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Adrianne Lenker - Abysskiss

Adrianne Lenker- Abysskiss

Saddle Creek / Cargo
VÖ: 05.10.2018

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 5/10

Herz, lass nach

Diese Zeilen sendet der Rezensent aus einer Rekonvaleszenz des Herzens. Er hätte es wissen müssen: Bereits mit dem grandiosen "Capacity" aus dem letzten Jahr bewies Adrianne Lenker als Vorsteherin von Big Thief, dass sie mit ihrem zwischen Nähe und Distanz pendelnden Indie-Rock für seismographische Erschütterungen in der Seelenregion sorgen kann. Und nun, mit "Abysskiss", steht sie alleine vor einem, noch intensiver, da noch reduzierter, nur Akustikgitarre und Gesang. Vielleicht hätte man vorher einen Schutzwall aus Zynismus und relativierendem Expertenwissen errichten sollen, doch es kam nun einmal so, dass dieses Album den Schreiber ohne Deckung erwischte und ihn in die Knie zwang, ganz sanft, mit einem zarten Lufthauch.

Denn Lenker bestürmt niemanden, sie muss sich selber erst einmal in ihre Songs hineinfinden, tastet sich an fragilen Gitarrenakkorden entlang, lässt ihre Stimme gleiten, erfühlt sich die höheren Tonlagen und kommt letztendlich bei einem beseelten Schwingen an, das wie eine bescheidene Sphärenmusik wirkt. Am Anfang des Albums steht bereits ein über den Tod hinausreichendes Versprechen: "See my death become a trail / And the trail leads to a flower / I will blossom in your sail / Every dreamed and waking hour." Dies trägt Lenker mit einer derart leichtfüßigen Integrität vor, dass danach keine Steigerung mehr kommen kann. Und so vollzieht sie dann auch eine emotionale Kehrtwende um 180 Grad, "No one can be my man / No one can be my woman", jegliche Nähe wird in einem taumelnden Mantra abgeblockt, und nach diesen in aller Zärtlichkeit vorgetragenen Beziehungsextremen liegt der Hörer sanft erdolcht danieder. Doch Lenker hilft immer wieder mit ihrem nahbaren Vortrag auf, zur Belebung setzt es in "Out of your mind" sogar mal eine schrundige Schrammelgitarre und Lenker, angetrieben von der Angst, von zu viel Nähe in die Enge getrieben zu werden, schraubt ihre Stimme in fast schmerzhafte Höhen. Doch auch das wirkt eher wie ein belebender Kuss, eine süße Qual. Es ist unglaublich, wie viel Lenker von sich in diese objektiv betrachtet schlichten Songs steckt. Doch bereits ein leichtes Wimmern kommt hier einem Erdrutsch gleich.

Und so sind es die kleinen Verschiebungen und Intensivierungen, die wie unter einem Brennglas zu erheblichen Auswirkungen führen. Lenker bringt zum Beispiel in "Cradle" eine federleichte Hook auf den Weg, nur um an deren Ende mit tieferer Tonfärbung einen Blick in den Abgrund zu werfen. Über jenen wandelt Adrianne mit Trippelschritten in "Symbol", und im Lauf des Songs wandelt sich das zunächst fatal anmutende Gitarrenspiel in etwas Positives, Lebhaftes. Diesen Kampf führt Lenker auch in "Blue and red horses", mit der Kraft eines staunenden Kindes wird das Moll bezwungen. Wenn man jedoch von einem Kind spricht, dann von einem, das Verletzung und gar Misshandlung zu kennen scheint. So wird dann auch das Ringen um Nähe ein mit sanfter Stimme vorgetragener, verzweifelter Kampf. Lenker braust nicht auf, doch zwischen dem Anbieten von Geborgenheit und der Abwehrhaltung anderen gegenüber schält sich nur mühsam ein Mittelweg heraus: "What can you say / to remind me / how to be loved by you?" Die Antwort weiß Adrianne Lenker wohl selber nicht, wie kann da der Hörer schlauer sein, zumal dieser vollauf damit beschäftigt ist, sein verwundetes Herz nach diesem sanften Orkan zusammenzuflicken?

(Martin Makolies)

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Highlights

  • Terminal paradise
  • Out of your mind
  • Cradle
  • What can you say?

Tracklist

  1. Terminal paradise
  2. From
  3. Womb
  4. Out of your mind
  5. Cradle
  6. Symbol
  7. Blue and red horses
  8. Abyss kiss
  9. What can you say?
  10. 10 miles

Gesamtspielzeit: 33:38 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

novemberfliehen

Postings: 101

Registriert seit 13.06.2013

2018-10-31 12:01:54 Uhr
Gravenhurst mit weiblicher Stimme, Ära Flashlight Seasons. Sehr schön.

Der Opener hat mich schon positiv-verwundert zurückgelassen.

Der Untergeher

User und News-Scout

Postings: 1862

Registriert seit 04.12.2015

2018-10-16 20:58:40 Uhr
Ich finde es sehr schön. Mich wundert, dass es hier keine Resonanz gibt.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 26212

Registriert seit 08.01.2012

2018-10-14 19:55:15 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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