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Drake - Scorpion

Drake- Scorpion

Republic / Universal
VÖ: 29.06.2018

Unsere Bewertung: 5/10

Eure Ø-Bewertung: 6/10

Wo ist die Notruf-Taste?

Eine Pizza ohne Käse, eine Tür ohne Knauf, eine Hand ohne Daumen, ein Skorpion ohne Stachel. Es gibt eine ganze Reihe von Dingen, die, beraubt um ihr Special-Feature, ganz schnell Sinn und Zweck verlieren. Man ahnt, wo diese vor Weisheit übersprudelnde Einleitung hinführen soll: Drakes neue Platte "Scorpion" präsentiert sich lange nicht so angriffslustig, wie der Titel vermuten lässt. Als 2017 "More life" erschien gab es im Wesentlichen zwei Kritikpunkte: zu lang und zu durcheinander. Das Nachfolgewerk des Kanadiers ist nunmehr noch länger, punktet dafür aber mit einer zumindest durchgängigen Stimmung: Die Atmosphäre hält Drake dicht über der Bordsteinkante, sie schwebt, aber halt immer mit der Fresse in Asphaltnähe. Musikalisch kann man gar nicht so viel kritisieren, inhaltlich aber umso mehr: Drake wirkt ratlos, blutleer, angesichts des Ende Mai eskalierten Beefs mit Pusha T geradezu gedemütigt und ohne Antworten.

Im Diss-Track "The story of Adidon" behauptete letzterer, dass Drake mit der französischen Pornodarstellerin Sophie Brussaux einen Sohn gezeugt habe. Auf "Scorpion" bestätigt dieser denn auch ebenjene Geschichte: "I wasn't hiding my kid from the world / I was hiding the world from my kid", erklärt er in "Emotionless" halbgar. Es bietet sich an, zu sagen, der Name sei an dieser Stelle Programm. Es scheint, als passe diese ganze Posse um seinen Sohn so gar nicht in Drakes durchgestylte Welt, dennoch fühlt er sich verpflichtet das Thema Vaterschaft auf "Scorpion" immer wieder in den Fokus zu rücken und dann wird es in seiner Lieblosigkeit erst so richtig peinlich. Wenn er in "March 14" erzählt, wie er Kleider für seinen Sohn kaufe, die leider nicht so richtig passen wollten, weil das Kind so schnell wachse, er es aber nicht lassen könne, weil man als Vater seinem Sohn eben Kleidung kaufen müsse, ist das himmelschreiender Nonsens. Nun, überhaupt habe er seinen Sohn ja bisher auch nur einmal gesehen, beichtet er an anderer Stelle. Auch in "God's plan" wird gewahr, dass Drake sich eher als Protagonist einer Coming-of-Age-Komödie befindet, als mitten im Leben stehend: "She said, 'Do you love me?' / I tell her, 'Only partly' / I only love my bed and my mama, I'm sorry."

Das alles drückt dem Außenstehenden Drakes Dilemma förmlich aufs Auge, nur der Künstler selbst hat es offenbar noch nicht durchschaut. Aber auch abseits eines gekränkten oder auch kränkelnden Seelenlebens bleibt "Scorpion" durchweg frei von größeren Highlights. Man kann da höchstens das Jay-Z-Feature "Talk up" anführen, das zumindest ein bisschen greifbare Aggression entwickelt und zudem die vielleicht beste Zeile des Albums herausstellt: "My Mount Rushmore is me with four different expressions." Programmatisch, dass sie nicht von Drake stammt, dem es einfach nicht gelingen möchte, sich freizuschwimmen, auch nicht wenn er versucht erneut in Richtung Pusha T zu spitten wie etwa in "8 out of 10", welches musikalisch wiederum an den frühen "Hova" erinnert. Selbst die Chance, die ein Michael-Jackson-Feature auch posthum bietet, lässt der Kanadier in "Don't matter to me" verspielt, genauso scheitert er, wenn er versucht in "Is there more" Kendrick Lamars (oder Tupac Shakurs) bekannte Zeilen zu konterkarieren: "The sweeter the berry, the blacker the juice", fehlt schlichtweg der Anlass.

Alles ein großer Abfuck also? Ja! Zumindest, wenn man sich den Themen, die "Scorpion" bietet nähert. Rein strukturell präsentiert sich das Album gegenüber seinem Vorgänger und trotz seiner opulenten Länge durchaus verdichtet, auch weil der Sound die Experimente weglässt, die auf "More life" für Unruhe sorgten und sich stattdessen wieder näher an Drakes Kernkompetenzen orientiert: R'n'B-Samples, ätherische Synths, die Beats reduziert, die Melodien langsam emporkommend. Die drei eröffnenden Tracks "Survival", "Nonstop" und "Elevate" gehen so beispielsweise recht gut ins Ohr, wie auch das sich stets kurz vorm Ausbruch befindliche "Summer games" und das allgemein etwas flottere "Nice for what". Der Rapper hat "Scorpion" fein säuberlich arrangiert, es gegliedert "Side A" mit Raps und "Side B" mit Gesang. Da freut sich der Neurotiker, dass alles seine Ordnung hat. Auch wenn die Highlights fehlen, vermag es "Scorpion" so aber durchaus eine Sogwirkung zu entfalten, die vor allem von der Durchgängigkeit des Settings lebt. Man kann das Album getrost einen ganzen Tag dudeln lassen. Nur hört man einmal wirklich in die Lyrics hinein, merkt man: Der Aufzug zu dieser Fahrstuhlmucke ist offenbar steckengeblieben. Bleibt zu hoffen, dass Drake bald die Notruf-Taste findet.

(Pascal Bremmer)

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Highlights

  • Elevate
  • Talk up (feat. Jay-Z)

Tracklist

  • CD 1
    1. Survival
    2. Nonstop
    3. Elevate
    4. Emotionless
    5. God's plan
    6. I'm upset
    7. 8 out of 10
    8. Mob ties
    9. Can't take a joke
    10. Sandra's rose
    11. Talk up (feat. Jay-Z)
    12. Is there more
  • CD 2
    1. Peak
    2. Summer games
    3. Jaded
    4. Nice for what
    5. Finesse
    6. Ratchet happy birthday
    7. That's how you feel
    8. Blue tint
    9. In my feelings
    10. Don't matter to me (feat. Michael Jackson)
    11. After dark (feat. Static Major & Ty Dolla $ign)
    12. Final fantasy
    13. March 14

Gesamtspielzeit: 89:48 min.

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Felix H

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2018-08-03 09:52:16 Uhr - Newsbeitrag

Felix H

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2018-07-30 07:59:21 Uhr - Newsbeitrag
snuggle-drake aka the softest in the game
2018-07-12 17:52:21 Uhr
Warum wurde nicht diese neue, abartige Schokoladenpizza von Dr. Oetker in der Rezension als Sinnbild benutzt? Hätte doch wunderbar gepasst.

Felix H

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2018-07-11 15:22:53 Uhr
"Summer Games" auch noch. Aber ja, es hilft nix, wenn man sich irgendwie ein gutes 10-Track-Album draus basteln kann, bewertet werden muss das ganze Ding. Und das zieht sich, es sind so viele lahme, nichtssagende Tracks dabei.

MopedTobias (Marvin)

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2018-07-11 14:58:03 Uhr
Ich bestreite nicht, dass man sich hier ein durchaus gutes (=7/10-)Album bauen könnte, die Produktion ist wirklich top und das Songwriting unglaublich generisch, aber kompetent. Die schiere Masse machts aber unerträglich. Und auf Take Care wäre bis auf vielleicht Nice For What jeder Song ein Lowlight gewesen.
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