr Skizzen- als Songsammlung passt das – es ist einfach kein Album für die Öffentlichkeit. Die hat den aus Chicago stammenden Rapper sowieso immer genervt, bedrängt und verehrt, während Sweatshirt mal ungewollt wie durch einen von seiner Mutter initiierten Aufenthalt in einer samoanischen Therapie-Schule, mal völlig bewusst immer wieder von der Bildfläche verschwand. "Some rap songs" formuliert ein Statement gegen Erwartungshaltungen und die aufgezwungene Erhebung zur modernen Rap-Ikone, das es in dieser Ausdrücklichkeit gar nicht gebraucht hätte.
Nur zwei der 15 Tracks überschreiten die Zwei-Minuten-Marke, es gibt keine herausstechenden Hooks oder memorablen Verse, dafür ein klaustrophobisches LoFi-Soundbild aus abgehackten Samples und verstörenden Loops. "Why ain't nobody tell me I was sinkin' / Ain't nobody tell me I could leave", rappt Sweatshirt im Opener "Shattered dreams" und greift das Motiv in "Red water" wieder auf, während man als Hörer versucht, in diesen zerstückelten Gitarren und Drums irgendwo eine Melodie, einen Rhythmus auszumachen. Die Stimme des jungen Rappers versinkt im Krach, ebenso wie er selbst in der eigenen Depression, die er hier so eindrücklich wie nie behandelt. Ein fast schon apokalyptisches Szenario beschwört "Eclipse" herauf, der von Madvillain inspirierte Beat klingt passenderweise wie eine Drehorgel aus der Hölle. Auch Trumps Name fällt später in "Veins", nicht aus einem plötzlichen Drang zur politischen Positionierung heraus, sondern als logische Konsequenz davon, dass Sweatshirt sich wirklich jeden erdenklichen Ballasts entledigen will.
Doch seine Bemühungen laufen nur ins selbstdestruktive Leere, "Ontheway!" verrennt sich in der Vergangenheit und "Cold summers" nimmt den einfachsten Ausweg in Richtung Betäubungsmittel. Was sich inhaltlich als einziger Downer darstellt, kann musikalisch aber durchaus Spaß machen – nicht nur weil besagtes "Cold summers" aus seiner bedröppelten Orgel einen verschleppten Funk-Groove entwickelt. In "The mint" bemerkt Sweatshirt, wie das Wasser bis zur Schulterhöhe ansteigt und verpackt das in einem an J Dillas Produktionen erinnernden Stück Vintage-HipHop mit spröden Piano-Tönen. Es ist als Kontrast zur Thematik aber einer der am stärksten ausformulierten Songs der Platte. Auch "Nowhere2go" wirkt mit seiner Verbindung aus stotternder Percussion und einem wahnsinnig tighten Flow geradezu hypnotisch, bis Zeilen wie "I think I spent most of my life depressed / Only thing on my mind was death", die Realität zurückholen. Generell kann "Some rap songs" bei allem Understatement nicht vertuschen, dass es sich bei seinem Protagonisten um einen der besten Rapper seiner Generation handelt, nickt damit oft, ob bewusst oder nicht, einigen Größen der Neunziger zu. In "The bends" bringt der 24-Jährige seinen monotonen Bewusstseinsstrom zum Aufstieg und Fall seiner Odd-Future-Gang sogar mit der Intensität des jungen Raekwon rüber.
Mit sich selbst wird Sweatshirt auf diesem Album nicht mehr in Einklang kommen und so versucht er es wenigstens mit seinen Eltern. "My momma used to say she see my father in me / I said I was not offended", heißt es in "Azucar", aber nicht bevor er seine Mutter noch in Rechenschaft für ihren schlechten Umgang mit seiner Krankheit gezogen hat. Doch er bleibt nicht nachtragend: "Playing possum", eine auf ihre eigene Art wunderschöne Soundcollage, schneidet eine Rede seiner Mum Cheryl Harris mit einem von seinem Vater rezitierten Gedicht zu einem die Grenzen der Sterblichkeit überschreitenden Duett zusammen. "Peanut" gerät allerdings zum Rückfall, hier ersäuft sich der trauernde Sohn wieder in seiner Verzweiflung auf einem ultra-langsamen, kurz vorm Kollaps stehenden Piano-Sample. Es sind Sweatshirts letzte Worte auf der Platte, aber nicht ihr Schlusspunkt. Kurz nach Papa Keorapetse verstarb auch sein Onkel, die afrikanische Jazz-Legende Hugh Masakela, der in "Riot!" einen letzten großen Auftritt bekommt. Es ist ein beschwingtes Instrumental mit verspielten Gitarren und ausuferndem Saxophon, eine stumme, versöhnliche Verbeugung vor der eigenen Ahnenschaft. Für den Moment schafft es Earl Sweatshirt noch, sich über Wasser zu halten.
Highlights
- Cold summers
- Nowhere2go
- The mint (feat. Blue Navy)
- Playing possum (feat. Cheryl Harris & Keorapetse Kgositsile)
- Peanut
Tracklist
- Shattered dreams
- Red water
- Cold summers
- Nowhere2go
- December 24
- Ontheway! (feat. Standing On The Corner)
- The mint (feat. Blue Navy)
- The bends
- Loosie
- Azucar
- Eclipse
- Veins
- Playing possum (feat. Cheryl Harris & Keorapetse Kgositsile)
- Peanut
- Riot!
Gesamtspielzeit: 24:39 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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MopedTobias (Marvin) Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion Postings: 20062 Registriert seit 10.09.2013 |
2018-12-28 21:06:58 Uhr
@Trigema: Wer sagt denn, dass es was "besser" macht? Die Musik von Earl schlecht zu finden, ist schlicht kein Freifahrtsschein, sich respektlos gegenüber ihm und seiner Krankheit zu äußern. Bei dem User facts facts geht es ja überhaupt nicht um die Musik. |
Inpho |
2018-12-28 19:50:45 Uhr
Marvin = MopedTobias |
Trigema |
2018-12-28 19:42:21 Uhr
Geht's hier um die Geschmackssache Musik oder um die Krankheiten der Musiker ?Entweder die Musik ist gut oder schlecht, was immer im Ohr des Hörers liegt. Musik ,vor allem rapmusik (meine Meinung), wird auch nicht besser nur weil sie von depressiven Menschen vorgetragen wird..... Sachlich bleiben.... |
Kyuss |
2018-12-28 19:39:18 Uhr
December 24 ist klasse, ähnlich ausgetüftelt wie bei Lamar. |
Schmelzkäse Bennington |
2018-12-28 18:31:32 Uhr
Aber sowat von! |
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Referenzen
Jeremiah Jae; Madvillain; Doom; Odd Future Wolf Gang Kill Them All; Tyler, The Creator; MIKE; Standing On The Corner; Hodgy Beats; Domo Genesis; Danny Brown; Aesop Rock; Clipping.; Death Grips; El-P; Badbadnotgood; Flying Lotus; Vince Staples; Freddie Gibbs & Madlib; J Dilla; Raekwon; Wu-Tang Clan; Ghostface Killah; Method Man; GZA; RZA; Jay Rock; Ab-Soul; Denzel Curry; Flatbush Zombies; Isaiah Rashad; Run The Jewels; Schoolboy Q; Joey Bada$$; Young Fathers; Nevermen; Kanye West; Kendrick Lamar; A$AP Rocky; Georgia Anne Muldrow
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