Yves Tumor - Safe in the hands of love
Warp / Rough Trade
VÖ: 12.10.2018
Unsere Bewertung: 8/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10
Das Chamäleon im Mixer
Man schaue sich vielleicht erst einmal die Bilderstrecke zu Yves Tumor auf Google an und staune ein wenig: Bei dem Wesen, geboren als Sean Bowie in Tennessee, jetzt wohnhaft in Turin, wird alles, was bunt und auffällig ist, vermischt. Das Beste dabei ist, dass diese Schräglage zwischen Karneval und Haute Couture irritierend stilsicher erscheint. Und da der Nachname auch Verpflichtung ist, legt Bowie dieselben Maßstäbe bei seiner Musik an: Das tut manchmal weh, bietet aber auch Entspannungsphasen im Candy-Store. Die Eckpunkte für seinen Sound hat Yves Tumor bereits 2016 auf "Serpent music" festgelegt. Da traf postindustrieller Noise auf runtergekühlte Popweichzeichner in Form von schattig-grauem R'n'B beziehungsweise Soul, gerne mit einem "Post" davor versehen. Deutlich war die Bemühung, die beiden Pole zu versöhnen, gegenseitig gefügig zu machen. Das hat Tumor inzwischen aufgegeben und feiert damit einen unwahrscheinlichen Triumph, zu hören auf "Safe in the hands of love".
Denn seinen Noise gestaltet Tumor hier so, dass er sich nicht mehr in Wellen annähert, sondern direkt in die bloßen Nerven einschneidet. Passend eingeleitet durch eine dezent apokalyptische Bläser-Ouvertüre in "Faith in nothing exept in salvation", bricht sich "Economy of freedom" mächtig stampfend seinen Weg, die Maschinen zittern und schwirren enervierend, rücken ganz nah an den Hörer, bis sich ein träge federnder, konstruktiver Beat einstellt und man plötzlich dem Pop gegenübersteht. Ein falsettiertes Säuseln sorgt für eine R'n'B-Taktilität, die einer industriellen Aparatur in den Schlund schaut, Dampf, Säure und Kohlenstaub ausstoßend. Dass die alles schützende Liebe aus dem Albumtitel eine bedrohliche Kehrseite hat, zeigt sich nicht nur dann, wenn Tumor seinen Wunsch "I wanna wrap around you" äußert, sondern auch in der scheinbaren Freude des Wahlitalieners, klischeehaft Wohlklingendes auseinanderzunehmen. Da könnte zwar das Statement über Polizeiwillkür und Gewalt in sogenannten No-Go-Areas, "Noid", als Ganzes für die Hook eines beliebigen West-Coast-HipHop-Tracks herhalten, doch wie Tumor das üppige Streicher-Bouquet vom Anfang schreddert, das tut weh. Eine besondere Vorliebe für ultraeingängige Popliebeleien hat der Mann aber zweifellos: So inszeneirt er in "Licking an orchid" einen Chor von toughen Typen, die an der Liebe verzweifeln, getröstet nur von einem weiblichen Engelsgesang. Das ist perfekter Blue Eyed Pop, anschmiegsam und smooth, der aber gerade durch die Krachattacken an anderer Stelle besonders wird.
Tumor kann jedoch immer noch zulegen, in "Lifetime" steigert er den Refrain zu einer Post-Emo-Gala, die vollbärtigen Vorstädtern mit sonnenempfindlicher Haut auch noch Nachhilfe in einer weißen Musikdomäne gibt. Dass dieses Chamäleon in "Recognizing the enemy" zwischenzeitlich an ein Post-Rock-Orchester wie A Silver Mt. Zion erinnert, wen würde das noch überraschen? Bemerkenswert ist trotzdem, dass Tumor ebendiesen Song musikalisch von einem pastellfarbenen Nymphenidyll am Waldsee hoch zu den unwirtlichen Höhen Golgathas führt, aus Harfenwohlklang wird narrative Cello-Tragik, begleitet von Tumors, in einer betäubenden Medikation gefangenen Gesang. Wenn Tumor schließlich das Album mit tiefen Synthie-Drones und einer digital verunglimpften Gitarrenmelodie enden lässt und damit dem Post-Punk die richtig fiesen Tricks beibringt, scheint die Distortion gesiegt zu haben. Aber Moment mal, was singt er da? "Let me be the one to hold you tight"? Tja, Noise und Pop in einer unheiligen Verwirrung, bei der keine der beiden Parteien Kompromisse macht. Ein echtes Meisterwerk, ein echter Bowie eben.
Highlights
- Noid
- Licking an orchid (feat. James K.)
- Lifetime
- Let the lioness in you flow freely
Tracklist
- Faith in nothing exept in salvation
- Economy of freedom (with Croatian Amor)
- Honesty
- Noid
- Licking an orchid (feat. James K.)
- Lifetime
- Hope in suffering (Escaping oblivion & overcoming powerlessness) (feat. Oxhy & Puce Mary)
- Recognizing the enemy
- All the love we have now
- Let the lioness in you flow freely
Gesamtspielzeit: 42:00 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Watchful_Eye User Postings: 2852 Registriert seit 13.06.2013 |
2018-12-07 03:21:29 Uhr
Doch doch. Hatte schon vor dem Release des Albums viel Spaß mit der Single "Noid". Und nach Release hab ich es dann etwa 3x über Spotify gehört. Ist schon ein feines Album. Den Beat von "Honesty" sowie das harsche "Let the Lioness in You Flow Freely" habe ich u.a. in besonders guter Erinnerung. Zum jetzigen Stand ist es für mich aber eines von diesen 7,5/10-Alben, die immer wieder mal beeindrucken und viel Potential zeigen, aber letztlich dann doch anderen Alben weichen mussten, die noch einen Tacken pointierter sind. Vielleicht beschäftige ich mich bei Gelegenheit nochmal näher damit. |
saihttam Postings: 2557 Registriert seit 15.06.2013 |
2018-12-07 01:17:34 Uhr
Sehr gutes Album! Unfassbar viele intensive Momente auf dem Album. Das eigentlich ruhige Duett Lickking an Orchid mit seinem plötzlich einsetzenden Noise-Gewitter oder das sich immer weiter in den Wahnsinn steigernde Lifetime. Oder das Ende von Recognize The Enemy. Nur Hope Is Sufferung wirkt etwas fehlplatziert, ist aber in seinem radikalen, monotonen Noise sowohl erdrückend als auch beeindruckend. Wird eine vordere Platzierung in meinen Jahrescharts einnehmen.Sonst hat keiner ne Meinung zu dem Album? |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 27676 Registriert seit 08.01.2012 |
2018-10-24 23:25:06 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
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Referenzen
Lotic; Amnesia Scanner; Serpentwithfeet; Elysia Crampton; Aisha Devi; Dälek; Eartheater; Organ Tapes; Sarah Davachi; Visible Cloaks; Mouse On Mars; Liars; Coucou Chloe; Gaika; James Ferraro; Dean Blunt; Inga Copeland; Hype Williams; Visionist; Laurel Halo; Actress; Julia Holter; Steve Hauschildt; Oneohtrix Point Never; Forest Swords; Blanck Mass; Ben Frost; Fennesz
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