Thomas Azier - Stray
Hylas
VÖ: 23.11.2018
Unsere Bewertung: 6/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Der Hoteltester
Heute hier, morgen dort: Thomas Azier ist ganz schön rumgekommen. Der gebürtige Niederländer hält nicht viel von Konstanz, wechselt die Tapeten bei jedem neuen Album und die jeweiligen Begleitumstände hört man dem betreffenden Werk auch an. Das Debüt "Hylas" entstand im technoiden, nassgrauen Berlin, holte sich seine Synthetik in einer zum Studio umfunktionierten, verlassenen Fabrikhalle ab. Viel Hall, entmenschlichte Synthies, daraus sich ergebend: Kühle und Distanz. Der Nachfolger "Titel" ging dann nach Paris, öffnete sich der Nahbarkeit, setzte auf Lebendigkeit und direkt vermittelte Emotionen, das Klangbild geriet organischer und wärmer. Wenn man nun den Umstand zugrundelegt, dass Aziers dritter Streich "Stray" quasi rund um den Erdball geformt und ausgearbeitet wurde, genauer gesagt in Hotelzimmern von Kyoto bis Abidjan am Laptop mit USB-Mikro, kann man eine gehörige Portion Eklektizismus erwarten – und muss vielleicht auch ein wenig das Chaos fürchten.
Die zentrale Erkenntnis von "Stray" liegt zuerst einmal jedoch darin, dass Azier facettenreichen Pop wie kaum ein zweiter Festlandeuropäer beherrscht. Die beiden ersten Alben standen emotional noch im Gegensatz zueinander, jetzt vermengt und ergänzt der 31-Jährige die Grundelemente seines Schaffens zu einem vielseitig funkelnden Gesamtwerk und bedient dabei die unterschiedlichsten Stimmungen."Nightrunner" gibt sich im Refrain als ausgelassene Tropensause mit Falsett-Fanfaren, wohlig ausgelassen im Groove. Aber was singt Azier da? "You see I met this girl / And she got lips like yours / And her skin feels just the same." Diese Austauschbarkeit bereitet dem flotten Popowackeln aber keinerlei Abbruch. Generell spielt Azier in seinen neuen Stücken mit Nähe und Distanz, auf das scheinbar aus einem Nebenzimmer kommende und sich durch Echo und Hall nur indirekt vermittelnde "Echoes" folgt in "Color! Color!" emotionale, nämlich niedergeschlagene Klarheit. Hier waten die Streicher durch die Wehmut, ein Klavier zärtelt klassische Figuren hervor und ein abgründiger Synthie taucht das Stück in verzweifelte Nachtschwärze. Das mit entferntem elektronischem Donnergrollen und tollem Gesangsspot der befreundeten Künstlerin Shérazade ausgestattete "Hymn" gastiert mit kühlem Machinen-Chic auf der Tanzfläche: Slowdance der Roboter mit menschlichen Gefühlsregungen.
"Satellite" dagegen ist recht routinierter Balladen-Pop und bleibt vom Songgerüst ebenso konservativ wie das mit dezenter Percussionexotik durchsetzte "Vertigo", dessen gesäuselter Refrain mit maritimer Gitarre zu sehr im Standard verharrt. Und da ist man auch bei einem kleinen Problem dieser Platte angekommen. Das Ausgangsmaterial und die melodische Basis mancher Songs wirken auf "Stray" ab und an deutlich weniger zwingend als auf den Vorgängern. Da kann "Mother of pearl" den Stimmfilter noch so sehr ausreizen und gehörig Noise ins Finale packen – im Kern handelt es sich um ein eher simples Schlaflied für nachtwandelnde Gestalten. Wenn jedoch die Klavierkleinigkeit "Smoke" mit rotierenden Krachkaskaden durch ihre direkte Emotionalität besticht, packt man das Gemecker schnell wieder ein. "Stray" ist eben deutlich weniger eindeutig als die Vorgänger, eine bunte und abwechslungsreiche Talentschau Aziers, die genauso in der sonnendurchfluteten Ausgelassenheit zu Hause ist wie im mentalen Schattenreich. Vielseitig wie der ganze Erdball.
Highlights
- Echoes
- Smoke
- Hymn (feat. Shérazade)
Tracklist
- The dreamer in her
- Nightrunner
- Echoes
- The girl beneath the lion
- Color! Color!
- Vertigo
- Vertigo (Interlude)
- Mother of pearl
- White horses
- Smoke
- Hymn (feat. Shérazade)
- Satellite
- One by one (Interlude)
- Anemone dreams
Gesamtspielzeit: 45:06 min.
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kapomuk Postings: 73 Registriert seit 25.08.2014 |
2018-12-01 23:16:31 Uhr
Teilweise stimmungsvoll, insgesamt aber eher belanglos |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27364 Registriert seit 08.01.2012 |
2018-11-22 21:36:28 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
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Referenzen
Perfume Genius; Wild Beasts; Blaudzun; Me And My Drummer; Emile Haynie; Youth Lagoon; How To Dress Well; Porches; John Grant; Say Lou Lou; Bright Light Bright Light; Hurts; Pet Shop Boys; Erasure; Patrick Wolf; Anohni; Twin Shadow; Roosevelt; M83; Sohn; Douglas Dare; Ásgeir; El Perro Del Mar; Goldfrapp; Alphaville; The Killers; Brandon Flowers; Balthazar; Hot Chip; Depeche Mode; Röyksopp; Future Islands
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