Honig - The last thing the world needs

Haldern Pop / Rough Trade
VÖ: 24.08.2018
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10

Rezensenten lügen nicht
Nehmen wir mal an, alle wären immer und ohne Ausnahme ehrlich, und keiner würde jemals zur Beschönigung oder Verschönerung mal ein bissel übertreiben. Wäre das nicht arg fad? Zum Beispiel beim Lesen von Promo-Texten zu Plattenveröffentlichungen fehlte einem am Ende doch diese typisch verlogene Opulenz. Wenn einer dick auftragen kann, dann die Jungs und Mädels, die ebensolche Begleitbeschreibungen produzieren. Und die Rezensenten müssens dann erden. Die Damen und / oder Herren jedenfalls, die Honigs neues Album "The last thing the world needs" um ein Ankündigungsschreiben bereicherten, ließen sich dabei absolut nicht lumpen. Mit "somnambulem Indie-Pop" beehre die Band um Sänger Stefan Honig ihre Hörer, ein "dynamisch perfekt ausbalancierter Überhit" sei die erste Single, und "eine aus der tiefen Liebe zur Musik resultierende Beharrlichkeit war hier stets handlungsleitend", die Platte sei das "ambitionierteste und meisterhafteste Honig-Album" ever. Okay, cool. Wie viel davon ist wahr?
Tatsächlich lassen sich die Ambitionen Honigs an dieser Stelle kaum leugnen, denn statt auf bodenständige Folkweisen setzen die Düsseldorfer bei ihrem vierten Machwerk auf geballte Coldplayigkeit, bei der Produktion stand der Ensemble-Gedanke im Vordergrund, liest man und hört man dann auch. Nicht nur der PR-Texter trägt hier also dick auf, auch die Band selbst gibt Vollgas. Die Inszenierung ist in der Tat recht ausladend, aber die neue Hymnenhaftigkeit steht Honig eigentlich ganz gut zu Gesicht. Der Fokus auf die Melodie, wie beispielsweise in der ersten Auskopplung – dem erwähnten "Überhit" – "Counterfeit gallery" macht tatsächlich ungemein Spaß, die sich aus dem Hintergrund emporschwingenden Chöre ebenso wie die einsetzenden Handclaps. Großartig präsentiert sich die Leadgitarre des Openers "Avalanche", die sich erst vorm Beat versteckt und ihn schließlich wieder umschwingt, bis abermals Chöre das Setting entern. Das hat etwas Sakrales und dennoch Unkitschiges, eine Konnotation könnte hier das Ghost-Of-Tom-Joad-Album "Matterhorn" aus dem Jahre 2009 sein.
Auch das per se erst einmal traurig daherkommende "Alone at the party" kennt mehr als eine Steigerungsebene, die den Hörer aber stets angenehm mitzieht. Eine Spur softer geht es in "It's never the wrong time to sleep" zu: Die gezupfte Gitarre trägt den Song, für die Steigerung lässt er sich Zeit. Erst im letzten Drittel kommen sanfte Drones und ein mutstiftendes Piano hinzu. Hier findet die angesprochene Coldplayigkeit ihr Ende, dafür werden in "Boulders" ABBA-Assoziationen wach, wenngleich die Strophen angenehm die zu erwartende Songstruktur durchbrechen und der Titel vergleichsweise chaotisch – das liegt auch an den feurigen Streichern – endet. Der Titel mit dem großartigen Namen "Handshake is a contact sport" erinnert mit seinen "Uh-Huhu-hu"-Chören kurz ein wenig an "Zum Laichen und Sterben ziehen die Lachse den Fluss hinauf" von Thees Uhlmann, mehr hat es damit aber nicht gemein und baut gen Ende eine kleinteilige Synthiewand auf, die selbst die gniedelnde Elektrische im Hintergrund nicht einzureißen vermag. Ebendiese hat in "Anteater" einen weiteren auftritt, bevor "Comic relief" das Album wie ein orchestraler Abgesang zu Ende führt. Jetzt ist es also passiert und diese Rezension liest sich wie von einem Promo-Texter verfasst. Aber, und das gilt ganz grundsätzlich: Rezensenten lügen nicht.
Highlights
- Avalanche
- Counterfeit gallery
- Handshake is a contact sport
Tracklist
- Avalanche
- Alone at the party
- Counterfeit gallery
- Under your thumb
- The polyester road
- It's never the wrong time to sleep
- Boulders
- Handshake is a contact sport
- Mrs. Vertigo
- Anteater
- Comic relief
Gesamtspielzeit: 46:10 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
---|---|
U2 |
2018-09-14 07:32:14 Uhr
Und ich Mrs. Vertigo |
Obrac Postings: 2625 Registriert seit 13.06.2013 |
2018-09-13 21:07:10 Uhr
Japp, sind beide sehr toll. Ich werfe noch "Alone at the Party" und "The Polyester Road" dazu. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28498 Registriert seit 08.01.2012 |
2018-09-13 20:09:17 Uhr
In das Doppel aus "Counterfeit gallery" und "Under your thumb" könnte ich mich reinlegen. |
Obrac Postings: 2625 Registriert seit 13.06.2013 |
2018-09-13 19:10:37 Uhr
Sehe ich auch so. Sehr gutes Album. |
Armin Plattentests.de-Chef Postings: 28498 Registriert seit 08.01.2012 |
2018-09-13 18:40:05 Uhr
Sehr sehr schön, die Platte. Klingt schon recht "deutsch", aber das stört nicht groß.Hatte ich vorher gar nicht so auf dem Schirm. Klasse Songwriting. |
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Referenzen
Ghost Of Tom Joad; Coldplay; Of Monsters And Men; Noah And The Whale; Bon Iver; The Tallest Man On Earth; Ben Howard; Imagine Dragons; Angus & Julia Stone; The Lumineers; Death Cab For Cutie; Feist; St. Vincent; The Shins; Jimmy Eat World; The Robocop Kraus; Readymade; The Postal Service; Maritime; Young Rebel Set; The Weakerthans; Imaginary Cities; The Decemberists; Sufjan Stevens; Hot Hot Heat; The Get Up Kids; The Promise Ring; Friska Viljor; Fink; Stars; Fanfarlo; Edward Sharpe & The Magnetic Zeros; The Wedding Band; Bowerbirds
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