Jens Friebe - Fuck penetration
Staatsakt / Caroline / Universal
VÖ: 02.11.2018
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Männlich, weiß, sexuell
Mit "Schlawinenhund" überschrieb Kollege Knöß einmal eine Rezension zu Jens Friebe – und man möchte auch wegen des gelenkigen Kalauers nicht viel dagegen sagen. Zu zweideutig und hintergründig gab sich der gebürtige Lüdenscheider oft: im scharfsinnigen Cybersex-Klopfer "Gespenster", dem Airport-Abenteuer "Charles De Gaulle" oder zwischen Nightlife und Selbstverleugnung in "Nackte Angst zieh Dich an wir gehen aus". Vor allem ist Friebe auf seinen Platten aber auch stets verdrehter bis übersexualisierter Gefühls-Exhibitionist, auch wenn das klebrige Etikett des Pop-Dandy nie recht haften bleiben wollte. Zuweilen wirkten einige seiner Songs aber auch zu beiläufig und übereilt hingeklöppelt, als dass man sich mit seinem Gesamtwerk allzu lange hätte ins Bett legen wollen. "Wir zahlen zusammen, wir gehen getrennt" – nett war's natürlich trotzdem.
Und der circa um drei Ecken gedachte Wortspiel-Titel von Friebes sechstem Album scheint anzuzeigen, dass sich daran nicht viel geändert hat. Oder doch? Immerhin singt der Mann nun vermehrt auf Englisch – auch im um ein launiges Pianola, feines Saitenspiel und Hintergrund-Gekrähe herumgebauten Titelstück, das einen genauso verspielten Indie-Hit abgibt wie die Beziehungs-weise Vorabauskopplung "Only because you're jealous doesn't mean you're in love". Zwei Mal beste, leichte Unterhaltung, die auf "Fuck penetration" aber mitnichten die Hauptrolle spielt. Das verdeutlicht bereits der großangelegte Piano-Opener "Worthless", der sich von schüchternem Beginn zur dramatischen, sehnsuchtsvollen Parabel über Liebe, Leid und Evolution aufschwingt. Und irgendwo im Hintergrund hört man Konstantin Gropper verzweifelt fluchend seine Opernkarten suchen.
Noch herzzerreißender wird es nur im LSD-haltigen Sixties-Schlager "Tränen eines Hundes" – dank der glockenhellen Stimme von Doreen Kutzke, die in Kreuzberg ausgerechnet eine Jodelschule betreibt, wenn sie nicht gerade auf einer Friebe-Platte singt. Nur eine der vielen grandiosen Unerhörtheiten, die dieses Album zu bieten hat, denn an "Fuck penetration" schraubte nicht nur Stammproduzent Berend Intelmann, sondern auch Staatsakt-Faktotum Chris Imler mit, dem noch nie etwas zu abseitig war, um es zu desorientierten Klängen zu formen. Nicht einmal seine eigenen Muezzin-Vocals, die in "Herr der Ringe" ständig das imaginäre Minarett in die Luft zu jagen drohen, während Friebe zu einem entleibten Prä-Neptunes-Groove wunderbar außerirdische Mythen zusammenfabuliert. Paralleluniversum HipHop dockt an – was für ein Spaß.
Der Sex? Tritt bei diesen überbordenden Songs, die im Grunde gar nicht zueinander passen und einander doch brauchen wie ein Ei das andere, zwangsläufig etwas in den Hintergrund. Warum die Überschrift dieser Rezension dennoch flutscht wie nichts? Weil Friebe 2015 das Gender-Fragen erörternde Festival "Männlich weiß hetero" kuratierte und davon den trocken rumpelnden Eineinhalbminüter "Call me queer" mitbrachte. Und wäre Monty Pythons "Lumberjack song" nicht über 40 Jahre alt, würde er wohl ähnlich klingen wie dieses köstliche Spottlied über den Fußball glotzenden und Bier saufenden Alpha-Mann, der seine geschlechtliche Fluidität nur entdeckt, um Frauen abschleppen zu können. Zum Schluss segelt Friebe mit einem "Take me out, Argonaut" von dannen – nicht ohne uns "Fuck penetration" dazulassen. Die Welt braucht mehr Alben wie dieses.
Highlights
- Worthless
- Fuck penetration
- Tränen eines Hundes
- Herr der Ringe
Tracklist
- Worthless
- Charity / therapy
- Fuck penetration
- Tränen eines Hundes
- Special people club
- Call me queer
- Herr der Ringe
- Only because you're jealous doesn't mean you're in love
- Körperfresser oder Das Vergessen
- Es leben die Drogen
- Argonaut
Gesamtspielzeit: 42:36 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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slowmo Postings: 1250 Registriert seit 15.06.2013 |
2018-11-17 19:01:10 Uhr
Ist der nicht bekannt?Alfred Hilsberg sah in ihm mal die neue große Hoffnung des deutschen Pop und den nächsten Jochen Distelmayer. Er wollte mit seinem damaligen Debüt "Vorher Nachher Bilder" auch ZickZack in das neue Jahrtausend hieven. Der Plan ging aber nicht auf. Leider wurde die Platte nie ihren Ansprüchen gerecht und floppte auch wirtschaftlich. ZickZack verschwand in die Bedeutungslosigkeit, genau wie Hilsberg selbst. Nur noch ein Mysterium aus vergangenen Zeiten. Bin auch nie so mit Jens Friebes Musik warm geworden. Musikalisch und textlich teilweise ganz gut. Finde aber auch seine Stimme enorm unangenehm. |
@Armin |
2018-11-17 11:19:41 Uhr
Wie hast du den Albumtitel durch den Wortfilter gekriegt? |
MopedTobias (Marvin) Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion Postings: 20059 Registriert seit 10.09.2013 |
2018-11-17 10:25:01 Uhr
Ist nicht so meins einfach, sein Englisch stört mich auch etwas. Aber auch nicht so schlimm, dass die Musik dadurch unhörbar wird, passt schon. |
hmmmm |
2018-11-17 00:54:40 Uhr
was genau hast du gegen die stimme? zu weinerlich? |
MopedTobias (Marvin) Mitglied der Plattentests.de-Schlussredaktion Postings: 20059 Registriert seit 10.09.2013 |
2018-11-14 22:38:15 Uhr
Ist der nicht bekannt? Wundert mich ein bisschen, dass es hier noch keinen Beitrag zu gibt. Ist mein Erstkontakt mit ihm, finde es musikalisch über weite Teile echt stark, aber weiß noch nicht, ob ich dauerhaft mit der Stimme klar komme. |
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