Get Well Soon - The horror
Caroline / Universal
VÖ: 08.06.2018
Unsere Bewertung: 7/10
Eure Ø-Bewertung: 6/10
Murder ballads
Was kann nach einem Album wie "Love", das sich, na logo, vor allem ebenjener Emotion widmete, noch kommen? Konstantin Gropper beantwortet diese knifflige Frage mit seiner Band Get Well Soon folgendermaßen: "The horror". Auf das schönste alle Gefühle folgt der Grusel, der Spuk, das literweise Blutvergießen. Wolke Sieben wird eingetauscht gegen nächtliche Albträume und grauenhafte Visionen. Thematisch also eine vollkommene Kehrtwendung, auch wenn es auf lyrischer Ebene weiterhin existenziell bleibt. Und musikalisch? Nun, hier fährt Gropper schwere Geschütze auf: Orchestral arrangiert sind die zwölf neuen Stücke, manchmal fühlen sich seine Kompositionen wie melodramatische Pop-Versionen von Theatermusik an: Zwischen Schwermut, Todesangst und kaltem Schweiß auf der Stirn passt immer noch ein Satz kraftvoller Streichinstrumente.
Entsprechend beginnt auch die fünfte Platte der Gruppe: "Future ruins pt. 2" startet mit einem gewittergleichen Brodeln, dazu gesellen sich alsbald unheilvolle Orchesterklänge, die mit der Zeit bedrohlich anschwellen. Man wähnt sich mitten in einer dramatischen, tödlichen Filmszene, denn spätestens wenn die Streicher einsetzen, ist die Spannung kaum zu ertragen. Nach drei Minuten erklingt eine weibliche Stimme, Assoziationen zu James-Bond-Streifen werden geweckt, und unwillkürlich fragt man sich, wieso es eigentlich noch nicht zu dieser so naheliegenden Liaison kam. Gegen Ende stolpern die Drums kraftvoll los, nun singt endlich auch Zeremonienmeister Gropper, gewohnt pessimistisch und waidwund klingt sein Vortrag. Aufwendiger kann man ein Intro, einen programmatischen Opener kaum gestalten, so viel ist klar. Mit welcher Wucht "The horror" den Hörer gleich zu Beginn in den samtenen Ohrensessel drückt, mit wie viel Fingerspitzengefühl das Kissen auf das nach Luft schnappende Gesicht gedrückt wird – es ist freilich bemerkenswert.
Die meisten neuen Stücke kommen also im besonders schicken Fummel daher: Geigen hier, Bläser dort, zwischendurch ein Chor, links noch ein paar Handclaps, rechts eine Triangel, zackfeddich: pompöser, blaublütiger Indie, der eigentlich so gar nicht zur eigenen, heimischen Ikea- und Dachbodenfund-Einrichtung passt. Get Well Soons neue Songs atmen den Spirit von feuchten Schlossgemäuern, sollten also eher in Räumen mit schwerem Brokatteppich und edlen Geweihen seltener Tiere über dem Kamin gespielt werden. Die Leichtigkeit, von der "Love" vor knapp zweieinhalb Jahren noch so beseelt war, ist zwar nicht vollständig ausradiert, aber die dunklen Farben dominieren wieder auf Groppers Palette. In dieser Hinsicht lässt sich "The horror" als ein Missing Link verstehen, das Früh- und Spätwerk nun endgültig und nachträglich vereint. Wenn nicht gar: versöhnt.
Schwermütig fließen die Arrangements durch die Venen und Arterien der neuen Stücke, immer wieder aufgelockert und unterbrochen von kurzen, wolkenfreien Instrumentalpassagen, wie beispielsweise im an Nick Cave & The Bad Seeds erinnernden "Martyrs". Kein Zweifel: Ein berechtigter Kritikpunkt an "The horror" könnte lauten, dass Gropper und seine Belegschaft zu dick auftragen, aber Minimalismus war ohnehin noch nie die Stärke des gebürtigen Oberschwabens. Und wenn sich "Nightmare no. 2 (Dinner at Carinhall)" zwischen Melancholie und Tanzkaffee über das Kirschholzparkett schiebt, dann mutet das zwar überladen an, offenbart jedoch auch jene Grandezza, die man hierzulande selten geboten bekommt. Get Well Soons größte Leistung ist die vollkommen gelungene, an keiner Stelle uneben und deplatziert wirkende Integration klassischer Versatzstücke in ihren barock anmutenden Indie-Rock.
Besonders gelungen ist dies beim wohl spannendsten Stück der Platte: "Nightmare no. 3 (Strangled)" beginnt mit tiefen, melancholiegetränkten Pianoklängen, Groppers Stimme trägt wie gewohnt Trauer, nur um kurz darauf die zuvor fest verriegelten Fensterläden aufzustoßen und die Sonne willkommen zu heißen. Ein schizophrenes Lied, möchte man meinen, eine Achterbahnfahrt, ein verwirrendes Kippbild, das sich nicht endgültig bestimmen lässt. Klarer erscheint dagegen "The only thing we have to fear", das mit einem Spoken-Word-Intro startet, sich im Laufe seiner fünf Minuten jedoch zur düsteren Mörderballade entwickelt, die den Atem stocken lässt. Get Well Soon fassten sich auf "Love" noch ein Herz. Auf "The horror" reißen sie es sich aus dem schweißnaßen Körper. Immerhin: Es schlägt noch.
Highlights
- Future ruins pt. 2
- The only thing we have to fear
- Nightmare no. 3 (Strangled)
Tracklist
- Future ruins pt. 2
- The horror
- Martyrs
- Nightmare no. 1 (Collapse)
- An air vent (in Amsterdam)
- Nightmare no. 2 (Dinner at Carinhall)
- The only thing we have to fear
- Nightjogging
- A misty bay (at dawn)
- Nightmare no. 3 (Strangled)
- (How to stay) Middle class
- (Finally) a covenient truth
Gesamtspielzeit: 52:44 min.
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(Neueste fünf Beiträge)
User | Beitrag |
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The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33144 Registriert seit 07.06.2013 |
2023-10-03 17:56:37 Uhr
Dürfte wohl mein Lieblings von ihm sein inzwischen. Ich mag wenn er Streicher und Bläser arrangiert mehr als wenn er Pop macht. Und das ist hier ist definitiv sein orchestralstes. |
The MACHINA of God User und Moderator Postings: 33144 Registriert seit 07.06.2013 |
2020-09-10 11:34:49 Uhr
Vom Sound her mag ich das sehr. Viel höngen bleibt aber bisher wirklich nicht. |
Felix H Mitglied der Plattentests.de-Chefredaktion Postings: 10002 Registriert seit 26.02.2016 |
2019-06-26 16:11:56 Uhr
Irgendwie gibt mir das Album immer noch nichts so richtig. Hab mich in der letzten Zeit durch die Diskographie gehört und "The Horror" ist für mich klar das schwächste. Da ist Pomp, Dynamik... aber die Songs fehlen. |
Scholz |
2018-06-26 22:05:01 Uhr
Get Well Soon, Warhaus, die gereiften Arctic Monkeys, Black Rebel MC... danke, dass es Euch gibt. |
mariobava Postings: 105 Registriert seit 07.10.2015 |
2018-06-21 12:43:29 Uhr
Nachdem mich Love doch ein wenig enttäuscht hat, ist The Horror wieder genau mein Ding. Ähnlich groß wie The Scarlet Beast. |
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Referenzen
Scott Walker; Nino Rota; The Dears; Arcade Fire; Ennio Morricone; Doves; Patrick Watson; Rufus Wainwright; Beirut; Antony & The Johnsons; The Book Of Daniel; Guillemots; Syd Matters; Andrew Bird; David Bowie; Nick Cave & The Bad Seeds; Leonard Cohen; Tom Waits; The Veils; Bright Eyes; Radiohead; Tindersticks; The Divine Comedy; Broken Records; Mercury Rev; Elbow; Mew; Maximilian Hecker; Jens Lekman; Joel Alme; Benjamin Biolay; Nicolai Dunger; Richard Hawley; Lee Hazlewood; The Leisure Society; Ed Harcourt; Patrick Wolf; Eagle*Seagull; Villagers; Slut; Muse; The Killers; Coldplay
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