Fantastic Negrito - Please don't be dead
Cooking Vinyl / Sony
VÖ: 15.06.2018
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 7/10
Scheißleben zu Gold
Manche Blues-Musiker inszenieren sich auf ihren Albumcovern als harte Kerle, die mit allen Wassern gewaschen sind, andere posieren als stilbewusste Gentlemen. Xavier Dphrepaulezz alias Fantastic Negrito ist vielleicht mehr Gangster und mehr Dandy als die meisten von ihnen und wählt doch eine ganz andere Form der Selbstdarstellung, die so gar nicht zu seinem rauen und wütenden Blues-Rock passt: eine authentische Fotografie, die ihn in einem Krankenhausbett zeigt. Mit verbundenen Armen und Beinen blickt er geradewegs in die Kamera, fragil und apathisch.
Der absolute Tiefpunkt einer an Rückschlägen wie Erfolgen nicht gerade armen Biografie. Man darf auf die Netflix-Serie mit mindestens sieben Staffeln gespannt sein, zu der Dphrepaulezz' Leben wahrscheinlich schon bald irgendeinen Regisseur inspiriert. Er wuchs als eines von 14 Kindern in einem konservativ muslimischen Elternhaus auf. Mit zwölf Jahren kam er zu Pflegeeltern, probierte sich als Kleinganove, vertickte abends Gras, während er sich tagsüber ins Konservatorium schlich, um von den Musikstudenten das Klavierspiel abzuhören und es sich anschließend selbst beizubringen – wie sein großes Vorbild Prince. Nachdem er mit gezückter Knarre von Gangstern abgezogen worden war, ging Dphrepaulezz überstürzt nach Los Angeles. Dort schrieb er seine ersten eigenen Songs und bekam prompt einen Vertrag bei einem Major-Label. Da er von den Regeln der Musikbiz völlig unbeleckt und von der erdrückenden Erwartungshaltung verängstigt war, verkümmerte seine Kreativität jedoch schnell. Sein erstes Album war wenig mehr als ein lauwarmer Aufguss von R'n'B-Klassikern, der weder ihn noch die Plattenbosse zufriedenstellte. Wenig später erfasste Dphrepaulezz ein Auto und beförderte ihn in ein dreiwöchiges Koma, aus dem er auf der Foto gerade erwacht.
Der Schock führte Dphrepaulezz näher zu sich selbst, aber noch lange nicht zu seiner eigenen musikalischen Stimme – als Hauptbeschäftigung betrieb er nach dem Unfall einen äußerst erfolgreichen, semi-legalen Unterground-Club. Erst mit der Geburt seines Sohnes kam neue Zuversicht in sein musikalisches Schaffen: Der Akkord G, der erste seit langer Zeit, beruhigte den schreienden kleinen Dphrepaulezz auf Anhieb und durchbrach zugleich die künstlerische Blockade des alten. Wenig später gab Dphrepaulezz unter dem neuen Künstlernamen Fantastic Negrito ein Tiny Desk Concert bei NPR, avancierte mit politischen Kampfhymnen wie "Working poor" zu Bernie Sanders' Lieblingskünstler und veröffentlicht nun endlich das zweite Album. Und auf diesem klingt trotz des neuen, selbstbewussten Bekenntnisses zur schwarzen Roots-Musik jede einzelne Erfahrung seines turbulenten Lebens durch.
Dphrepaulezz widmet das Album seinem Sohn und singt darin gegen eine Welt an, die er dem Kleinen nicht zumuten will: Er prangert mit rauer Stimme Rassismus und Homophobie an, kritisiert Waffenkult und Pharmawahn, schreit seine Frustration über eine Gesellschaft voller Gleichgültigkeit und Egoismus heraus. Die urtümliche Kraft und Präsenz des Blues passt sich dazu je dem Sujet an: klassisch hart wie ein Reibeisen in "Plastic hamburger", mit pulsierendem, hymnischen Gesangsparts in "A boy named Andrew", mit Worksong-artiger Beharrlichkeit in "Transgender biscuit", mit virtuos-ekstatischem Gitarrensoli und inbrünstig vorgetragener Anklage gegen die Mächtigen der Welt bei "The suit that won't come off" oder mit tieftrauriger Monotonie in "A cold November street". "Bullshit anthem" gibt dem Hörer am Ende mit seiner funkigen Mitklatsch-Note noch mal eine Ermutigung mit auf den Weg: "Take that bullshit and turn it into good shit." genau wie Dphrepaulezz es mit seinem ganzen Leben getan hat.
Highlights
- Plastic hamburgers
- A boy named Andrew
- The suit that won't come off
Tracklist
- Plastic hamburgers
- Bad guy necessity
- A letter to fear
- A boy named Andrew
- Transgender biscuits
- The suit that won't come off
- A cold November street
- The duffler
- Dark windows
- Never give up
- Bullshit anthem
Gesamtspielzeit: 44:00 min.
Referenzen
Blood Sugar X; Robert Johnson; Skip James; Leadbelly; Curtis Harding; Nick Waterhouse; Son Little; Welshly Arms; Kaleo; The Record Company; Brother Dege; Leon Bridges; Gary Clark Jr.; Dr. John; Pops Staples; Liam Bailey; Cody ChesnuTT; Saul Williams; Charles Bradley; Lee Fields & The Expressions; Patrick Sweany; Langhorne Slim; Benjamin Booker; The Heavy; Dan Auerbach; The Arcs; The Black Keys; The White Stripes; Jack White; Amy Winehouse; Rihannon Giddens; Jimi Hendrix; Prince
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