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Gang Gang Dance - Kazuashita

Gang Gang Dance- Kazuashita

4AD / Beggars / Indigo
VÖ: 22.06.2018

Unsere Bewertung: 8/10

Eure Ø-Bewertung: 5/10

Die neue Welt

"I could hear everything / It's everything time." Die einleitenden Worte von Gang Gang Dances letztem Album "Eye contact" hätten kaum passender gewählt sein können, fassten sie doch perfekt zusammen, wofür das New Yorker Trio seit Anfang der Nullerjahre steht: überladenen, wilden Experimental Pop mit ganz viel Liebe für Weltmusik-Einflüsse und einer ebenso großen Verachtung für Genre-Grenzen wie für die Synapsen des Hörers. Nun hat sich in den sieben Jahren Auszeit, die sich die Band genommen hat, viel getan, undefinierbare, mit globalen Ansätzen jonglierende Musik hat durch Grimes, Arca oder dem von letzterem produzierten Björk-Album "Utopia" längst den Weg in den alternativen Mainstream gefunden. Wie gehen Gang Gang Dance nun damit um, nicht mehr die visionären Exoten einer Szene, sondern Teil des Indie-Zeitgeists zu sein? Die Antwort, die "Kazuashita" liefert, ist überraschend, weil Lizzi Bougatsos, Brian DeGraw und Josh Diamond für ihr sechstes Studioalbum erst einmal ein paar Schritte zurückgehen.

Die Maxime "Viel zu viel ist gerade genug" der Vorgänger gilt nicht mehr, Komparative wie "konziser", "gestraffter" oder "zurückhaltender" bestimmen jetzt die grundlegende Attitüde. Nach einem kurzen Intro wird man in Form von "J-Tree" und "Lotus" mit nicht weniger als den direktesten Songs der Band überhaupt konfrontiert, doch der Schock über die unerwartet unbeschadet gelassenen Gehörgänge währt nicht lange. Tatsächlich sind auch diese Tracks trotz ihrer oberflächlichen Einfachheit unglaublich reich texturiert, Synthies, Pianos, Gitarren und unzählige programmierte Rhythmen formen zwei mitreißende, melodisch großartige Electro-Pop-Meisterwerke. Gang Gang Dance haben nichts an ihrer Experimentierfreude und Stilvielfalt eingebüßt, sie haben sie nur dieses Mal durch einen bezaubernden Shoegaze-Filter im Geiste von Sigur Rós und Cocteau Twins gezogen, der Wohlklang, atmosphärische Erhabenheit und das homogene Zusammenfließen aller Elemente in den Fokus rückt.

Die neue Unmittelbarkeit schlägt sich auch inhaltlich nieder. Die New Yorker waren schon immer meisterhaft darin, mit vornehmlich elektronischen Instrumenten organische Stimmungsbilder zu malen, und "J-Tree" formuliert diese Naturverbundenheit explizit aus: An dessen Ende wird ein Interview mit dem indigenen Umweltaktivisten Shiyé Bidzííl gesamplet, der schließlich über eine heranstürmende Büffelherde in einen Freudensang ausbricht, während sich die Musik dieser Euphorie anpasst. Weiterhin lässt sich erwähntes "Lotus" mit seinem Wechselspiel von Bougatsos' Vocals und DeGraws Synth-Loops als harmonischer Dialog zwischen Mensch und Maschine deuten, in "Young boy (Marika in America)" steht, leider immer noch brandaktuell, Polizeigewalt im Brennpunkt. Seinen Sozialkommentar verpackt "Kazuashita" aber stets optimistisch und positiv, musikalisch wie textlich ist es ein höchst hoffnungsvolles Album. Allerspätestens, wenn das finale "Salve on the sorrow" von zarten Harfen- und Klavierklängen in ein die Welt umarmendes Stadion-Instrumental übergeht, besteht daran kein Zweifel mehr.

Eine allzu handzahme Angelegenheit ist "Kazuashita" aber trotzdem keineswegs. "Snake dub" wirft mit einer Armada aus Geräuschen, Effekten und Samples um sich, die Aphex Twin stolz machen würden, "Too much, too soon" begräbt seine Ansätze von funkigem Achtziger-Pop und Früh-R'n'B irgendwann unter Gitarren und Drumcomputer-Wirbeln. Am meisten beeindruckt allerdings der im Zentrum pulsierende Titeltrack, der eine einnehmend meditative Ruhe ausstrahlt, obwohl in seinen acht Minuten so viel passiert, dass man damit eine eigene Rezension füllen könnte. "Kazuashita" stellt den Hörer vor eine Entscheidung: Möchte man eingeschnappt dem perkussiven Wahnsinn der früheren Alben hinterher trauern oder sich stattdessen darauf einlassen, dass Gang Gang Dance die innere Ausgeglichenheit für sich entdeckt haben? Eine reichere Belohnung für Tor zwei hätte sich keine Gameshow der Welt ausdenken können, denn dahinter wartet eine unwirkliche, wunderschöne Sinneserfahrung, die mit ihrem introspektiven Charakter der Musik der Band eine nie dagewesene Tiefenebene hinzufügt. Bei all dem schnelllebigen Trubel der heutigen Zeit bleiben sie vielleicht auch gerade damit die Szene-Exoten, die sie schon immer waren.

(Marvin Tyczkowski)

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Highlights

  • J-Tree
  • Lotus
  • Kazuashita

Tracklist

  1. ( infirma terrae )
  2. J-Tree
  3. Lotus
  4. ( birth canal )
  5. Kazuashita
  6. Young boy (Marika in America)
  7. Snake dub
  8. Too much, too soon
  9. ( novae terrae )
  10. Salve on the sorrow

Gesamtspielzeit: 42:17 min.

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User Beitrag

Marvin

Plattentests.de-Mitarbeiter

Postings: 67

Registriert seit 27.04.2018

2018-09-06 10:19:15 Uhr
Ja, so ist das halt, wenn man mit einer einfachen Zehner-Skala arbeitet. Eine Plattentests-Wertung umfasst zehn verschiedene bei Pitchfork. Wenn ich "Kazuashita" für eine 7.8 halte und "Eye contact" für eine 8.5, find ich das schon "klar".
Wo Marvin oben steht ist Marvin drin
2018-09-06 08:59:43 Uhr
Zwar *klar* stärker, aber gleiche Wertung. Aber sonst ist alles im Lot?

Marvin

Plattentests.de-Mitarbeiter

Postings: 67

Registriert seit 27.04.2018

2018-08-17 10:22:40 Uhr
Beide 8/10, auch wenn ich "Eye contact" trotzdem klar stärker sehe. Funktioniert halt auf anderen Ebenen, die Neue, aber das macht sie nicht schwächer.
@Marvin
2018-08-17 08:46:56 Uhr
8/10? Ernsthaft? Wieviel bekommen dann die beiden unmittelbaren Vorgänger? 14/10 und 20/10?

yanqui

Postings: 185

Registriert seit 13.07.2018

2018-07-14 21:24:20 Uhr
starkes album, imho auch eine sehr gelungene rezi. gehe bei 8/10 mit, auch wenn sie in vielerlei nach wie vor nach 2010 klingen. aber da war sowieso einiges besser.
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