Bobo & Herzfeld - Blick in den Strom
Traumton / Indigo
VÖ: 28.09.2018
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Bobo und der Club der toten Dichter
Nein, hier ist keine Dancefloor-Legende aus der Schweiz beteiligt. Christiane Hebold teilt sich lediglich ihren Künstlernamen mit DJ René Baumann, womit auch das Ende der Gemeinsamkeiten erreicht wäre. Einigen Eingeweihten könnte Hebold noch durch ihre Band Bobo In White Wooden Houses oder ihre Kollaborationen mit Rammstein bekannt sein. Gemeinsam mit dem Pianisten und Komponisten Sebastian Herzfeld nimmt sie seit 2007 in unregelmäßigen Abständen Platten auf, auf denen sie deutsche Gedichte und Volkslieder neu vertont. Wer nun lauwarmes Kaffeehaus-Gedudel befürchtet, darf aufatmen: Bobo und Herzfeld gelingt auf ihrem dritten Album "Blick in den Strom" tatsächlich das Kunststück, Texten aus dem 19. Jahrhundert neue Facetten abzugewinnen, ohne dabei in die Bildungsbürger-Falle zu tappen
Dennoch sei darauf hingewiesen, dass sich "Blick in den Strom" sicherlich nicht an eine breite Masse wendet. Zu eigenartig sind die Arrangements, die Herzfeld seiner Partnerin auf den Leib schneidert. Meist dominieren perlende Klavierläufe, die durch behutsame Elektronik und Akkordeon-Einsprengsel kontrastiert werden. Für letztere ist Yegor Zabelov verantwortlich, der das Duo auch auf Tourneen begleitet. Dominiert wird das Geschehen von der glockenhellen Stimme der Sängerin. Dass sie einst Musikschulen von innen gesehen hat, merkt man. Schlimm ist das allerdings nicht, im Gegenteil: Je nach Text und Arrangement variiert sie ihren Vortrag geschickt, sodass oftmals gar nicht auffällt, dass die Texte teils mehr als 200 Jahre auf dem Buckel haben.
Diese sind auch der eigentliche Star des Albums. So werden unter anderem Gedichte von Joseph von Eichendorff, Johann Wolfgang von Goethe und Nikolaus Lenau interpretiert. Nun ist es mit der Romantik gemeinhin so eine Sache. Gerade Eichendorffs Verse laden förmlich dazu ein, verkitscht und vereinnahmt zu werden. Bobo und Herzfeld kennen diese Gefahr und navigieren sicher an seichten Gewässern vorbei. Wundervoll ist beispielsweise ihre Version von "Wolken, wälderwärts", deren sphärische musikalische Begleitung hervorragend zu Eichendorffs sinnsuchenden Worten passt. Auch Goethes Rotationsgeschwindigkeit im Grab dürfte dank der geschmackvollen Annäherung an "Freudvoll, leidvoll" weiterhin null betragen.
Gegen Ende des Albums wagen die beiden Musiker mehr, im Besonderen verblüfft ihre Neueinspielung des Bundespräsidenten-Schlagers "Hoch auf dem gelben Wagen", die dessen Beschwingtheit durch Düsternis ersetzt. Wenn in den letzten Takten die Musik immer schneller und schneller wird, ist klar, dass dieser Wagen zwangsläufig bersten wird. Auch das abschließende "Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen" überzeugt durch Zurückhaltung und Respekt vor den Versen Rilkes. Sich mit kanonisiertem Material auseinanderzusetzen, birgt das Risiko, ins mausgraue Wiederkäuertum des sich selbst erhaltenden Kulturbetriebs zu verfallen. Bobo und Herzfeld mögen ein Teil dessen sein, wissen aber genau um ihre Verantwortung. Schweizerische Tanzeinlagen würden hier nur stören.
Highlights
- Freudvoll, leidvoll
- Wolken wälderwärts
- Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen
Tracklist
- Der Freund
- Freudvoll, leidvoll
- Wolken wälderwärts
- Auf den Wogen
- Blick in den Strom
- Erinnerung
- Mondnacht
- In der Fremde
- Iphigenie
- Mein Herz ich will Dich fragen
- Hoch auf dem gelben Wagen
- Ich lebe mein Leben in wachsenden Ringen
Gesamtspielzeit: 39:24 min.
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2018-11-08 21:17:50 Uhr - Newsbeitrag
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Referenzen
Bobo In White Wooden Houses; Yegor Zabelov; Robert Schumann; Franz Schubert; Felix Mendelssohn Bartholdy; Modest Mussorgski; Carl Friedrich Zelter; Wolfgang Rihm; Johannes Brahms; Hugo Wolf; Carl Loewe; Clara Schumann; Gustav Mahler; Max Reger; Alma Mahler; Erich Wolfgang Korngold; Richard Wetz; Joseph Haas; Othmar Schoeck; Goldfrapp; Martina Topley-Bird; Flunk; Kat Frankie; Hundreds; Sophie Hunger; Kraków Loves Adana; Melanie De Biasio; Rebekka Karijord
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