Coldplay - Live in Buenos Aires
Parlophone / Warner
VÖ: 07.12.2018
Unsere Bewertung: 5/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Hoch die Hände
Eigentlich könnt Ihr direkt an dieser Stelle aufhören zu lesen. "Live in Buenos Aires" ist absolut und zu 101 Prozent das Live-Album, das man von Coldplay im Jahr 2018 erwartet. Keinen Ton dieser Platte hätte ich vorher hören müssen, um diese Rezension zu schreiben. Universal waren die Briten in ihrer abstrakten Gefühlsvermittlung schon immer, doch allerspätestens seit dem letzten Album nehmen sie das wörtlich. Jeder einzelne Ton von "A head full of dreams" war von vornherein mit der Intention konzipiert, dass eine von Freudentränen überströmte Menschenmasse sich dazu in den Armen liegen, mitsingen oder tanzen kann. So ist diese Aufnahme aus dem Estadio Ciudad de la Plata, so unglaublich das auch klingen mag, das ehrlichste Zeugnis, das Coldplay zu ihrem aktuellen Zustand je auf Kunststoff gebannt haben – endlich sind die Songs genau da, wo sie hingehören. Wer wie die Band selbst keinen anderen Anspruch mehr an sie stellt, wird an diesem eindrücklichsten Beweis ihrer Stadion-Größe seine helle Freude haben und kann gleich beim Konzertfilm "Live in São Paulo" und der Doku "A head full of dreams" der Deluxe-Edition weitermachen. Alle anderen dürfen sich wenigstens darüber freuen, dass hier "Amazing day" fehlt.
Standesgemäß dauert es keine dreieinhalb Minuten, bis der erste "Ohhhh"-Chor die Überhand über den eröffnenden Titelsong der letzten Platte gewinnt. Das Konfetti, das Feuerwerk und die bunten, "Xylobands" genannten LED-Bändchen sind aufgrund der Limitierungen des Mediums zwar nicht zu entdecken, doch wer sie sich hier nicht vorstellen kann, sollte sich auf Aphantasie untersuchen lassen. Im Grunde teilt sich der Output der aktuellen Dekade, den Coldplay auf "Live in Buenos Aires" präsentieren, in drei Gruppen auf: Die pathetischen, aber nicht unspaßigen Gitarrenpop-Stücke á la "Charlie Brown" gehen ähnlich den schmalzigen Feuerzeug-Balladen wie "Everglow" noch irgendwie klar, doch "Hymn for the weekend" und die anderen Charts-Grotesken, die genauso auch von 5000 anderen Leuten hätten stammen können, entziehen sich jeder Entschuldbarkeit. Zielgruppengerecht klatschen Chris Martin und Komparsen an das eigentlich hübsche "Paradise" noch den Tiësto-Remix und ersaufen das finale "Up & up" in nichtssagendem Inspirations-Gesülze. Dass sie zudem das Bowie-Cover "Heroes" der ersten Tour-Hälfte hier durch die Chainsmokers-Kollabo "Something just like this" ersetzen, bleibt lieber mal unkommentiert. Irgendwo ist schließlich auch mal gut, die Entwicklung dieser Band sollte sich ins Kollektivgedächtnis der Popkultur eingebrannt haben wie keine zweite.
Deshalb jetzt ein Absatz (fast) voller Liebe. Es ist Martin hoch anzurechnen, dass er fast sämtliche seiner Ansprachen auf Spanisch hält und damit tatsächlich nur mit dem Publikum vor ihm, nicht den Millionen von CD-Käufern und Streamern kommuniziert. Passend dazu hält die Tracklist zwei Überraschungen bereit, die den dritten Satz dieser Rezension als blanke Lüge entlarven: eine von Musikern des Landes unterstütze, vom Tango beseelte Liebeserklärung namens "Amor Argentina" sowie "De música ligera", ein schmissiges Cover der argentinischen Rock-Legenden Soda Stereo. Coldplays oft beschworene Fan-Liebe mag überdimensioniert und monetären Interessen untergeordnet sein, eine aufrichtige Hingabe dahinter lässt sich allerdings nicht leugnen. Und dann gibt es sie natürlich noch – die Songs der ersten zwei Alben. Völlig schnuppe, dass ein eigentlich unsäglicher "Olé olé"-Part "God put a smile upon your face" unterbricht oder dass Drummer Will Champion hier den Lead-Gesang von "In my place" übernimmt. Geschenkt, dass es von "Yellow", "The scientist" und "Clocks" schon zig intimere Darbietungen gab. Ich hatte bei allen diesen Stücken Tränen in den Augen – nicht aus irgendeinem Pseudo-Gemeinschaftsgefühl heraus, das sich bei dieser Britpop-Schlager-Party zwangsläufig einstellen mag, sondern weil es sich nach wie vor um einige der wunderschönsten Hymnen der jüngeren Musikgeschichte handelt, unzerstörbar in jeder Variation und Live-Performance. Da lässt sich zum Abschluss nur noch eine Abwandlung des blöden, alten Linkenwähler-Spruchs bemühen: Wer Coldplay noch immer liebt, hat keinen Verstand, wer sie nie liebte, hat kein Herz.
Highlights
- Yellow
- The scientist
- Clocks
- De música ligera
- Amor Argentina
Tracklist
- CD 1
- A head full of dreams
- Yellow
- Every teardrop is a waterfall
- The scientist
- God put a smile upon your face
- Paradise
- Always in my head
- Magic
- Everglow
- Clocks
- Midnight
- Charlie Brown
- CD 2
- Hymn for the weekend
- Fix you
- Viva la vida
- Adventure of a lifetime
- De música ligera
- Colour spectrum
- In my place
- Amor Argentina
- Something just like this
- A sky full of stars
- Up & up
- End credits
Gesamtspielzeit: 114:17 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
Cpfan |
2019-03-02 10:36:13 Uhr
Keinen Ton dieser Platte hätte ich vorher hören müssen, um diese Rezension zu schreiben.Haben Sie auch scheinbar nicht, der abgemischte Sound und die Bildqualität sind das schwächste was ich bisher gehört und gesehen habe. Das hat die Freude und den Spass leider sehr stark abgeschwächt - auch eingefleischte Fans, weil es so offensichtlich ist. Da muss man kein audiophiler Profi sein. Sehr sehr sehr schade. Ich frage mich echt wie sowas passieren konnte |
hexed all Postings: 247 Registriert seit 15.06.2013 |
2018-12-15 02:03:52 Uhr
Ich hatte bei allen diesen Stücken Tränen in den Augen – nicht aus irgendeinem Pseudo-Gemeinschaftsgefühl heraus, das sich bei dieser Britpop-Schlager-Party zwangsläufig einstellen mag, sondern weil es sich nach wie vor um einige der wunderschönsten Hymnen der jüngeren Musikgeschichte handelt, unzerstörbar in jeder Variation und Live-Performance.Oder man ist halt extrem nostalgisch. |
Mr Oh so Postings: 3141 Registriert seit 13.06.2013 |
2018-12-12 01:22:09 Uhr
Wunderbar geschriebene Rezension. Muss man sagen. ... die gut die Zerrissenheit widerspiegelt, die alte Fans immer noch gegenüber der Band empfinden. |
Marvin Plattentests.de-Mitarbeiter Postings: 67 Registriert seit 27.04.2018 |
2018-12-12 00:47:02 Uhr
Klingt wie etwas, das jemand ohne Herz sagen würde. |
Autotomate Postings: 6174 Registriert seit 25.10.2014 |
2018-12-11 19:20:24 Uhr
Den letzten Satz hätte er sich sparen können, denn ich habe sehr wohl ein Herz. |
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Referenzen
Snow Patrol; U2; Embrace; OneRepublic; Keane; Kodaline; The Boxer Rebellion; Imagine Dragons; Maroon 5; The Killers; Brandon Flowers; John Newman; A-Ha; Morten Harket; James Morrison; Turin Brakes; The Fray; The Script; Take That; Robbie Williams; Guillemots; Athlete; Doves; Elbow; Travis; Sophia; Cherry Ghost; The Verve; Richard Ashcroft; The Temper Trap; Starsailor; Idlewild; British Sea Power; Editors; Hurts; Muse
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