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Leon Vynehall - Nothing is still

Leon Vynehall- Nothing is still

Ninja Tune / Rough Trade
VÖ: 15.06.2018

Unsere Bewertung: 7/10

Eure Ø-Bewertung: 5/10

Ambitionen und Ambient

Pink Floyd taten es, Kanye West tat es, die Smashing Pumpkins taten es: Immer wieder maßen sich Künstler an, dass ihre Alben mehr als nur Alben sind. Konzepte, Geschichten, Opern, Überwerke! Mindestens. Dabei erlagen in der Musikgeschichte oft genug die Leute der Idee, dass es zuerst das Konzept und dann die Musik bräuchte. Botschaft über Kunst. Läuft nur nicht. Und was ist diese künstlerische Ambition schon wert, wenn selbst 30 Seconds To Mars ständig Konzeptalben herausbringen? Eben. "Wenn es dieses Album nicht ist, weiß ich nicht, was es sonst sein soll", sagte Jared Leto einst über "This is war". Und geschlagene neun Jahre später gibt es eine Antwort: "Nothing is still" von Leon Vynehall.

Wobei sich dieses Projekt eigentlich nicht mehr ambitioniert nennen lässt. Der britische Musiker hat nicht nur sein Debüt bei Ninja Tune einer Geschichte unterworfen, sondern gleich noch eine Novelle, einen Film und eine Live Performance erdacht. All diese Ausdrucksformen sollen von seinen Großeltern erzählen und wie sie nach New York auswanderten, wo sie in den Sechzigerjahren für knapp zehn Jahre lebten. Dementsprechend lässt sich das Album kaum außerhalb dieses Kontextes bewerten, schließlich basiert der Sound auf dem Fluss und der Atmosphäre der Literatur. Was an und für sich schon eine mehr als schwierige Angelegenheit in der Erschaffung darstellt.

Losgelöst aus dem Projekt, als Einzelstück, lässt sich "Nothing is still" zwischen Ambient, Downbeat, Elektronik und moderner Klassik verorten. Es entsteht ohne weitere Erklärung bereits ein in sich geschlossenes Album, das vielleicht ohne Worte viel mehr Schönheit in sich trägt. So bleibt die Interpretation auf der Strecke, die hier nur um Wege stehen würde, eben weil sie so offensichtlich ist, aber der Hörer muss staunend und sprachlos vor Tracks wie "Trouble parts I, II & III (Chapter V)" stehen, muss in diesen Sound einfach nur eintauchen, ohne den Ballast der Dechiffrierung, der Bedeutungssuche. Vynehall kann so viel besser Stimmungen und Atmosphäre, Enge und Ängste transportieren. Der Song bläht sich auf, ein Beat setzt ein, verschwindet wieder, merkwürdige Effekte kriechen über die Spuren, ein Synthesizer schreit müde im Hintergrund. Alles zieht sich zusammen und steuert nicht auf eine lineare Erkenntnis zu, sondern auf ein Gefühl.

So verkommt "Nothing is still" beim Hören fast schon zur Surrealität, wenn die Streicher wie in "English oak (Chapter VII)" in der Hitze der Stadt flirren, wenn "Movements (Chapter II)" entspannt zu ein paar Bläsern swingt. Dementsprechend dominieren auf diesem Album keine Beats und kein Rhythmus. Lediglich "Drinking it in again (Chapter IV)" reibt sich an ein paar Takten, taucht allerdings nicht in eine Tanzbarkeit oder eine irgendwie geartete Expressivität in dieser Hinsicht ab.

Stattdessen setzt Vynehall andere Aspekte, um in die Tiefe zu gehen. Es entsteht bei diesem Album ein spannender Raum, der sich ständig transformiert, bewegt, wächst. All das macht diese Platte nicht einfach, aber darum ging es Vynehall auch nicht. Sein Konzept verkommt nicht zu Grenzen, nicht zu Engstirnkeiten. Es bleibt ein Weg, auf dem sich der Sound entwickeln und atmen kann. Und obwohl Vynehall stellenweise auf die Musikgeschichte zurückgreift, entdeckt er eine eigene Ausdrucksweise, einen Klang, der nach ihm, nach dieser Zeit klingt. Und das taten bisher die wenigsten Künstler dieser Tage.

(Björn Bischoff)

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Highlights

  • Drinking it in again (Chapter IV)
  • Trouble parts I, II & III (Chapter V)

Tracklist

  1. From the sea / It looms (Chapters I & II)
  2. Movements (Chapter III)
  3. Birds on the tarmac (Footnote III)
  4. Julia (Footnote IV)
  5. Drinking it in again (Chapter IV)
  6. Trouble parts I, II & III (Chapter V)
  7. Envelopes (Chapter VI)
  8. English oak (Chapter VII)
  9. Ice cream (Chapter VIII)
  10. It breaks (Chapter IX)

Gesamtspielzeit: 40:28 min.

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(Neueste fünf Beiträge)
User Beitrag

saihttam

Postings: 2557

Registriert seit 15.06.2013

2021-10-14 22:54:38 Uhr
Das neue Album Rare, Forever ist wieder deutlich tanzbarer und weniger Konzept als der grandiose Vorgänger. Quasi eine Symbiose aus den alten Dance-Tracks und dem neueren experimentellern Material in Richtung Ambient. Gefällt mir auch wieder sehr gut. Er bleibt einer meiner Lieblingskünstler aus dem Electro-Bereich momentan.

saihttam

Postings: 2557

Registriert seit 15.06.2013

2018-07-24 01:26:23 Uhr
Tolles Album! Wie eine Reise durch verschiedene (Klang-)Welten. Sehr intensive, aber auch beruhigende Erfahrung. Anders als der tanzbare House vom ebenfalls tollen Vorgänger, dennoch erkannt man immer wieder einige seiner typischen Sounds wieder.

Armin

Plattentests.de-Chef

Postings: 27674

Registriert seit 08.01.2012

2018-06-07 21:08:31 Uhr - Newsbeitrag
Frisch rezensiert.

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