Holygram - Modern cults

Oblivion / SPV
VÖ: 09.11.2018
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 9/10

In der Luft
Wenn ein Hipster ein Instagram wiegt, wie schwer ist dann ein Geistlicher? Okay, es gibt Fragen, die man einfach nicht stellen sollte. Auch und vor allem nicht, wenn es um die Namensgebung von Bands geht, die mehr oder weniger der Schwarzen Szene zuzuordnen sind. Heißen Whispering Sons also so, weil ihre Leadsängerin stimmlich kaum als eine solche zu identifizieren ist? Und sind Holygram nicht doch mindestens doppelt so schwer wie Nachbars Lumpi? Einiges zu bieten hatte jedenfalls bereits die 2017er EP der Kölner: triumphal resonierenden Post-Punk mit elektronischem Gefrierbrand, den der Fünfer zwischendurch auch mal zum Krautstampfen abkommandierte. Nichts, was The Soft Moon nicht genauso hinkriegen würden – aber immerhin so hochwertig, dass es drei Stücke in neuer Version auf Holygrams Longplay-Debüt geschafft haben.
Doch bleiben wir kurz bei The Soft Moon, genauer gesagt bei deren Produzenten Maurizio Baggio. Der wechselte nämlich kurz den Sitzplatz, nachdem er das grimmige Dunkelwerk "Criminal" zusammengeschweißt hatte, und betreute anschließend den Holygram-Erstling. Wen sollte es da wundern, dass man "Modern cults" in nahezu jedem Augenblick ab dem mahlenden Intro "Into the void" die Verbindung zu Luis Vasquez' Ein-Mann-Projekt anhört? Spitze Gitarrenläufe sensen schrill vorwärts, die Synthies heulen wie Alarmsirenen mit Panikattacke, immer ordentlich Hall auf die dicken, maschinellen Drums. Und natürlich auf Patrick Blümels Stimme, die barmend bis klagend das Verhältnis von Individuum und klirrend kalter, urbaner Nicht-Idylle verhandelt. Und da es aus der keinen Ausweg gibt, bleibt nur eins übrig: "Lose yourself in modern cults."
Man könnte argwöhnen, Post-Punk sei alles andere als modern, sondern lediglich ein wiewohl langlebiger musikhistorischer Rückgriff – aber auch anführen, dass sich das Genre laufend selbst verjüngt, indem es sich mit seinem bösen Zwilling Cold Wave und den knarzigen Ausläufern des Minimal-Techno paart. Doch natürlich geht das Ganze auf "Modern cults" nicht ohne allfällige Verweise ab: Bei den geschwinden, vorprogrammierten Club-Hits wie "A faction" oder dem Titelstück scheint die gute alte Schule von Joy Division ähnlich unverkennbar durch wie seinerzeit auf The Soft Moons "Zeros" und trifft schmatzend auf den Punkt. Anschließend wirft "Inside" mit vergröbertem Plöng-Bass und pointierten Gitarren ein kühles Auge auf New Order, und die Rhythmen verschlucken sich kurz in "Blue Monday"-Manier. Alles im Dienste großartiger Songs, versteht sich.
Egal, ob die Abwärtsspirale "Hideaway" tief in der Verzweiflungskiste wühlt oder sich in "Dead channel skies" industrielle Fabrikböden knirschig verschieben. Allenfalls in solchen Momenten drohen dichte Soundwälle die Substanz dieses Albums zu verschütten, ehe sich die Rheinländer wieder aufs Wesentliche konzentrieren. Etwa auf die von The Chameleons adoptierten, verdrehten Psych-Licks von "Odd neighbourhood" oder das mächtige "She's like the sun", das hellstes Licht durch Nebelschwaden aus Shoegaze und Motorik-Beat dringen lässt. Und Ian Curtis? Schaut im Abschluss "1997" mit der Zeile "Look away in silence" noch einmal vorbei – für das traumhafteste "Atmosphere"-Surrogat seit "E.S.T." von White Lies. 50 Minuten schweben – nicht nur gemäß Cover ein Leichtes. Und besser in der Luft als den ganzen Tag vor dem Fernseher hängen.
Highlights
- Signals
- She's like the sun
- 1997
Tracklist
- Into the void
- Modern cults
- A faction
- Signals
- Dead channel skies
- Hideaway
- Still there
- Odd neighbourhood
- She's like the sun
- Distant light
- 1997
Gesamtspielzeit: 50:02 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Opiate |
2019-02-08 08:30:00 Uhr
Wer Holygram mag, sollte nicht nein zu Lea Porcelain sagen. Holygram haben letztes Jahr im Vorprogramm von She Past Away gespielt: brilliant! |
wurm |
2019-02-08 00:06:59 Uhr
Thomas, ob Deiner Rezension, blind gekauft! Ick vetrau Dir wa! Gruß aus dem Pott |
MasterOfDisaster69 Postings: 1013 Registriert seit 19.05.2014 |
2018-11-30 18:33:16 Uhr
Recht ordentlich geworden. Bei vielen englisch-singenden Bands aus deutschen Landen stört mich leider immer dies leidige Schulenglisch. Holygram machen auch hier keine Ausnahme, aber es fällt weniger schlimm ins Gewicht. Dafür sind die wavigen Gitarrenläufe á la Cure und New Order einfach zu schön und die Platte hat keinen richtigen Ausfall.Allerdings wären da noch die Drums, in der Rezension ist von “dicken, maschinellen Drums” die Rede, maschinell schon, aber dick? na ja, höre da eher ziemlich dünne Synthie-Drums, die immer im selben lieblosen Takt daherkommen. Insgesamt ist der erste Eindruck aber sehr erfreulich, Danke. 7/10 |
MM13 Postings: 2477 Registriert seit 13.06.2013 |
2018-11-27 18:38:50 Uhr
find ich grossartig,packt mich grad voll,irgendwo zwischen jesus+mary chain und the horrors.würde auf 8/10 gehen. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28503 Registriert seit 08.01.2012 |
2018-11-22 21:37:19 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
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Referenzen
The Soft Moon; The KVB; Whispering Sons; Joy Division; New Order; Lea Porcelain; Bleib Modern; A Projection; Ritual Howls; Cold Cave; Vowws; Ash Code; Box And The Twins; Drab Majesty; Veil Veil Vanish; Vaniish; The Exploding Boy; Sjöblom; Sextile; Fotocrime; Editors; White Lies; Dragons; The Horrors; Can; Neu!; Faust; Appliance; Tammar; Suns Of Thyme; The Cure; Section 25; Protomartyr; Girls Names; Motorama; Utro; Soviet Soviet; Mode Moderne; Autobahn; INVSN; Black International; Project:Komakino; Dial M For Murder!; The Mission VEO; Actors; Lebanon Hanover; Soft Kill; Schonwald; Blessure Grave; Antipole; European Ghost; Visions In Clouds; She Past Away; Second Still; Love In Prague; She Pleasures Herself; Secret Sight; CatPeople; Principe Valiente; Luc Stargazer; Swirlpool; Shun; Escape With Romeo; Pink Turns Blue; Lotus Feed; Dead Leaf Echo; Amber Smith
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- Holygram - Modern cults (5 Beiträge / Letzter am 08.02.2019 - 08:30 Uhr)