Suede - The blue hour

Warner
VÖ: 21.09.2018
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 8/10

Kleinstädtisches Träumen
"Come with us / We're small town dreaming", zwitschert Brett Anderson auf dem neuen Suede-Album "The blue hour". Unweigerlich fragt man sich: Was genau bedeutet denn dieses "small town dreaming"? Träumt man in der Kleinstadt grundsätzlich anders als in der Metropole oder auf dem Land? Was macht die Träume der Vorortbewohner aus? Glaubt man dem mittlerweile achten Werk der Band, zeichnen sich jene gehirnbedingten Kunstwelten gleichzeitig durch Großformatigkeit und Unkonkretheit aus. Suede pinseln immer noch mit dicken Strichen über die Leinwand, der Pathos wird nur noch durch die Größe der Melodien übertroffen. Inhaltlich werden die großen Gefühle hinter einem geheimnisvollen Schleier gehalten. Anderson erklärte jüngst dazu: "Die Songs deuten ein Narrativ an, das sie nie wirklich aufdecken und nie wirklich erklären." Wer ist also die besungene "Mistress", die schlichtweg "all that he wants" ist? Welche Bedeutung hat der gefundene tote Vogel aus "Roadkill", welchem später ein kurzes Interlude gewidmet wird?
Wenn "The blue hour" eines auszeichnet, dann ist es die durch obskure Field Recordings und Sprachschnipsel verstärkte mysteriöse Aura, die bei den Briten zwischen all den aufgebauschten Momenten schon immer unterschwellig im Sound lag. Schritte knirschen über vertrocknetes Gras und verrotteten Müll, eine Person wird gesucht, doch es bleibt unklar, wer es ist. Der bedrohlichen Stimmung entflieht man nur zu ungewöhnlichen Orten. "When it all is much too much / We run to the wastelands." Ebenjenes "Wastelands" nimmt eine ähnliche Funktion ein wie schon "Outsiders" auf "Night thoughts" – ein unfassbar eingängiger und doch langlebiger Track, der Suedes starke Trademarks auf den Punkt bringt. Das eingangs zitierte "Beyond the outskirts" fällt zwischen harmonischer Idylle und dynamischem Refrain hin und her und sorgt gleichfalls für wohlige Schauer.
"The blue hour" funktioniert über weite Strecken nach dem Push-and-Pull-Prinzip. Der prototypische Suede-Sturm-und-Drang wechselt sich mit klagenden Fein-Miniaturen ab, welche meist mit wenig bis keiner Percussion auskommen. Auch die Gefühle planschen im Wechselbad: Das starke "Cold hands" trieft vor Paranoia und setzt Andersons brillanten Gesang in ein ungemütliches Licht, das folgende "Life is golden" nivelliert dies beinahe mit überbordendem Optimismus, unterstützt durch das Prague Philharmonic Orchestra – fast schon zu tief im Kitsch. Anderson schreibt ungeachtet dessen immer noch die schönsten Zeilen, die Pathos mit Ambivalenz verbinden. "Of all the wild places I love / Yours is the most desolate" – als angesprochener Gegenüber würde einem darauf nichts Schlagfertiges mehr einfallen. "Don't be afraid of nobody loves you" nimmt als zentrales Stück der zweiten Hälfte gleichermaßen die Angst davor, die Truppe könne nach bald drei Jahrzehnten (brutto, versteht sich) keine Karrierehighlights mehr schreiben.
Verzeihlich daher, dass im Anschluss die Dynamik für zweieinhalb Songs etwas zu lange heruntergefahren wird. Nicht nur das schwebende "All the wild places" und das vergleichsweise stille "The invisibles" – welches eine kuriose Wahl als erste Single darstellte und hier fast wie ein Anhängsel wirkt – bereiten auf den großen Abschluss vor. Auch der Closer "Flytipping" lässt sich selbst rund drei Minuten Zeit, bevor er in ein standesgemäßes Abschlussfeuerwerk explodiert. Es ist dennoch alles wie gehabt bei Suede, inklusive der Feststellung, dass sie mit der nunmehr dritten Platte nach ihrer Wiedervereinigung ihre Eigenheiten schärfen, ohne auch nur ein Stück routinierte Ödnis anzudeuten. Die kühle und geheimnisvolle Ästhetik von "The blue hour" – unterstützt durch Visuals wie das Video zu "Life is golden" aus der Nähe von Tschernobyl – ist genauso einzigartig. Eine alte Lieblingsband feiert einen tollen Karriereherbst. Vor 15 Jahren hätte man davon nicht zu träumen gewagt. Auch nicht in einer Kleinstadt.
Highlights
- Wastelands
- Beyond the outskirts
- Cold hands
- Don't be afraid if nobody loves you
Tracklist
- As one
- Wastelands
- Mistress
- Beyond the outskirts
- Chalk circles
- Cold hands
- Life is golden
- Roadkill
- Tides
- Don't be afraid if nobody loves you
- Dead bird
- All the wild places
- The invisibles
- Flytipping
Gesamtspielzeit: 51:37 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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The MACHINA of God User und Moderator Postings: 28015 Registriert seit 07.06.2013 |
2019-06-18 21:44:28 Uhr
Hab letztens am Wochenende mal die milde Nacht genutzt und "Night thoughts" und "The blue hour" am Stück gehört und zwar erstere gegen 2.30 Uhr und danach dann zur Dämmerung "The blue hour". Das hat schon extrem gut gepasst.Insgesamt find ich beide Alben sehr gut, auch wenn sie nicht an alte Zeiten in Sachen Songwriting anknüpfen können. Trotzdem gerade am Stück sehr schöne Alben, mit toller Stimmung und ein paar Highlights. Am besten find ich wohl "As one". Das ist ein großartiger Einstieg. Wünschte, sie würden öfter in die pompöse Richtung gehen, haben sie ja damals auf "Dog man star" so fantastisch gemacht. |
Math Postings: 391 Registriert seit 03.12.2017 |
2018-10-14 13:43:13 Uhr
Zweischneidige Scheibe geworden. Mir kommt ers so vor, dass besonders in der zweiten Hälfte die Dynamik stark rausgenommen wurde und es sehr viele ruhige und leider auch wenig mitreißende (fast schon einschläfernde) Parts gibt, die nur mit Gitarre/Gesang und etwas Key-Atmo gestaltet sind. Ist mir persönlich etwas zuviel des Guten. Bissel mehr Dynamik und Rock hätte der Scheibe gut getan. Wirkliche Hits oder einzelne Parts, die hängen bleiben, hab ich bislang nicht entdecken können. Schade. Pendele derzeit zwischen vernünftigen 6 und wohlwollenden 7 Punkten |
musie Postings: 3333 Registriert seit 14.06.2013 |
2018-10-08 07:12:44 Uhr
Sehe ich auch so. Life is Golden ist der Übersong und abfallen tut kaum was. Das ganz grosse erhoffte Suede Altersmeisterwerk ist es jedoch nicht geworden. |
kingsuede Postings: 2791 Registriert seit 15.05.2013 |
2018-10-07 12:24:27 Uhr
Eine gute 7/10 passt hier. Außer Life is golden ist diesmal kein Übersong enthalten. |
Stephan Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 982 Registriert seit 11.06.2013 |
2018-10-07 12:00:40 Uhr
Absolut. Viel Pathos. Viel Konzept. Dennoch: In meinen Augen geht bei Suede das gut, was bei Muse seit Jahren schlechter läuft. Im letzten Viertel würde ich mir mehr Riffs wünschen, ansonsten mag ich das Album sehr gerne. Nicht so stark wie der Vorgänger, aber 7,5/10 würde ich schon geben. |
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Referenzen
Brett Anderson; The Tears; Mansun; Manic Street Preachers; Pulp; Jarvis Cocker; Strangelove; Elastica; Blur; Gene; The Stone Roses; Menswear; The Charlatans; Jarvis Cocker; Supergrass; Graham Coxon; The Bluetones; James; Ocean Colour Scene; The Verve; Richard Ashcroft; Morrissey; The Smiths; Catatonia; Travis; Lou Reed; Oasis; The Lightning Seeds; Ash; The Divine Comedy; Primal Scream; Johnny Marr; Ian Brown; Kula Shaker; The Horrors; Embrace; Super Furry Animals; Inspiral Carpets; Stereophonics; Paul Weller; Happy Mondays; Beady Eye; The Coral
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