Tim Hecker - Konoyo

Kranky / Cargo
VÖ: 28.09.2018
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 5/10

Neurosen im Getriebe
Musik gedeiht erst so richtig in der passenden Atmosphäre. Ganz schlecht für den klaustrophobischen Ambient Tim Heckers wirkt sich der Pauschal-Urlaub auf einer griechischen Insel aus. Der Rezensent konnte dem neuen Album "Konoyo" unter einer zentimeterdicken Schicht Sonnencreme am Strand nicht viel abgewinnen. Also erst mal in die Schublade mit der Platte, die der Kanadier mit dem renommierten Gagaku-Ensemble aus Japan aufgenommen hat. Zwei Wochen später jedoch, unter dem barock-apokalyptischen Nachthimmel Dresdens, entfaltete dieses Album dann seinen ganz eigenen, bedrohlichen Zauber.
Auffällig ist zunächst, wie sehr sich "Konoyo" in der Simulation einer schadhaften Technik gefällt. Immer wieder ertönen schmerzhaft flirrende Sirenensounds, ein manisches Rotieren angeknackster Turbinen ist ebenso herbei imaginiert, wie das latente Knacken eines anfälligen Räderwerks. Und zwischendrin? Klassische, fernöstliche Instrumente, die das Gagaku-Ensemble beisteuert und außerweltliche Synthies. Mit diesen Elementen erzeugt bereits der zähflüssige Opener "This life" eine derart gespenstische Grundstimmung, dass sich die eigene Beklemmung sofort einstellt. Es rauscht, die alarmierenden, auf- und abschwellenden Tastenklänge nehmen den Hörer gefangen und trotzdem wirkt das alles irgendwie unwirklich transparent. Hecker etabliert einen Noise, der nicht wirklich weh tut aber die Nerven freilegt. Da kann die Shanusen zunächst noch so folkloristische Töne in "In death valley" anstimmen, es geht schnell wieder hinein in die brüchige Seelenlandschaft, in der die Synthies zittrig wabern. Ein ständiges Spiel mit Ruhe und Aufruhr ist das, ein Kommen und Gehen, Verlust öfter als Gewinn. Hecker setzt anschwellende Klangflächen als Eroberungsmittel für ein wankendes Idyll ein, immer ist da ein Gären und Brodeln, die Spannung mit dem Messer zu schneiden.
Es überrascht natürlich nicht, dass Hecker sich für seine lebenden Bilder gehörig Zeit nimmt, "Keyed out" und "In mother earth phase" gönnen sich jeweils zehn Minuten für ihren Versuchsaufbau. Nur ganz schemenhaft lassen sich Melodiefragmente ausmachen, eher zeigen die Stücke, wie die fernöstlichen Instrumente im Ausnahmezustand operieren. Das bekömmliche Plingern in "Keyed out" wird schnell sabotiert, bald rauscht und knackt es wieder gehörig. Und auch die Kombination aus raumfüllenden Synthies und weichen Streichern bei "In mother Earth phase" hält nur solange an, bis ein maschinelles Brummen die Ruhe stört, aber immerhin: In diesem Stück setzt sich letztendlich eine feingliedrige, lyrische Melodie durch. Solche Momente sind jedoch rar gesäht, das ständige In-Frage-Stellen dauerhafter Zustände steht im Mittelpunkt. So ist auch die abschließende Viertelstunde von "Across to Anoyo" ein ständiges Kratzen an Oberfläche und Struktur. Der konstante Trommelschlag zu Beginn ist nur ein unzureichender Wegweiser, wenn es letztlich dann doch wieder aus allen Ritzen quietscht und tönt. Dass sich so etwas schlecht mit einem Urlaubsflirt und einem Sex On The Beach verträgt, wem müsste man das sagen?
Highlights
- This life
- Keyed out
- In mother Earth phase
Tracklist
- This life
- In Death Valley
- Is a rose petal of the dying crimson light
- Keyed out
- In mother Earth phase
- A sodium codec haze
- Across to Anoyo
Gesamtspielzeit: 59:09 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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Watchful_Eye User Postings: 2974 Registriert seit 13.06.2013 |
2020-11-08 22:57:42 Uhr
Da es in einem anderen Thread um 10/10-Alben aus der jüngeren Zeit ging: Das hier (2018) ist mittlerweile für mich eines. Ich habe es erst vor kurzem auf RYM entsprechend hochgestuft.Es ist zwar ein Ambient-Album, aber da passiert wirklich einiges. Eine fremdartige, dichte, visuelle Klanglandschaft, was die fast über die ganze Strecke die volle Aufmerksamkeit wert ist. Mit anderen Hecker-Alben konnte ich mich bislang nicht in diesem Ausmaß anfreunden, und auch die Partner-EP "Anoyo" kann imo weitgehend nicht diese Intensität erreichen. |
fitzkrawallo Postings: 1662 Registriert seit 13.06.2013 |
2019-02-12 20:50:13 Uhr
Ah, yes! Albumsgenosse "Anoyo" kommt im Mai! Quelle. |
Watchful_Eye User Postings: 2974 Registriert seit 13.06.2013 |
2018-10-05 01:54:49 Uhr
Richtig guter erster Eindruck. War bisher eher kein Hecker-Fan, aber das ist glaube ich ziemlich mein Ding. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28503 Registriert seit 08.01.2012 |
2018-10-04 21:26:53 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.Meinungen? |
Old Nobody User und News-Scout Postings: 4003 Registriert seit 14.03.2017 |
2018-09-30 18:46:48 Uhr
Ziemlicher BrockenDieser Bruch hier kommt mir auch am radikalsten vor. Mein erster Gedanke war, dass das aufgrund dieser Zurückgenommnenheit sein Valtari sein könnte. Der Vergleich mag aber hinken. Wirkt auf mich insgesamt deutlich stiller,strukturloser,kühler. Die wärmenden Klangteppiche sind doch stark im Hintergrund. Manches erinnert mich sehr an Autechre, die mitunter auch deutlich steriler daher kommen. Wobei das aber keinesfalls negativ gemeint ist. Es fehlt so dieser wärmende Sound-Mantel der sich um einen legt. Dafür erzeugt das nun mehr ein Gefühl von Verlorenheit,auch von ziellosem Wegdriften. Ich kann in dem Zusammenhang nur nochmal Caretaker/Leyland Kirby empfehlen der es auch drauf hat intensivste Stimmungen zu erzeugen. Am ähnlichsten ist da evtl Patience und die späteren Stages der Everywhere at the end of time |
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Referenzen
Alessandro Cortini; Ben Frost; Forest Swords; Oneohtrix Point Never; Thisquietarmy; Lawrence English; Jefre Cantu-Ledesma; Actress; Fatima Al Qadiri; Szun Waves; Drew McDowall; Fuck Buttons; Nils Frahm; Max Richter; Dan Friel; Balam Acab; Gas; Mouse On Mars; Body/Head; The Haxan Cloak; Aphex Twin; Anohni; Rival Consoles; Brian Eno; Steve Reich; Mount Kimbie; Arca; Blanck Mass; Orca
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