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Marianne Faithfull - Negative capability

Marianne Faithfull- Negative capability

BMG / Warner
VÖ: 02.11.2018

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

In Bürde altern

Manchmal schwingt beim Wort "Alterswerk" ein wenig Despektierlichkeit mit. Als müssten für die Beurteilung mildernde Umstände gelten, weil die Anerkennung der Lebensleistung den fließenden Übergang zur Nachsicht wählt. Im Fall von Marianne Faithfull können wir getrost von einem Alterswerk reden. Durch und durch. So wie es aufgebaut ist, wie sie mit kratziger und brüchiger Stimme aus dem Leben und vom Tod erzählt, könnte es wohl möglich gar das Karrierefinale der gebürtigen Britin sein. Nicht, dass wir den Schwanengesang anstimmen, aber "Negative capability" funktioniert als Retrospektive einer zentralen Figur der British Invasion der Sechzigerjahre, als Revue voller Schmerz, Absturz und Einsamkeit, authentische Bestandsaufnahme und gleichsam als ambitioniertes künstlerisches Kräftebündeln im betagten Alter von 71.

Es wäre überdies fatal und ungerecht, eine Frau abzuschreiben, die heroinsüchtig und obdachlos war und einen Selbstmordversuch ebenso hinter sich hat wie eine Krebserkrankung. Unter anderem muss man sagen. Dass sie mit den infektiösen Nachwehen einer Hüft-OP zu kämpfen hatte, die Arthritis durchkommt, sie inzwischen gestützt an einem Stock geht, oft mental und körperlich erschöpft ist, findet da noch nicht mal Erwähnung. Mit dem Wissen um die harten Zeiten in Faithfulls Leben steht das lyrische Ich auf "Negative capability" unisono für die Gedankengänge der Dame aus Hampstead. Schon der gläserne Vortrag in "Misunderstanding" geht ans Herz. Bei "In my own particular way" wünscht sie sich flehentlich einen Partner, der sie liebt "for who I really am", und auch die Gleichstellung der Bedeutungen von "Born to live" und "Born to die" im nachfolgenden Track lädt sie bittersüß auf. "To die a good death is my dream / And I wish it for all I know and love, deep down below and high up above."

Liebe ist Anker und Rettungsweg für Faithfull: "I'm ready to love at last." Sagt sie, die so oft die Einsamkeit besingt und 50 Jahre nach ihrer Beziehung mit Mick Jagger immer noch auf den Rolling-Stones-Frontmann angesprochen wird. 1964 schrieben Jagger und Keith Richards für die bildschöne 17-Jährige "As tears go by". Alles Teil der Rock'n'Roll-Historie. Oft gecovert, interpretiert die 71-Jährige das Stück auf "Negative capability" neu. Getränkt mit der Erfahrung namens Leben, strahlt der Song in einer neuen Größe, bekommt das perspektivische Verständnis, das er verdient. Mit "It's all over now, baby blue" und "Witches song" finden zwei weitere Nummern aus ihrer Diskographie eine gelungene, reduziert arrangierte Neufassung. Unter dem Strich verstärken aber gerade diese Rückblenden den Eindruck von Faithfulls finalem Output.

Im Zentrum steht zweifelsfrei ihr Storytelling, in Szene gesetzt von Produzent Rob Ellis und namhafter Prominenz, die mit Violine, Piano und Akustikgitarre zurückgenommene Songstrukturen kreieren. Nick Cave schrieb Faithfull das wunderbare, von Shakespeare inspirierte Stück "The gypsy faerie queen" – und steuerte auch gleich noch Gesang bei. Caves genialer The-Bad-Seeds-Kumpane Warren Ellis ist auf vielen Stücken zu hören, Ed Harcourt half beim starken "Don't go", und Mark Lanegan steckt unverkennbar hinter der terrorgetränkten Dystopie "They come at night", die vom Anschlag auf den Pariser Club Bataclan erzählt. Faithfull wohnt seit einigen Jahren in Paris und hat das Stück im Bataclan uraufgeführt. In der Stadt der Liebe zeichnet sie ein schließlich ein finales Bild der Einsamkeit. "There's no moon in Paris tonight / And it's lonely and that's all I got." Allein im Dunkeln. Und doch noch im Rampenlicht. Willkommen im Leben der Marianne Faithfull.

(Stephan Müller)

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Highlights

  • The gypsy faerie queen
  • Born to live

Tracklist

  1. Misunderstanding
  2. The gypsy faerie queen
  3. As tears go by
  4. In my own particular way
  5. Born to live
  6. Witches song
  7. It's all over now, baby blue
  8. They come at night
  9. Don't go
  10. No moon in Paris

Gesamtspielzeit: 42:57 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag
Kalle
2018-12-05 23:57:40 Uhr
Bin auch sehr angetan von dem Teil. Die Stimme ist noch brüchiger geworden, aber die Stücke sind zum Sterben schön.
Mic
2018-11-03 22:43:31 Uhr
Die Rezi mag ich. Schön geschrieben. As Tears go by, was eine Version. Wahnsinn. Wirklich ein richtig richtig gutes Album geworden. Ich mag es richtig gern. Die Dame ist bleibt cool.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2018-11-01 22:18:57 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

Meinungen?



Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2018-09-18 20:50:54 Uhr


Marianne Faithfull veröffentlicht gemeinsame Single mit Nick Cave aus neuem Album "Negative Capability"
Lyrics Video zu "The Gypsy Faerie Queen" auf YouTube

"Negative Capability bedeutet, dass der Mensch mit dem Ungewissen leben kann. Mysterien und Zweifel, ohne dass man nach Fakten und Vernunft verlangt" - John Keats

Mit "Negative Capability" veröffentlicht Marianne Faithfull am 02. November ihr 21. Studioalbum in ihrer 54 Jahre währenden Musikkarriere. Unterstützt von Grössen wie Warren Ellis, Nick Cave, Ed Harcourt und Mark Lanegan, ist das Werk voller brutaler Ehrlichkeit, Authentizität und autobiographische Reflektion über den Verlust alter Freunde, die Einsamkeit in ihrer Wahlheimat Paris und über die Liebe.

Geprägt von ihren übernatürlichen, re-interpretativen Fähigkeiten und ihren lyrischen Texten, ist "Negative Capability" Mariannes unerschrocken ehrliches und unbarmherzig schönes Meisterwerk. Das starke emotionale Gewicht, das von kunstvoll-sensiblen musikalischen Hintergründen exquisit umrahmt wird, kann nur mit den späten Werken von Johnny Cash oder Leonard Cohen verglichen werden.

Marianne Faithfull - "The Gypsy Fairie Queen" (Lyrics Video)


Marianne Faithfull - "The Gypsy Fairie Queen" (Spotify)
https://open.spotify.com/album/6rFEvEp4QvCD3GVVA4mv8D
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Die erste Single "The Gypsy Fairie Queen" - inspiriert von Shakespeares "Midsummer Night's Dream" - wurde gemeinsam mit Nick Cave geschrieben und vereint die beiden Ikonen am Mikrofon. Zudem spielt Nick Cave auch das Piano. "Es ist ein kleines Wunder", sagt Marianne. "Ich fragte Nick, ob er Musik machen würde und er schrieb zurück und sagte: ‚Ich bin so beschäftigt‘. Ich sagte: ‚Ich verstehe, Entschuldigung, dass ich dich belästige‘. Dann schrieb er einfach zurück: ‚Vielen Dank für Dein Verständnis, hier ist das Lied‘. ‚Es ist einfach wunderschön‘."

"The Gypsy Fairie Queen" von Marianne Faithfull ist hier erhältlich: https://mariannefaithfull.lnk.to/TheGypsyFaerieQueenPR

www.mariannefaithfull.org.uk



Die Langfassung.
zum einschlafen
2018-09-18 19:55:56 Uhr
was für ein oma-song!
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