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Birds In Row - We already lost the world

Birds In Row- We already lost the world

Deathwish / Epitaph / Indigo
VÖ: 13.07.2018

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 7/10

Höchste Zeit

"Es war einmal ein starkes Land" titelt das einst für Seriösität und journalistische Akribie bekannte Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" im Juli 2018 und begibt sich damit auf im Hochsommer bekanntlich sehr, sehr dünnes Eis. Mehr noch: Man stimmt indirekt mit ein in die von der Springer-Presse und rechtsgerichteten Medien geschürte Hysterie um Massen an Asylsuchenden aus Afrika und Kriegsflüchtlingen aus Syrien, die Europa angeblich überrennnen, womöglich gefährden, ganz sicher aber überfordern werden. Der reiche Kontinent versinkt in diffusen Ängsten, statt Probleme anzugehen und zusammenzustehen. Angesichts von derart viel Neid und so wenig Empathie und Menschlichkeit kann einem nur Angst und Bange werden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass in Zeiten wie diesen ein düsterer, keifender Monolith wie " We already lost the world" dem trügerischen Sonnenschein der warmen Monate mit einem wütenden und fröstelnden Blizzard begegnet. "The liars, the cheaters / All dogs turned into wolves" stellen Birds In Row auf ihrem dritten Album fest und bringen im Hardcore-Smasher "Love is political" Fassungslosigkeit über diese schleichende gesellschaftliche Verrohung zum Ausdruck: "I see no medals on any of us / And still we're the ones who compete / I don't hate you / I just don't get it."

Es war seit der Befriedung des Kontinents nach dem Zweiten Weltkrieg vielleicht noch nie so notwendig, die Gesellschaft mit klaren Worten vor den Spiegel zu zerren. Jedoch betritt die Truppe aus dem beschaulichen Laval an der Loire in der Themenwahl zwischen politischem Zeigefinger und persönlicher Problembewältigung natürlich kein Neuland auf den Feldern des modernen Hardcore-Punk, der sich zumindest im Falle ihrer beiden bisherigen Platten "Personal war" und "You, me & the violence" neben der Lautstärke auch Gepolter und unbändiger Geschwindigkeit verschrieb. Dies wird auf "We already lost the world" zeitweise zugunsten von anderen Einflüssen zurückgedreht. Dennoch wird es höchste Zeit, dieser Band Aufmerksamkeit zu schenken, weil Bart Hirigoyen, Quentin Sauvé, Timothee Duchesne, die sich in der Öffentlichkeit bloß durch die Initialien "T.", "Q." und "B." zu erkennen geben, ihr Handwerk neben der dem Genre innewohnenden Intensität häufig variabler verstehen als viele Genre-Kollegen. So stehen gewohnt überschäumende, gerade einmal 90 Sekunden lang tosende Speichelschleudern wie "Triste sire" dramaturgisch angelegten Post-Punk-Stücken wie dem großartigen "We vs. us" gegenüber. Steigerung erfolgt auf markantem Riff, klarer Gesang konterkariert die gängigen Shoutings, und inmitten der düster-fesselnden Stimmung scheint der Zusammenhalt, die Zuversicht zumindest aus der Erinnerung heraus wieder greifbar: "Hell, our voices once sounded much better / Divided we sink, together we rise / [...] / And I know: We can be more!"

"I don't dance" geht ordentlich nach vorne, bringt inmitten von Sturm und Drang allerdings immer wieder fulminante Breaks und mit flirrenden Gitarren aufgeschichtete Atmosphäre zwischen die Kanten. Und offenbart dabei auch alle Stärken der passgenau sitzenden Produktion dieses Albums. Der Schlussbrocken "Fossils" startet gar mit verkappten Black-Metal-Gebaren, kann sich seiner tonnenschweren Last aber selbst mittels des kristallklaren Postrock-Kerns, der die finalen vier Minuten dieses Albums einleitet, nicht entledigen: "The sea runs dry / We lose hope." In Zeiten, in denen Seenotrettung kriminalisiert und Menschen im Mittelmeer ihrem Schicksal überlassen werden, keine schöne, aber sicher eine treffende Beobachtung. "Rememer us better than we are" klopft alle Register der Agitation ab, bevor der Track inmitten höchster Intensität in sich zusammenfällt, ein atmosphärisches Outro den Hörer mal ein wenig zu Ruhe kommen lässt. Eher in den Fußabdrücken von Title Fight denn von Touché Amoré stapft die schummrige, intensive Auskopplung "15-38", ein Song, der Faustreck- und Mitsing-Potenzial bereithält, der natürlich nicht zufällig im Herzen des Albums steht und das Mantra der Fassungslosigkeit auf den Punkt bringt: "Hate me / Love me / We already lost the world / You now we'd better run." Da Resignation wenig bringt, lesen wir diese Zeilen doch als Aufbruch. Es ist höchste Zeit.

(Eric Meyer)

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Highlights

  • Love is political
  • We vs. us
  • I don't dance
  • 15-38

Tracklist

  1. We count so we don't have to listen
  2. Love is political
  3. We vs. us
  4. Remember us better than we are
  5. I don't dance
  6. 15-38
  7. Triste sire
  8. Morning
  9. Fossils

Gesamtspielzeit: 34:27 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

Hipster aus Bochum

Postings: 129

Registriert seit 04.01.2017

2018-07-20 15:51:38 Uhr
Nach zwei ersten Durchgängen finde ich das Album sehr indierockig und darum ziemlich gut.

Disclaimer: ich habe die letzten 10 Genrejahre weiträumig umschifft und seit jeher ne Phobie für New School HC. Das Album packt mich ganz gut aufs Erste.
wilson (ausgeloggt)
2018-07-17 01:16:03 Uhr
baton rouge? das "totem" album hab ich vor 4-5 jahren, 4-5 mal gehört...
fand ich ganz gut...trotz französischem gesang!
sorry, komm' ich normalerweise nicht drauf klar.
realpaul
2018-07-17 00:20:23 Uhr
@ MartinS und Hyperstation:
Dank für den Baton Rouge-Tipp.
Gefällt sehr! Mach mich mal auf die Suche nach dem Vinyl.
Hyperstation
2018-07-12 23:12:23 Uhr
@Hipster aus Bochum: Hatte das Glück vorab schon mal reinzulauschen. Hab aber vorhin auch gesehen, dass es mittlerweile nen leak in guter Quali gibt. Für ne Endbewertung warte ich ma noch, bis die Vinyl hier eintrudelt.

@MartinS: Woah :) Hätte nicht erwartet, dass hier noch jemand die grandiosen Baton Rouge kennt.
Leider bereits aufgelöst, aber waren ja quasi die Nachfolgeband von Daitro; konnten also von daher nicht wirklich was falsch machen. Totem war 2014 eines meiner Lieblinge und sowas wie "Train de nuit" haut mir immer noch die Schuhe aus. Grimmig, düster und funktioniert noch besser, wenn man es in der Nacht hört.

Wer es nicht kennt, sollte unbedingt mal reinhören:

https://batonrougeband.bandcamp.com/album/totem
Gutmutson
2018-07-12 23:01:07 Uhr
Vor 10 Jahren hätte ich die nett gefunden. Vor 20 gut und vor 30 geil. Jetzt bin ich alt und grau und konservativ, weswegen ich mich von solchen Rekapitulationen des ewig gleichen nicht mehr aus dem Sessel locken lasse. Lahm.
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